Verantwortung und Pflicht der Führungskraft in den Einsatzorganisationen einer demokratischen Gesellschaft

In die­sem Text geht es um die Rol­le von Füh­rungs­kräf­ten der Feu­er­wehr und des Ret­tungs­diens­tes im Umgang mit stark pola­ri­sier­ten poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen und extre­mis­ti­schen Äuße­run­gen. Die Dar­stel­lun­gen bezie­hen sich expli­zit nicht auf Füh­rungs­kräf­te in ande­ren Ein­satz­or­ga­ni­sa­tio­nen wie der Poli­zei oder der Bundeswehr.

War­um soll man sich als Füh­rungs­kraft einer Ein­satz­or­ga­ni­sa­ti­on (bspw. Ret­tungs­dienst, Feu­er­wehr) mit Poli­tik befassen?

Es ist egal, wer Bun­des­kanz­le­rin oder Bun­des­kanz­ler ist. Es ist auch egal, ob sich jemand dar­über strei­tet, ob es den Kli­ma­wan­del gibt oder nicht, ob Coro­na aus dem Labor stammt oder nicht. Wenn ein Haus brennt, dann brennt ein Haus. Und dann gilt es, den Ein­satz mög­lichst gut zu bewäl­ti­gen. Und wenn jemand Hil­fe braucht, dann braucht jemand Hil­fe. Dann ist es egal, ob er hel­le oder dunk­le Haut hat oder poli­tisch grün oder blau ist. Ihm oder ihr wird gehol­fen. Es ist auch egal, was die ein­zel­ne Ein­satz­kraft poli­tisch denkt. Ein­satz ist Ein­satz, und im Ein­satz hat Poli­tik nichts zu suchen.

Soweit die Theo­rie. Aber ist das auch in der Pra­xis so? Wenn es so ist: Herz­li­chen Glück­wunsch — und das ist ernst und nicht sar­kas­tisch gemeint.

Aber was, wenn pola­ri­sie­ren­de Dis­kus­sio­nen über eine bis­her gut funk­tio­nie­ren­de Grup­pe von Ein­satz­kräf­ten her­ein­bre­chen und nach einer Wei­le die Trup­pe regel­recht spal­ten? Wenn — ein paar Mona­te spä­ter — die einen Kame­ra­den sagen, dass sie nicht mehr zum Dienst kom­men wol­len, wenn die ande­ren Kame­ra­den da sind? Oder wenn die Kol­le­gen mei­nen, dass sie mit bestimm­ten ande­ren Kol­le­gen nicht mehr in die Schicht wol­len, weil es dann die gan­ze Nacht nur um Poli­tik geht und spä­tes­tens nach zwei Stun­den alle Anwe­sen­den schlech­te Lau­ne haben?

Spä­tes­tens dann muss ich mich als Füh­rungs­kraft dazu ver­hal­ten — den Zusam­men­halt und die Kame­rad­schaft erhal­ten oder wie­der schaf­fen. Das ist ein ganz prak­ti­scher Fall, der Füh­rungs­kräf­te bei der Feu­er­wehr und im Ret­tungs­dienst zuneh­mend beschäf­tigt. Anlass sind sicher die pola­ri­sie­ren­den The­men der letz­ten Jah­re, stell­ver­tre­tend sei­en nur die Stich­wor­te „Migra­ti­on“ und „Coro­na“ genannt. Aber der Anlass ist nicht die Ursache.

Die Ursa­che, dass Dis­kus­sio­nen mit­un­ter eska­lie­ren und es tat­säch­lich zu Spal­tun­gen kommt, ist in einer Ver­än­de­rung der poli­ti­schen Land­schaft zu suchen. Frü­her (und im Osten endet „frü­her“ bei 1990, davor gab es noch eine ganz ande­re poli­ti­sche Land­schaft, deren spä­te „Echos“ auch heu­te noch zu spü­ren sind) gab es rot und schwarz. Heu­te gibt es rot und schwarz immer noch, aber das sind kaum mehr die Gegen­sät­ze, die es frü­her ein­mal waren. Im Gegen­teil: Heu­te reiht sich Gro­Ko an GroKo.

Die tat­säch­li­che Dyna­mi­sie­rung der Dis­kus­sio­nen ergibt sich nicht mehr zwi­schen rot und schwarz, son­dern zwi­schen grün und blau, zwi­schen pro­gres­siv und kon­ser­va­tiv (die jewei­li­ge Eigen­sicht) bzw. zwi­schen „links­grün ver­sifft“ und „Nazis“ (die jeweils extre­me Bezeich­nung für­ein­an­der). Neu ist, dass die Extre­mis­ten bei­der Sei­ten die jeweils Gemä­ßig­ten vor sich her­trei­ben mit dem Mot­to: „Mit denen kann man nicht reden.“ Die Fol­ge ist eine regel­rech­te „Spal­tung der Welt“, die mit jeder Kri­se (2015, 2020…?) bzw. jedem pola­ri­sie­ren­den The­ma (Kli­ma­wan­del, Gen­der…) dyna­mi­scher wird. Die­se Dyna­mi­sie­rung wird durch die Echo­kam­mer-Wir­kung sozia­ler Medi­en und das weit­ge­hen­de Feh­len von Ethik im Manage­ment die­ser Netz­wer­ke noch ein­mal verstärkt.

Bis­her reden wir mehr oder weni­ger über rela­tiv nor­ma­le gesell­schaft­li­che Spal­tun­gen, die zum hand­lungs­re­la­van­ten The­ma für Füh­rungs­kräf­te in Ein­satz­or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den kön­nen. Bis jetzt haben wir noch nicht von wirk­li­chem poli­ti­schen Extre­mis­mus gespro­chen: Was tut man bei­spiels­wei­se, wenn jemand offen ver­fas­sungs­feind­li­che Sym­bo­le benutzt — und das auf einer offi­zi­el­len Fei­er der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­on? Oder was tut man, wenn jemand im Ein­satz Din­ge sagt, die, wenn sie von Pas­san­ten oder gar Jour­na­lis­ten gehört wer­den, ganz und gar nicht mehr „ein­zu­fan­gen“ sind? (Mit­hin man dis­ku­tie­ren kann und mei­nes Erach­tens auch soll­te, ob man sol­che Din­ge tat­säch­lich „ein­fan­gen“ oder lie­ber zum Anlass für eine sehr erns­te Aus­ein­an­der­set­zung neh­men sollte.)

Am Ende der Ein­lei­tung zu die­sem Text ange­kom­men haben wir also zwei Situa­tio­nen zu ver­zeich­nen, in denen poli­ti­sche The­men für Füh­rungs­kräf­te von Ein­satz­or­ga­ni­sa­tio­nen rele­vant wer­den kön­nen — nicht müs­sen, aber eben kön­nen, und die ent­spre­chen­de Wahr­schein­lich­keit steigt momen­tan eher als dass sie sinkt.

Ers­te Situa­ti­on: Pola­ri­sie­ren­de Dis­kus­sio­nen errei­chen eine Grup­pe von Ein­satz­kräf­ten, und es kommt zu Spal­tun­gen, die den Zusam­men­halt bzw. die Kame­rad­schaft gefährden.

Zwei­te Situa­ti­on: Es kommt zu als ver­fas­sungs­feind­lich zu kate­go­ri­sie­ren­den Aus­sa­gen oder Hand­lun­gen bspw. im Ein­satz selbst oder bei Fei­ern der Organisation.

Bevor wir uns nun mit den Hal­tun­gen und Hand­lungs­op­tio­nen von Füh­rungs­kräf­ten in die­sen bei­den Situa­tio­nen beschäf­ti­gen, sei betont, dass das nor­ma­le poli­ti­sche Spek­trum nichts ist, was Ein­satz­or­ga­ni­sa­tio­nen und ihre Füh­rungs­kräf­te etwas angeht. Auch ggf. pro­ble­ma­ti­sche gegen­sei­ti­ge Zuschrei­bun­gen sind nicht von Belang, so lan­ge sie nicht die Ein­satz­fä­hig­keit gefähr­den (ers­te Situa­ti­on) oder anti­de­mo­kra­tisch oder/und ver­fas­sungs­feind­lich sind (zwei­te Situation).

Die Ant­wort auf die Fra­ge, war­um ich mich als Füh­rungs­kraft einer an und für sich unpo­li­ti­schen Ein­satz­or­ga­ni­sa­ti­on ggf. doch mit poli­ti­schen The­men und Mei­nun­gen bzw. mit den Kon­se­quen­zen poli­ti­scher Hand­lun­gen für mei­ne Orga­ni­sa­ti­on beschäf­ti­gen muss, lau­tet: Ein­satz­kräf­te sind kei­ner poli­ti­schen Idee und schon gar nicht Per­so­nen ver­pflich­tet, wohl aber der Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Dar­aus ergibt sich für die Orga­ni­sa­ti­on ins­ge­samt die Anfor­de­rung, neu­tral zu sein. Für Füh­rungs­kräf­te ergibt sich dar­aus eine Vorbildfunktion.

Die ers­ten Schluss­fol­ge­run­gen lau­ten also:

Das nor­ma­le poli­ti­sche Spek­trum ist nichts, was Füh­rungs­kräf­te von Ein­satz­or­ga­ni­sa­tio­nen inter­es­sie­ren muss.
Die Orga­ni­sa­ti­on an und für sich ist neutral.
Füh­rungs­kräf­te haben eine Vorbildfunktion.
Füh­rungs­kräf­te müs­sen sich in zwei spe­zi­fi­schen Situa­tio­nen mit poli­ti­schen Fra­gen aus­ein­an­der­set­zen, näm­lich (a) wenn poli­ti­sche Dis­kus­sio­nen die Ein­satz­fä­hig­keit bzw. den Zusam­men­halt oder die Kame­rad­schaft gefähr­den oder (b) wenn es im Ein­satz oder im Zusam­men­hang mit Tref­fen oder Ver­an­stal­tun­gen der Orga­ni­sa­ti­on zu ver­fas­sungs­feind­li­chen Aus­sa­gen oder Hand­lun­gen kommt.

Nach die­sen ers­ten, noch eher all­ge­mei­nen Dar­stel­lun­gen lau­tet nun die Fra­ge, wie das in der Pra­xis kon­kret umzu­set­zen ist.

Der Boden der Verfassung

Zunächst ist es hilf­reich, sich unse­re Ver­fas­sung ein­mal als eine Art „Boden“ vor­zu­stel­len, auf dem man ste­hen kann. Wenn man sich die­sen Boden als eine run­de Flä­che vor­stellt, dann ste­hen wir als Mit­glie­der einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft tat­säch­lich in der Mit­te — auf dem Boden unse­rer Ver­fas­sung oder eben im Gel­tungs­be­reich der Ver­fas­sung. Am Rand die­ses Bodens befin­det sich eine Art „Grau­zo­ne“, wo jene zu fin­den sind, die die Ver­fas­sung oder „das Sys­tem“ infra­ge stel­len. Wei­ter „drau­ßen“ gibt es dann noch einen „roten Bereich“, in dem alle die­je­ni­gen zu fin­den sind, die die Ver­fas­sung nicht nur infra­ge stel­len, son­dern „das Sys­tem“ auch aktiv angrei­fen. Zur letzt­ge­nann­ten Grup­pe gehö­ren alle die­je­ni­gen, die ganz bewusst und aktiv dar­an arbei­ten, die demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung grund­le­gend zu ver­än­dern, also zual­ler­erst alle Ter­ro­ris­ten, unab­hän­gig davon, ob sie rechts­ra­di­kal, isla­mis­tisch oder links­ra­di­kal sind. Auch die akti­ve­ren Tei­le der Reichs­bür­ger­be­we­gung gehö­ren dazu. In der Grau­zo­ne hin­ge­gen sind die­je­ni­gen zu fin­den, die zwar radi­ka­le Gedan­ken tei­len, die­sen aber kei­ne aktiv angrei­fen­den Taten fol­gen las­sen, also bei­spiels­wei­se gemä­ßig­te­re Reichs­bür­ger oder auch coro­na-leug­nen­de Akti­vis­ten, die zwar gegen „das Sys­tem“ spre­chen, die­sen Hal­tun­gen aber kei­ne aktiv angrei­fen­den Taten fol­gen lassen.

Eine ein­deu­ti­ge Zuord­nung ist schwie­rig, zumal freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Kri­tik zu den grund­le­gen­den frei­heit­li­chen Merk­ma­len einer offe­nen und demo­kra­ti­schen Gesell­schaft gehö­ren. Gera­de ehe­ma­li­ge DDR-Bür­ger sind hier sehr sen­si­bel. Aber die Mon­tags­de­mons­tra­tio­nen der ehe­ma­li­gen DDR nun umzu­deu­ten in eine neu­er­lich frei­heit­li­che Bewe­gung gegen ein ach so auto­ri­tä­res und unde­mo­kra­ti­sches „Sys­tem Bun­des­re­pu­blik“ ist irre­füh­rend, denn wer wird denn für sei­ne Mei­nungs­äu­ße­rung heut­zu­ta­ge zuhau­se abgeholt?

Wann ist etwas „grau“ und wann „rot“? Und wann ist es „grau­rot“ oder „rot­grau“?

Ich kann mei­ne kri­ti­sche Mei­nung äußern und mich poli­tisch enga­gie­ren, dann blei­be ich auf dem Boden der Ver­fas­sung. Ich kann auch die demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung oder die Grund­la­gen der Bun­des­re­pu­blik infra­ge stel­len, dann bewe­ge ich mich in einer Grau­zo­ne. Wenn ich jedoch aktiv an der Abschaf­fung des „Sys­tems“ arbei­te oder sogar angrei­fe, dann bewe­ge ich mich außer­halb des Gel­tungs­be­rei­ches unse­rer Ver­fas­sung. Die Unter­schei­dung zwi­schen „Grau­zo­ne“ und „Angriff“ ist schwer, aber spä­tes­tens beim akti­ven Angriff auf Poli­zis­ten oder bei akti­vem Van­da­lis­mus wie beim G20-Gip­fel in Ham­burg soll­te die Kate­go­ri­sie­rung klar sein — auch wenn sich in Ham­burg über 100 ehren­amt­lich enga­gier­te Juris­ten bemüht haben, man­che akti­ve Angrei­fer nach der Ver­haf­tung mit recht­li­chen Mit­teln sofort wie­der auf den Boden der Ver­fas­sung zurück­zu­zie­hen. Min­des­tens so klar wie ein akti­ver Angriff liegt der Fall der Ver­wen­dung ver­fas­sungs­feind­li­cher Sym­bo­le auf offi­zi­el­len oder gar öffent­li­chen Veranstaltungen.

Letz­te­res sei an einem Bei­spiel ver­deut­licht: Gegen Ende eines „Män­ner­tags“ kamen zwei in wehr­machts­ähn­li­chen Uni­for­men (ohne Hoheits­zei­chen) geklei­de­te Män­ner auf einer Bei­wa­gen-Maschi­ne aus der Zeit des zwei­ten Welt­kriegs auf dem Grund­stück eines Gast­hofs an, auf des­sen Außen­flä­che sich noch etwa 100 Per­so­nen auf­hiel­ten. Die bei­den Män­ner park­ten das Fahr­zeug, stie­gen ab, lie­ßen die Hel­me auf dem Fahr­zeug lie­gen und zogen sich ins Inne­re des Gast­hofs zurück. Es war noch nichts gesche­hen, was in Deutsch­land ver­bo­ten wäre. Das geschah erst durch die Reak­tio­nen eines Teils des Publi­kums: Als die bei­den Män­ner mit dem Motor­rad anka­men, setz­te sich ein Teil der Anwe­sen­den in Bewe­gung. Man rann­te — und grüß­te auf ver­bo­te­ne Art — in Rich­tung des Motor­rads. Die bei­den Fah­rer grü­ßen nicht auf ver­bo­te­ne Art zurück, son­dern schüt­tel­ten Hän­de, lie­ßen ihre Hel­me da und ver­schwan­den. Der begeis­ter­te Teil der Anwe­sen­den mach­te nun Sel­fies — mit Helm, ohne Helm, mit Gruß, ohne Gruß. Zehn Minu­ten spä­ter hat­te man sich aus­ge­tobt, und das Motor­rad stand unbe­ach­tet da, bis die Her­ren aus dem Gast­hof kamen und wie­der abfuhren.

Die Fra­ge wäre nun, was es für Füh­rungs­kräf­te von Ein­satz­or­ga­ni­sa­tio­nen bedeu­tet, wenn etwas Ähn­li­ches in ihrem „Beritt“ auf­tritt, also bei­spiels­wei­se bei einem Fest. Dann ist es Zeit, Posi­ti­on zu bezie­hen und zu han­deln. So etwas geht nicht im Bereich einer neu­tra­len Einsatzorganisation.

Ein Maß­stab für das Han­deln von Führungskräften

Als Füh­rungs­kraft muss ich mir dazu noch nicht ein­mal irgend­wel­che kom­pli­zier­ten Argu­men­te zurecht­le­gen. Ich kann es mir ein­fach machen. Dazu muss ich nur an den Zweck mei­ner Orga­ni­sa­ti­on den­ken: Der Zweck mei­ner Orga­ni­sa­ti­on ist es, Leben zu ret­ten, Gefah­ren zu besei­ti­gen, Unfäl­le zu ber­gen, Feu­er zu löschen usw. Die­ser Zweck ist neu­tral, und ich muss als Ver­tre­ter der Orga­ni­sa­ti­on sowohl nach außen als auch nach innen neu­tral auftreten.

Wenn ich vom Zweck der Orga­ni­sa­ti­on her den­ke, dann lei­ten sich dar­aus bestimm­te Wer­te und Zie­le ab, wodurch wie­der­um ein Maß­stab für das Han­deln von Füh­rungs­kräf­ten und Kol­le­gen bzw. Kame­ra­den entsteht.

Wenn ich die­se Vor­stel­lung kon­se­quent anwen­de, dann ergibt sich aus dem Zweck der Orga­ni­sa­ti­on (= Hil­fe in Not­la­gen ohne Anse­hen von Sta­tus, Haut­far­be usw.) ein gewis­ser Maß­stab, eine gewis­se „Ethik“, und die­se Ethik hat einen Gel­tungs­be­reich (wäh­rend des Ein­sat­zes, in den Räum­lich­kei­ten der Orga­ni­sa­ti­on, wäh­rend Bespre­chun­gen, Diens­ten und ande­ren Zusam­men­künf­ten, auf Ver­an­stal­tun­gen, an denen man als Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied teil­nimmt). Als Füh­rungs­kraft kann ich nun einen „Bereich mög­li­cher Ein­zel­mei­nun­gen“ vom „Gel­tungs­be­reich der Ethik der Orga­ni­sa­ti­on“ unterscheiden.

Wenn also jemand eine poli­ti­sche Ein­zel­mei­nung vor­trägt, dann ist das erst ein­mal nicht schäd­lich. Im Gegen­teil: Poli­ti­sche Dis­kus­sio­nen kön­nen und sol­len statt­fin­den. Das gehört zur Demo­kra­tie. Füh­ren immer wie­der vor­ge­tra­ge­ne Mei­nun­gen aber lang­sam zur Spal­tung der Grup­pe oder gar zur Ver­min­de­rung der Ein­satz­fä­hig­keit, dann muss ich als Füh­rungs­kraft handeln.

Ein Bei­spiel:

In einer Feu­er­wehr gibt es ein akti­ves Mit­glied, das sich immer wie­der der­art über Coro­na-Maß­nah­men äußert („Ich glau­be nicht, dass es die­ses Virus gibt. Wer weiß, was die mit dem Mist bezwe­cken. Ihr lasst Euch alle schön mani­pu­lie­ren.“), dass eini­ge Grup­pen­mit­glie­der es satt haben. Sie sind genervt, wol­len von dem The­ma nichts hören, sagen das dem Kol­le­gen auch, die­ser gibt aber kei­ne Ruhe. Das The­ma droht, die Grup­pe zu spal­ten. Eini­ge Kol­le­gen haben dem Wehr­lei­ter gesagt, dass sie kei­ne Lust mehr haben, zum Dienst zu kom­men, wenn der betref­fen­de Kol­le­ge da ist. Was immer ihn so ver­bit­tert habe wer­den las­sen — man wol­le sich von einem Ein­zel­nen nicht die Lau­ne ver­der­ben lassen.

Was kann der Wehr­lei­ter hier tun?

Er kann das Gespräch mit dem betref­fen­den Kol­le­gen suchen. Er kann zuhö­ren, und er kann den Kol­le­gen bit­ten, die Äuße­run­gen zu redu­zie­ren oder ganz zu unter­las­sen. Er kann auch eine Aus­spra­che mit der Grup­pe orga­ni­sie­ren, in der die Kol­le­gen zum Aus­druck brin­gen, was sie an ihrem Kol­le­gen schät­zen und was nervt. Der Wehr­lei­ter kann zudem das Mit­ein­an­der stär­ken, indem er gemein­sa­me Akti­vi­tä­ten orga­ni­siert, an denen der betref­fen­de Kol­le­ge teil­nimmt. Viel­leicht muss er den betref­fen­den Kol­le­gen auch ein­mal zu einer sol­chen Akti­vi­tät zuhau­se abho­len, weil er von allei­ne nicht mehr kom­men wür­de, nach­dem er bei einer Aus­spra­che eine „Breit­sei­te“ bekom­men hat. Viel­leicht kommt der Kol­le­ge auch nicht zu einem Ein­zel­ge­spräch. Dann kann der Wehr­lei­ter noch bei ihm klin­geln und das Gespräch suchen.

Das waren die net­ten Metho­den. Wenn Schrit­te aus die­sem eher wei­chen Reper­toire nichts hel­fen, kann der Wehr­lei­ter noch eine Ansa­ge machen: „Ja, das kann alles sein. Als Feu­er­wehr sind wir eine Orga­ni­sa­ti­on, die einen bestimm­ten Zweck hat, und um die­sen Zweck zu erfül­len, brau­chen wir Zusam­men­halt und müs­sen uns an Regeln hal­ten. Du kannst Dei­ne Pri­vat­mei­nung haben. Ich bit­te Dich, die­se hier ent­we­der zurück­zu­hal­ten oder so zu äußern, dass die Kame­rad­schaft dar­un­ter nicht lei­det. Du bist ein wich­ti­ger Kame­rad, und ich habe als Wehr­lei­ter auf das Mit­ein­an­der zu ach­ten. Wenn es so wei­ter­geht und sich nichts ändert, sehe ich das Mit­ein­an­der in Gefahr.“

Wenn es um poli­tisch-radi­ka­le oder gar ras­sis­ti­sche Äuße­run­gen geht, könn­te die ent­spre­chen­de „Ansa­ge“ des Wehr­lei­ters wie folgt lau­ten: „Als Feu­er­wehr sind wir eine Orga­ni­sa­ti­on, die einen bestimm­ten Zweck hat. Die­sem Zweck ord­net sich, so lan­ge Ihr hier seid, alles ande­re unter. Bei uns steht im Ein­satz der Mensch im Vor­der­grund, der Hil­fe braucht. Es gibt für uns im Ein­satz kei­ne Ungleich­be­hand­lung. Des­halb haben sol­che Sprü­che hier nichts zu suchen. Verstanden?“

An sol­chen Stel­len kommt es mei­nes Erach­tens gar nicht so sehr auf kom­mu­ni­ka­ti­ves Fin­ger­spit­zen­ge­fühl an, son­dern eher auf den Mut und den Wil­len zu einer kla­ren Ansa­ge. Sehr zuge­spitzt for­mu­liert geht es dar­um, den Zweck der Orga­ni­sa­ti­on zu schüt­zen und Mit­glie­dern nicht zu erlau­ben, ihre Pri­vat­mei­nung über den Zweck der Orga­ni­sa­ti­on zu stel­len. Der Orga­ni­sa­ti­ons­zweck steht — zumin­dest im Ein­satz und eigent­lich auch für die Dau­er mei­ner Anwe­sen­heit in der Orga­ni­sa­ti­on — immer über der ein­zel­nen Person.

Wenn nun aber Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der ihre eige­nen Ein­stel­lun­gen für so wich­tig hal­ten, dass sie nicht dar­auf ver­zich­ten kön­nen, sie mit­zu­tei­len, obwohl die Ein­stel­lun­gen geeig­net sind, die Trup­pe zu spal­ten (ers­te Situa­ti­on), oder sogar ver­fas­sungs­feind­lich sind (zwei­te Situa­ti­on), dann stel­len sich die­se Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der qua­si über die Orga­ni­sa­ti­on — und neh­men ggf. Nach­tei­le für die Orga­ni­sa­ti­on in Kauf (bzw. schaf­fen die­se sogar selbst!), deren Mit­glied sie eigent­lich sind. Einem Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied muss das nicht zwin­gend bewusst sein — einer Füh­rungs­kraft soll­te das jedoch bewusst sein, und zwar sowohl, was die eige­nen Hand­lun­gen als auch die der zu füh­ren­den Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der betrifft.

Noch ein Beispiel:

Wenn ich glau­be, dass Mas­ken gesund­heits­schäd­lich sind, dann kann ich als ein­zel­ne Per­son, als Mensch das glau­ben. Aber wenn ich als die­ser Mensch, der ich bin, für eine Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on arbei­te, dann kann ich inner­halb des Gel­tungs­be­reichs der Regeln der Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on nicht ver­lan­gen, dass die Mas­ken­pflicht infra­ge gestellt wird oder selbst kei­ne Mas­ke tra­gen. In der Pra­xis geschieht genau das den­noch oft genug — aber es ist im Grun­de völ­lig widersprüchlich.

Eine Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on ist für Men­schen da, muss also u.a. alles Mög­li­che für die Mini­mie­rung von Fremd­ge­fähr­dun­gen durch die eige­nen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter tun. Und selbst wenn eines Tages her­aus­kom­men soll­te, dass Mas­ken gesund­heits­schäd­lich sind und die Coro­na-Anste­ckungs­zah­len gar nicht ver­rin­gern, müss­te man, so lan­ge die­se Erkennt­nis nicht eini­ger­ma­ßen unab­hän­gig gesi­chert wäre, den­noch alles Mög­li­che für die Mini­mie­rung der Fremd­ge­fähr­dung tun — also Mas­ken tra­gen. Man kommt als Ange­hö­ri­ger einer Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on also nicht drum­her­um — zumin­dest so lan­ge nicht, bis min­des­tens Drit­te, also unab­hän­gi­ge, wahr­schein­lich wis­sen­schaft­li­che Instan­zen die Gefähr­lich­keit von Mas­ken fest­stel­len UND die eige­ne Orga­ni­sa­ti­ons­lei­tung die­sen Erkennt­nis­sen folgt und die haus­in­ter­nen Regeln ändert.

Also muss man ent­we­der das Lamen­tie­ren und Dis­ku­tie­ren las­sen — oder aus der Erhe­bung der eige­nen Mei­nung über den Orga­ni­sa­ti­ons­zweck Kon­se­quen­zen zie­hen und die Orga­ni­sa­ti­on verlassen.

Wenn etwas ganz kon­tro­vers dis­ku­tiert wird, muss man das ggf. so deut­lich ansa­gen. Wenn die Pri­vat­mei­nung wirk­lich so wich­tig ist, dass man den Ver­bleib in der Orga­ni­sa­ti­on ris­kie­ren möch­te, bit­te­schön. Dann hat man als Füh­rungs­kraft die Been­di­gung der Mit­glied­schaft einzuleiten.

Unter­schied­li­che Maß­stä­be für Kame­ra­den bzw. Kol­le­gen und Füh­rungs­kräf­te: Die her­aus­ge­ho­be­ne Rol­le der Führungskraft

Wenn man kon­se­quent vom Zweck der Orga­ni­sa­ti­on her denkt, hat man es als Füh­rungs­kraft ein­fa­cher, Ori­en­tie­rung zu geben und Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Man muss dann nicht jede neue Situa­ti­on von Neu­em ana­ly­sie­ren, son­dern man hat einen auf vie­le Situa­tio­nen über­trag­ba­ren Maß­stab. Aller­dings gibt es bei der Anwen­dung des Maß­stabs Unter­schie­de. Es ist etwas ande­res, den Maß­stab an Kame­ra­den oder Mit­ar­bei­ter anzu­le­gen als an Führungskräfte.

Die­ser Unter­schied wird am ehes­ten deut­lich, wenn wir uns ein ver­hält­nis­mä­ßig zuge­spitz­tes Bei­spiel vor­stel­len. Neh­men wir eine Demons­tra­ti­on, deren Red­ner das „Sys­tem Bun­des­re­pu­blik“ infra­ge stel­len. Darf ein Kol­le­ge oder Kame­rad auf eine sol­che Demons­tra­ti­on gehen? Ja, er darf. Das ist sein Recht, das ist viel­leicht sein Inter­es­se und mög­li­cher­wei­se auch sei­ne Mei­nung. Und darf das eine Füh­rungs­kraft? Ja, auch die Füh­rungs­kraft darf das — ganz grund­sätz­lich darf sie das.

Aber ist es auch schick­lich? Ist es vor dem Hin­ter­grund ihrer Rol­le als Füh­rungs­kraft einer — neu­tra­len! — Ein­satz­or­ga­ni­sa­ti­on auch ange­mes­sen? Sind nicht Wehr­lei­ter oder Ret­tungs­dienst­lei­ter Men­schen, die eine, gesell­schaft­lich gese­hen, all­par­tei­li­che Rol­le spie­len sollten?

Füh­rungs­kräf­te im Ret­tungs­dienst und bei den meis­ten Feu­er­weh­ren sind, anders als Poli­zis­ten, kei­ne Beam­ten. Sie unter­lie­gen for­mal also nicht den durch­aus hohen Maß­stä­ben für Staats­be­diens­te­te, wenn es um die Äuße­rung poli­ti­scher Mei­nun­gen geht.

Wenn ich aber Füh­rungs­kraft einer Orga­ni­sa­ti­on wie dem Ret­tungs­dienst oder der Feu­er­wehr bin, bin ich nicht mehr nur Pri­vat­per­son, son­dern auch in gewis­sem Maße ein offi­zi­el­ler Ver­tre­ter einer an und für sich poli­tisch neu­tra­len Orga­ni­sa­ti­on. Also bin ich in eben jener gewis­sen Wei­se auch der Neu­tra­li­tät mei­ner Orga­ni­sa­ti­on ver­pflich­tet — und zwar stär­ker als das ein­fa­che Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied. Als Füh­rungs­kraft bin ich ja ein Ver­tre­ter mei­ner Orga­ni­sa­ti­on in einer her­aus­ge­ho­be­nen und — zumin­dest poten­ti­ell — auch öffent­lich­keits­wirk­sa­men Rol­le. Als ein her­aus­ge­ho­be­ner Ver­tre­ter bin ich, zumin­dest teil­wei­se, eine öffent­li­che Per­son, ein öffent­lich wahr­nehm­ba­rer Ver­tre­ter einer an und für sich neu­tra­len Orga­ni­sa­ti­on. Und als ein sol­cher bin ich zwar immer auch noch Pri­vat­per­son und kann pri­va­te Mei­nun­gen haben, aber ich muss beim Äußern die­ser Mei­nun­gen auch immer mein zumin­dest poten­ti­ell öffent­lich­keits­wirk­sa­mes Amt berücksichtigen.

Des­halb habe ich als Füh­rungs­kraft einer Hilfs- oder Ein­satz­or­ga­ni­sa­ti­on nichts auf Ver­an­stal­tun­gen zu suchen, in deren Rah­men das „Sys­tem“ infra­ge gestellt oder gar ange­grif­fen wird. Sonst wür­de ich ja qua­si mei­ne Pri­vat­mei­nung über die Neu­tra­li­tät der Orga­ni­sa­ti­on stel­len — das geht aber nicht, denn ich habe ja ein­ge­wil­ligt, in einer öffent­lich rele­van­ten, poli­tisch aber neu­tra­len Orga­ni­sa­ti­on eine Füh­rungs­po­si­ti­on zu bekleiden.

Damit ord­ne ich mich dem Zweck der Orga­ni­sa­ti­on so stark unter, dass ich mei­ne pri­va­te Mei­nung zumin­dest nicht öffent­lich in Kon­trast zur Neu­tra­li­tät der Orga­ni­sa­ti­on stel­len kann.

Oder was wür­de die öffent­li­che Mei­nung sagen, wenn die Che­fin eines Impf­zen­trums auf einer öffent­li­chen Ver­an­stal­tung von Quer­den­kern auf­tre­ten würde?

Jörg Hei­dig