Einerseits sonnt man sich in Berlin und anderswo so gern in dem, was Willkommenskultur genannt wird. Andererseits ist es eine beinahe vollständige Fehlannahme, wenn man meint, dass diese Willkommenskultur auch ausreichend Lern- und Arbeitsmöglichkeiten oder wenigstens die notwendige Unterstützung bedeuten würde.
Jede und jeder, die oder der sich einmal in der Angelegenheit eines Migranten oder einer Migrantin mit Behörden auseinandergesetzt oder versucht hat, die Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses zu beschleunigen, damit es eben nicht JAHRE dauert, weiß, worüber ich hier schreibe.
Man holt die Leute her, indem man in Berlin laut WILLKOMMEN ruft und die Grundsicherung ausweitet. Aber dann lässt man die Willkommenskandidaten am langen Arm der Bürokratie verhungern. Wir versorgen die Leute zwar, aber wir kümmern uns nicht um sie.
Eine Ministerin phantasiert derweil ein Wahlrecht für Flüchtlinge herbei, hat aber offensichtlich keinen blassen Dunst von den Problemen derjenigen, die hier Asyl bekommen UND arbeiten wollen. Ganz zu schweigen von den Problemen derjenigen, die sich vorstellen können, herzukommen und zu arbeiten, weil sie Lust dazu haben und eine entsprechende Qualifikation besitzen.
Diese Menschen könnten arbeiten und würden es auch wollen, aber allzu viele können es dann doch nicht, weil es ungefähr eintausendachthundert undurchsichtige Zuständigkeiten und Wege gibt — und weil es am Ende oft viel zu lange dauert.
Aber nein, das ist nicht richtig, das ist völlig übertrieben!
Wer dieses Problem laut anspricht, wird mindestens ignoriert, wenn nicht angegriffen. Wer meint, wir seien vor allem für Flüchtlinge attraktiv, aber weniger für qualifizierte Migranten, die wir dringend bräuchten, wird, wenn sie oder er Pech hat, rechter Tendenzen verdächtigt oder gleich zum Nazi gemacht.
Eigentlich müssten wir uns um die, die da sind, gut kümmern. Aber genau das tun wir eben nicht, sondern wir pflegen unsere Pose als Gutmenschen, indem wir immer mehr Leute herholen — um sie dann mit Wohnsitzpflicht, knappen Deutschkursen, abertausend bürokratischen Hürden — und letztlich eben auch der Grundversorgung — von der Arbeitsaufnahme abzuhalten. Wir machen unser Land dank Bürgergeld für viele attraktiv — nur nicht so sehr für diejenigen, die wir angesichts des Fachkräftemangels vor allem gebrauchen könnten.
Die Kombination aus Bürgergeld UND Anerkennungsbürokratie bei den Qualifikationen und Vorerfahrungen hält am Ende auch viele derjenigen ab, die ansonsten vielleicht gern gearbeitet hätten. Schaut man bspw. im europäischen Vergleich auf den Anteil der ukrainischen Flüchtlinge, die mittlerweile Arbeit haben, liegt Deutschland hinten. Wie kommt das nur?
Natürlich hat das rein gar nichts mit der Grundsicherung zu tun! Wenn jemand zu sagen wagt, dass es AUCH Sozialleistungstourismus gibt, kriegt er zu Recht eins auf den Deckel! Eigentlich müsste er sofort zurücktreten, ausgeschlossen werden; irgendwas muss man da doch machen können!
Dass hier eine regelrechte „Kultur der Abhängigkeit“ geschaffen wird, kann man nicht ansprechen, ohne dass man sich dem Vorwurf aussetzt, mindestens irgendwie „rechts“ zu sein.
Tatsächliche Integrationseffekte sind vor allem auf persönliches Engagement zurückzuführen. Wer diese Arbeit macht, weiß, dass man in vielen Fällen nur dann einen Unterschied machen kann, wenn man sich über das Maß der Dinge hinaus engagiert. Mitunter muss man sich so richtig aus dem Fenster lehnen.
Ich war und bin kein Freund der Willkommenskultur. Ich fand das „Wir schaffen das!“ der damaligen Bundeskanzlerin anmaßend, manipulativ und unrealistisch. Sie hat einfach keine Ahnung, was diese Arbeit praktisch bedeutet, dachte ich; sie weiß nicht, dass ihr Land und vor allem seine Behörden darauf nicht vorbereitet sind — und vor allem hat sie keine Ahnung davon, was passiert, wenn man „Kommt nur, kommt…“ ruft und keine Kontrollen durchführt.
Gelungene Integration dauert viel länger und ist viel aufwendiger, als man sich vorstellen kann (oder will). Klar kann man auch nach dem Schmelztiegel-Modell vorgehen — Amerika ist ja auch noch nicht abgebrannt. Aber dann muss man sich auch nicht über die Wahlergebnisse der AfD wundern. Die besten Wahlkämpfer der AfD sitzen heuer nicht in den Büros dieser Partei, sondern in den Büros anderer Parteien.
Oder man müsste zum Einwanderungsland werden — mit entsprechenden Behörden und Prozessen. Aber genau das tun die derzeit Regierenden eben auch nicht. Man redet zwar in Berlin — also der Herr Sch. redet vielleicht nicht so viel, aber die anderen — aber dann… tut man eben doch… irgendwie nichts. Damit bleiben wir für die attraktiv, die keine Wahl haben — oft aus mehr als verständlichen Gründen. Das ist alles andere als falsch. Aber dann müsste man sich um diese Leute auch gut kümmern. Und das schafft dieses Land vielleicht für 200.000 Menschen pro Jahr, aber nicht für viel mehr. Und eins müsste den derzeit Regierenden klar werden, im Besonderen jener Ministerin, die ein Wahlrecht für Flüchtlinge herbeifabuliert: Rhetorik allein löst das Problem nicht. Das Tun müsste der Rhetorik angepasst werden, aber diesbezüglich stimmen weder die Mittel noch die Kapazitäten.
Statt uns tatsächlich vernünftig um die Menschen zu kümmern, die da sind, und statt endlich einmal einen klaren Standpunkt zu unkontrollierten illegalen Grenzübertritten zu beziehen, eine Obergrenze festzulegen und diejenigen, die ankommen, vernünftig zu kontrollieren, und diejenigen, die bleiben, vernünftig zu betreuen, verlieren wir uns in politisch korrekter Belehrungs-Rhetorik auf der einen und bürokratischen Hürden auf der anderen Seite.
Anstatt angemessen für diejenigen zu sorgen, die da sind, konzentrieren wir uns darauf, Grundsatzdiskussionen zu führen. Ein Beispiel: Die Integration arabischsprachiger Menschen bleibt oft genug eine große Herausforderung — über die man aber nicht offen sprechen kann, ohne als Rassist abgestempelt zu werden — von Leuten, die von der KONKRETEN Überwindung der Sprachbarriere in der Regel keine Ahnung haben. Man soll keine Vorurteile haben. Jawohl. Aber man soll auch der Realität ins Gesicht schauen. Heraus kommt ein konkreter, pragmatischer Ansatz. Man schaut darauf, was es braucht und was man tun kann. Demut ist die Tugend, sich selbst im Kontext einer gegebenen Situation zu verstehen: Tue, was Du kannst, dort, wo Du bist, so gut es eben geht. Nicht: Wir müssen…! Oder: Ihr dürft das so nicht sagen! Solcherlei Kommandos sind so einfach! Die Debatte wird damit aber auf Nebenschauplätze verlagert, anstatt konkrete Veränderungen anzugehen. Unsere ideologischen Diskussionen helfen niemandem, schon gar nicht den Betroffenen.
Man verstehe diesen Text nicht als Bürokratie-Bashing. Persönliche Gespräche in Ausländerbehörden zeigen, wie überlastet die Verwaltung an vielen Orten ist. Aber anstatt das zu sehen und sich um vernünftige Gesetze und Prozesse zu kümmern, verlieren sich die Verantwortlichen eben in den beschriebenen Grundsatzdiskussionen.
In den Medien die ausländerfreundliche Heldin zu spielen ist zehnmal einfacher, als sich um die konkreten Belange konkreter Menschen zu kümmern. Der Idealismus wächst proportional mit dem Abstand vom Problem, hat ein geschätzter Kollege vor ein paar Tagen zu mir gesagt. Und er hat wahrscheinlich Recht.
In Zeiten des Fachkräftemangels ist es ohnehin eine interessante Frage, wie es mit der aufgeblasenen deutschen Verwaltung weitergeht. Vieles wird wohl schlicht aus Personalmangel wegfallen. Verwaltungsreform durch Personalmangel? Womöglich werden Elemente künstlicher Intelligenz allein deshalb eingeführt, weil zu wenige qualifizierte Leute da sind.
Das hilft denen aber nichts, die zu uns kommen und vernünftig integriert werden müssen.
PS: Ich kann mir vorstellen, dass dieser Beitrag mancher Leserin oder manchem Leser übertrieben erscheint. Zur Illustration seien hier zwei authentische (= selbst erlebte) Beispiele wiedergegeben:
Beispiel 1: Oldest European alive
Der Krieg in der Ukraine bricht aus. Ich habe gerade meine Nachbarwohnung gekauft, aus der die Mieter gerade ausziehen. Ich spreche eine slawische Sprache fließend, eine zweite so lala, eine dritte verstehe ich einigermaßen. Irgendwie geht das schon, denke ich, und Platz habe ich, also nehme ich eine ukrainische Familie auf. Ich melde die Leute unter anderem bei einer Krankenkasse an. Die Krankenkassenkarten kommen. Dann ruft eine Arztpraxis an. Man hätte Probleme mit der Abrechnung, weil das Geburtsdatum falsch sei. Statt 1981 stehe da 1881. Ich prüfe das, es stimmt. Auf der Karte steht 1881. Vor Jahren ist die letzte Person in Europa, die noch im 19. Jahrhundert geboren wurde, gestorben. Das habe ich in einer Zeitung gelesen. Das Geburtsjahr der Person war 1899. 1881 ist also rein faktisch nicht mehr möglich. Ich schicke der Krankenkasse ein Bild von der Karte mit der Bitte, das zu korrigieren. Eine neue Karte kommt — wieder mit 1881. Ich rufe noch einmal an. Man gibt es weiter. Ein Rückruf: Man könne das nicht korrigieren. Es liege an irgendeiner Nummer bei der Rentenkasse. Ich sage: Ich habe nie mit der Rentenkasse gesprochen. Ich habe im Namen der Leute nur einen Krankenkassenantrag ausgefüllt. Ja, das verstehe man, aber das Problem liege bei der Rentenkasse. Ich: Ich habe eine Krankenkassenmitgliedschaft für die Leute beantragt, und auf dem Antrag stehe die korrekte Angabe des Jahres. Alles andere sei automatisch gelaufen. Irgendwo müsse da ein Fehler passiert sein. Das sei eben so, antwortet man mir. Wochen später kommt erneut eine Krankenkassenkarte: Wieder mit 1881. Meine Nachbarin ist nach wie vor die älteste lebende Europäerin. Natürlich nur auf dem Papier. Aber der Fehler lässt sich nicht beheben. Ich habe irgendwann aufgehört, dem Problem hinterherzutelefonieren.
Beispiel 2: Huhu, Willkommenskultur!
Um überhaupt als ukrainischer Flüchtling registriert zu werden, muss man in die Ausländerbehörde. Also los. Erst reichte es, sich einfach anzumelden. Ab September 2022 brauchte man einen Mietvertrag. Ohne Mietvertrag kam man nicht mehr zur Registrierung in die Ausländerbehörde. Wir kommen Anfang September 22 in die Ausländerbehörde: „Das hat sich gestern geändert, seit gestern brauchen Sie einen Mietvertrag“, sagt die unfreundliche Dolmetscherin. Sie sitzt mit zwei Herren von der Sicherheit in dem Anmeldekabuff. Irgendwie sind wir dann doch reingekommen, frage nicht, nach welchen Diskussionen. Nach der Registrierung geht mit der Anmeldung des Wohnsitzes auch eine Meldung an die GEZ raus. Huhu, Willkommenskultur: „Wir wollen, dass Ihr herkommt, aber wir schicken Euch, auch wenn Ihr kein Geld habt, alle paar Wochen einen Drohbrief, dass Ihr für ein paar für Euch vollkommen sinnlose Fernsehsender Geld bezahlen müsst. Wenn Ihr das nicht versteht, schicken wir Mahnungen und später gelbe Briefe. Wenn Ihr vor lauter Angst das Geld bezahlt habt und es später jemand an Eurer Stelle merkt und in Eurem Namen einen Brief schreibt, bekommt Ihr das Geld nicht zurück. Stattdessen bekommt Ihr monatlich neue Drohbriefe. Achso, natürlich, Ihr seid ja Flüchtlinge und man hat Euch Grundsicherung bewilligt, aber Ihr müsst wissen, wie man die gefühlt achtunddreißig Seiten Jobcenter-Antrag alle sechs Monate ausfüllt, und dann müsst Ihr genau gucken, entziffern kann man es nicht, wenn man kein Deutsch kann, und verstehen kann man es in vielen Fällen auch dann nicht, wenn man Deutsch kann, aber irgendein neuntes oder dreizehntes Blatt des Bescheides vom Jobcenter, den Ihr natürlich nicht versteht, jenes neunte oder dreizehnte Blatt jedenfalls, das müsst Ihr an das Fernsehen schicken, aber nein, nicht an das Fernsehen, sondern an die Gebühreneinzugszentrale; frag mich nicht, warum man in Deutschland für das Fernsehen bezahlen muss; ja, da kommt gerade eine Sendung über Geschlechteridentität bei Jugendlichen; dass das Fernsehen bezahlt werden muss, hat mit dem Hitler zu tun; ja, ich weiß, das musst Du nicht verstehen; Deine Oma war als Ostarbeiterin in Deutschland, ja, klar, siehst Du, deshalb muss jeder Deutsche Geld für das Fernsehen bezahlen, nein, das verstehst Du falsch, eben damit nie wieder jemand aus der Ukraine in Deutschland Zwangsarbeit leisten muss; achso, die Russen sind jetzt die Bösen, aber damals waren die Sowjets die Guten, und manche Ukrainer waren auf deutscher und manche auf sowjetischer Seite, aber Deine Oma, die war Zwangsarbeiterin oder eben Ostarbeiterin, wie man früher gesagt hat. Achso, und eigentlich musst Du das nicht bezahlen, aber dann musst Du immer diesen Zettel aus dem Stapel vom Jobcenter suchen und an das Fernsehen schicken. Ja, das musst Du alle paar Monate machen. Hast Du das deutsche Fernsehen schonmal gesehen? In der Mediathek gibt es schöne Märchen. Komm, ich zeig sie Dir. Klar, verstehst Du nicht. Und nein, diesen Brief darfst Du nicht vergessen. Wenn Du diesen Brief nicht wegschickst, musst Du bezahlen. Und ja, ich weiß, Ihr habt 110 Euro aus Angst bezahlt wegen der Mahnung in dem gelben Brief. Ich habe zweimal hingeschrieben in Eurem Namen. Das Geld kommt offensichtlich nicht zurück. Ich weiß leider nicht, warum. Das ist alles Unsinn, aber ich kann Dir leider nicht erklären, warum das Unsinn ist, Du es aber trotzdem machen musst.“