Fragen stellen, nicht diskutieren: zum Umgang mit schwierigen Weiterbildungsgruppen

Die Aus­gangs­si­tua­ti­on

An einem regen­ver­han­ge­nen Sams­tag­mor­gen muss Peter K. zu einer Wei­ter­bil­dung. Er hat kei­ne Lust, will lie­ber den Gar­ten win­ter­fest machen. Aber er muss. Jedes Jahr drei Tage. Don­ners­tag, Frei­tag, Sams­tag. Zwei Tage sind offi­zi­el­le Arbeits­zeit. Dass sie am Sams­tag „auf eige­ne Kos­ten“ teil­neh­men, wird von den Mit­ar­bei­tern ein­fach erwar­tet. Eini­ge The­men hat er schon gefühl­te hun­dert Mal gehört. Er kommt an, der Raum ist schon voll, es riecht nach nas­sen Jacken. Die Jalou­sien hän­gen schief, die Rauh­fa­ser hät­te schon vor Jah­ren einen neu­en Anstrich ver­tra­gen. Der Kaf­fee­au­to­mat auf dem Gang ras­selt und pro­du­ziert etwas, das Peter K. nicht Kaf­fee nen­nen will. Dann kommt der Dozent, begrüßt die Teil­neh­mer und stellt sein The­ma vor. Jemand stöhnt ver­nehm­lich. Der Dozent recht­fer­tigt sich, dass das The­ma mit der Aka­de­mie so ver­ein­bart sei. Ob man sich nicht vor­stel­len kön­ne, dass man das in der Pra­xis gebrau­chen kann. Lei­ses Brum­men in der Grup­pe. Peter K. mel­det sich und sagt, dass er das The­ma schon kennt und dass er eigent­lich kei­ne Lust hat, sei­nen Sams­tag dafür zu opfern.

Was macht der Dozent? Legt einen drauf und sagt den fol­gen­den Satz: „Sie sind nicht ver­pflich­tet, an die­ser Wei­ter­bil­dung teil­zu­neh­men. Sie kön­nen ger­ne gehen und schau­en, ob Sie eine bes­se­re Wei­ter­bil­dung finden.“

Was sagt der Dozent damit über sich aus? Kom­mu­ni­ka­ti­on ist in der Regel auf Selbst­schutz aus­ge­rich­tet. Wir kom­mu­ni­zie­ren nicht offen, son­dern so, dass wir unser Gesicht wah­ren und unan­ge­neh­me Din­ge ver­pa­cken. Klappt das nicht, ver­tei­di­gen wir uns direkt durch Recht­fer­ti­gun­gen, Gegen­an­grif­fe etc.

Was könn­te der Dozent statt­des­sen tun?

  1. Wenn ein Pro­blem auf­tritt, dann kann man dar­aus etwas ler­nen: Wenn Semi­nar­teil­neh­mer dis­ku­tie­ren oder mit dem Ange­bot nicht zufrie­den sind, ist das in der Regel ein Zei­chen für Moti­va­ti­on. Man kann sich auf die Zie­le eini­gen, also erst Erwar­tun­gen abfra­gen, dann das eige­ne Ziel und die vor­be­rei­te­te Struk­tur erläu­tern (oder umge­kehrt) und sich dann eini­gen. Das hebt Lau­ne und Moti­va­ti­on oft schon erheblich.
  2. Schein­bar Uner­träg­li­ches wird sofort erträg­li­cher, wenn man dar­über spricht: Bei halb oder ganz ver­pflich­te­ten Teil­neh­mern kann es hel­fen, die ers­te Zeit des Semi­nars nur zum „Meckern“ zu ver­wen­den. Man stellt viel­leicht eini­ge Fra­gen und lässt die Teil­neh­mer erst ein­mal erzäh­len. Nach einer Wei­le mit wei­te­ren Fra­gen stellt man dann die ent­schei­den­de Fra­ge: „Und was müss­te pas­sie­ren, damit Sie hier trotz­dem etwas davon haben?“
  3. Wich­tig ist, dass man nicht anfängt zu dis­ku­tie­ren: Ob jeman­dem eine Wei­ter­bil­dung gefällt, ist immer eine sehr indi­vi­du­el­le Fra­ge. Dis­ku­tiert man und recht­fer­tigt man sich, kommt zu den indi­vi­du­el­len Ein­wän­den schnell noch die Grup­pen­dy­na­mik hin­zu, und dann wird es kom­pli­zier­ter. Fragt man hin­ge­gen gezielt nach und fragt man auch zurück­hal­ten­de Per­so­nen nach ihrer Mei­nung, wird man des „Bin­ne­spek­trums“ der Mei­nun­gen der Anwe­sen­den gewahr und läuft nicht Gefahr, sich an der Mei­nung weni­ger „fest­zu­bei­ßen“. Durch Dis­kus­si­on ent­steht schnell schlech­te Stim­mung, die auch auf die anfangs noch offe­nen Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer übergreift.
  4. Durch Fra­gen kom­me ich an Infor­ma­tio­nen dar­über, wie es trotz­dem funk­tio­nie­ren kann: Selbst in ganz kom­pli­zier­ten Grup­pen kippt die Kri­tik erfah­rungs­ge­mäß nach etwa 30 Minu­ten ins Posi­ti­ve, wenn man es nur schafft, immer wei­ter zu fra­gen und die Kri­tik nicht per­sön­lich zu neh­men. Dabei soll­te man auch sei­ne Rol­le klä­ren: Was kann ich anbie­ten? Was kann ich nicht? Was ist der organisatorische/vorgegebene Rah­men? Wel­che Inhalte/Elemente sind unver­zicht­bar? Wo habe ich Spielräume?

Die Theo­rie „dahin­ter“

Wenn Men­schen zusam­men­kom­men, geht es in der Regel zunächst um den „Sta­tus“. Im Leben erwach­se­ner Men­schen ist der Selbst­wert die wich­tigs­te psy­cho­lo­gi­sche Ein­fluss­va­ria­ble (sozio­lo­gisch wür­de man vom „sozia­len Sta­tus“ spre­chen). Den Teil­neh­mern einer Wei­ter­bil­dungs­grup­pe geht es – wie auch den Mit­glie­dern eines Teams oder den Prot­ago­nis­ten ande­rer Zusam­men­künf­te – um die Auf­recht­erhal­tung oder Stei­ge­rung ihres Selbst­werts. Situa­tio­nen wer­den also danach beur­teilt, ob man sich sicher füh­len kann. Ahnt man Her­ab­set­zung oder gar dro­hen­den Gesichts­ver­lust, wird man ver­su­chen, sich zu schüt­zen. Daher kom­men die Hand­lungs­wei­sen in schwie­ri­gen Situa­tio­nen: durch Recht­fer­ti­gun­gen, Aus­flüch­te, Gegen­an­grif­fe oder etwa die Dar­stel­lung der eige­nen Per­son als Opfer der Umstän­de ver­sucht man, dro­hen­den Sta­tus- oder Gesichts­ver­lust abzu­wen­den. Wenn sich nun also ein Wei­ter­bil­dungs­teil­neh­mer beschwert, dann heißt das zunächst, dass er moti­viert ist, etwas zu sagen. Sie oder er hat also in kei­nem Fall „abge­schal­ten“. Das ist in jedem Fall wich­tig zu wis­sen. Reagiert ein Dozent nun mit der wie­der­hol­ten Dar­stel­lun­gen des Ziels der Wei­ter­bil­dung, ermahnt er den Teil­neh­mer oder beginnt er gar zu dis­ku­tie­ren, durch­kreuzt er die Anmer­kun­gen des Beschwer­de­füh­rers und ver­letzt ihn damit in sei­nem Sta­tus. Das Gegen­über wird dies in der Regel als Her­ab­set­zung emp­fin­den, auch wenn dies sel­ten zum Aus­druck kommt. Das Gegen­über wird dann nicht sagen „Ich füh­le mich her­ab­ge­setzt.“, son­dern ent­we­der schwei­gen und spä­ter in der Pau­se zu ande­ren Teil­neh­mern über „Igno­ranz“ oder „Arro­ganz“ spre­chen oder eben sei­ner­seits begin­nen zu dis­ku­tie­ren, was all­zu oft direkt in die Eska­la­ti­on führt. Ist die Situa­ti­on erst ein­mal eska­liert, sind die Metho­den der Macht („Sie kön­nen ja gehen, wenn es Ihnen nicht passt!“ oder ähn­li­che Ober­hand­tech­ni­ken) nicht weit. Bei­de Sei­ten las­sen sich also auf ein „Ping-Pong-Spiel“ dar­über ein, wer hier ansa­gen darf, wo es lang­geht. In vie­len Situa­tio­nen gewin­nen Dozen­ten die­ses Spiel, aber spä­tes­tens die Lern­mo­ti­va­ti­on und die Ein­stel­lung gegen­über den Inhal­ten der Wei­ter­bil­dung lei­den darunter.

Ein paar ein­fa­che Tech­ni­ken, um das Sta­tus-Spiel zu umge­hen und eine hilf­rei­che Bezie­hung herzustellen:

  1. Erwar­tun­gen abfra­gen und die eige­nen Inhal­te dar­an anpas­sen, indem man die vor­be­rei­te­ten Inhal­te nach der Erwar­tungs­ab­fra­ge prä­sen­tiert und sich mit den Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern expli­zit auf einen gemein­sa­men Inhalt einigt
  2. Wenn Kaf­fee und Kek­se oder klei­ne Snacks zugäng­lich sind, hebt das die Stim­mung erheb­lich. In Unter­su­chun­gen hat man zudem fest­ge­stellt, dass es einen sta­tis­tisch signi­fi­kan­ten Zusam­men­hang zwi­schen der Beur­tei­lung einer Wei­ter­bil­dung und der wahr­ge­nom­me­nen Qua­li­tät der gas­tro­no­mi­schen Ver­sor­gung gibt. Essen ist zudem die bes­te „hier­ar­chie­ni­vel­lie­ren­de“ Akti­vi­tät, die es gibt. Beim Essen sind alle Men­schen gleich. Kaum eine ande­re gemein­sa­me Akti­vi­tät schafft schnel­ler und mehr Ver­trau­en, als gemein­sam zu essen.

Die Arbeit am Sinn als wich­tigs­te Metho­de überhaupt

Im Grun­de genom­men sol­len die Teil­neh­mer etwas ler­nen. Als Dozent tei­len Sie etwas mit, die Teil­neh­mer hören sich das an, fertig.

Ist es wirk­lich so ein­fach? Ver­set­zen Sie sich bit­te ein­mal in die Rol­le eines Teil­neh­mers. Man macht sei­nen Job, und das in der Regel nicht schlecht. Man arbei­tet im Team, kommt mit den Kol­le­gen halb­wegs klar und hat in der Regel noch kei­ne Abmah­nung abge­fasst. Da gibt es ein paar neu­mo­di­sche Metho­den, ok, aber im All­tag braucht man die kaum. Bis jetzt hat es immer geklappt. Zuhau­se war­ten Hund, Gar­ten, Kin­der und Frau, aber man muss drei Tage auf eine Wei­ter­bil­dung. Die Begeis­te­rung hält sich in Grenzen.

Selbst wenn es nicht so dra­ma­tisch sein mag – die Moti­va­ti­on, an einer Wei­ter­bil­dung teil­zu­neh­men, kann sehr unter­schied­lich sein:

  1. Es inter­es­siert mich wirklich.
  2. Ich muss an der Wei­ter­bil­dung teilnehmen.
  3. Es ist schon Gewohn­heit, die­se Wei­ter­bil­dung ein­mal im Jahr über mich erge­hen zu lassen.
  4. Misch­for­men aus den drei Gründen.

Wenn es mich wirk­lich inter­es­siert, bin ich auch moti­viert. Dann sind die didak­ti­schen Fähig­kei­ten des Dozen­ten sekun­där, denn ich will es ja wis­sen. Wenn es mich nicht inter­es­siert, dann sehe ich kei­nen Sinn dar­in. Und hier fin­den Sie den Ansatz­punkt für die viel­leicht wich­tigs­te didak­ti­sche Tech­nik über­haupt – die Arbeit mit dem Sinn.

Wenn die Teil­neh­mer einen Sinn sehen, ist alles gut. Dann kön­nen Sie los­le­gen, ab und an mal ein Zwi­schen­fa­zit zie­hen und fra­gen, wie der Stil passt und was sich die TN wün­schen, und dann kön­nen Sie sich am Ende des Tages über ein gutes Feed­back freuen.

Sehen die Teil­neh­mer kei­nen Sinn, bleibt Ihnen nur, trotz­dem mit den Teil­neh­mern eine Bezie­hung auf­zu­bau­en, zu fra­gen, war­um die Teil­neh­mer zu die­ser Hal­tung kom­men und wie Sie als Dozent trotz­dem hilf­reich sein kön­nen. Dann sind Sie schnell beim The­ma Sinn und hören, was Sie kon­kret machen kön­nen und wo sich Ansatz­punk­te erge­ben, die Wei­ter­bil­dung doch noch sinn­voll zu gestalten.

Die Bezie­hung zwi­schen Dozen­ten und Teil­neh­mern: der „psy­cho­lo­gi­sche Vertrag“

Wir bau­en Ver­trau­en zu ande­ren Men­schen auf, wenn die­se uns Inter­es­se ent­ge­gen brin­gen. Wich­tig ist dabei, dass die­ses Inter­es­se nicht auto­ma­ti­siert erscheint, son­dern echt ist. Stel­len Sie also Fra­gen, auf die Sie selbst noch nicht die Ant­wort kennen.

In vie­len Zei­tungs­ar­ti­keln und Rat­ge­ber­bü­chern steht, dass man Ver­trau­en vor allem durch Wert­schät­zung auf­bau­en kann. Aber wie geht das? Was ist eigent­lich Wert­schät­zung? Eigent­lich ist ja jeder Mensch ein Exper­te für Wert­schät­zung – wenn es in einem Team oder in einer Fami­lie nicht mehr funk­tio­niert, spre­chen die Betei­lig­ten oft von man­geln­der Wert­schät­zung oder feh­len­dem Respekt. Aber wie genau funk­tio­niert das? Was muss jemand machen, damit Sie sich wert­ge­schätzt fühlen?

Im Prin­zip ist das gar nicht so schwer – wenn da der All­tag, die Gewohn­heit, der Druck, die mür­ri­schen Gesich­ter der ande­ren, der Win­ter, der zwölf­te Teil­neh­mer mit den immer glei­chen Fra­gen und so wei­ter nicht wären! Sie müs­sen auch nicht alle Punk­te der fol­gen­den Auf­zäh­lung berück­sich­ti­gen – ein Lächeln reicht oft schon 😉

  1. Grund­sätz­lich gilt das „ers­te Gesetz der Gesprächs­füh­rung“: Wie man in den Wald hin­ein­ruft, so schallt es her­aus. Wenn ich selbst eine inter­es­sier­te, wert­schät­zen­de Grund­hal­tung ein­neh­me, bekom­me ich dafür Vertrauen.
  2. Lächeln und Wert­schät­zung: Eine Teil­neh­me­rin, die Sie schon ken­nen, kommt her­ein und sieht abge­kämpft aus. Nun will kaum jemand hören, dass er gera­de abge­kämpft aus­sieht. Aber jeder Mensch freut sich über ein ehr­li­ches Lächeln in Ver­bin­dung mit dem Satz: „Schön, Sie hier zu sehen!“ Nicht über­trie­ben – blei­ben Sie bit­te „echt“ und sagen Sie sol­che Sät­ze nur, wenn Sie es auch so meinen.
  3. Kör­per­sprach­li­che Auf­merk­sam­keit: Beob­ach­ten Sie Ihr Gegen­über ein wenig. Ver­su­chen Sie, ab und an ins Gespräch ein­zu­flech­ten, was Sie sehen. Das kön­nen sehr klei­ne und bei­na­he belang­lo­se Din­ge sein – Ihr Gegen­über wird Ihnen das aber nie ver­ges­sen! Wenn Sie bei­spiel­wei­se danach fra­gen, wo die Fri­sur her ist oder wie man es schafft, an einem sol­chen Tag zu lächeln (oder anders­her­um), dann zeigt das ech­tes Inter­es­se. Wenn jemand brum­mig ist, kön­nen Sie bei­spiels­wei­se ein wenig gedrückt fra­gen: „Was ist den los?“ Oder wenn jemand beson­ders stark lächelt, kön­nen Sie sich nach dem Grund der Freu­de erkun­di­gen. Wenn jemand sor­gen­voll guckt, kön­nen Sie bei­spiels­wei­se ein­fach fra­gen: „Wie geht es Ihnen?“
  4. Weni­ger mit­tei­len, mehr fra­gen: Wir sind gewohnt, ein­an­der vor allem Din­ge mit­zu­tei­len. Gera­de Dozen­ten nei­gen dazu – qua­si Berufs­krank­heit 😉 Krass aus­ge­drückt: ehe wir eine Fra­ge stel­len, muss schon viel pas­sie­ren. In der Regel sehen wir ande­re Men­schen an und machen uns sofort ein Bild von Ihnen. Pro­bie­ren Sie mal den fol­gen­den Trick aus und beob­ach­ten Sie, was mit einem Gespräch pas­siert, wenn Sie das so machen: Den­ken Sie, dass Sie über eine Per­son gar nichts wis­sen. Wenn Ihnen Ihr Kopf schon Vor­schlä­ge macht („hat kei­nen Bock“; „die schon wie­der“ etc.), for­men Sie die­se Gedan­ken bit­te in Fra­gen um, und zwar nicht in „geschlos­se­ne“ Fra­gen („Haben Sie kei­nen Bock?“), son­dern in offe­ne, inter­es­sier­te Fra­gen: „Darf ich fra­gen, was Sie bewegt hat, hier teil­zu­neh­men?“ oder schlicht: „Wie sind Sie denn her­ge­kom­men?“ oder schon etwas zutrau­li­cher: „Wenn Sie erlau­ben; ich inter­es­sie­re mich immer ein biss­chen für die Leu­te, die hier­her kom­men: Darf ich fra­gen, woher Sie kom­men?“ oder: „Was machen Sie denn so, wenn Sie nicht gera­de in einer Wei­ter­bil­dung sitzen?“

Mit Wert­schät­zung ist übri­gens nicht LOB gemeint. Falsch plat­zier­tes – oder gar zu viel – Lob kann gegen­tei­li­ge Wir­kun­gen haben. Mit Wert­schät­zung ist hier eher eine inter­es­sier­te Auf­merk­sam­keit oder neu­gie­ri­ge, Men­schen mögen­de Grund­hal­tung gemeint. Es gibt Men­schen, die ger­ne nett sind. Und mit „nett“ ist hier nicht „über­freund­lich“ oder gar „anbie­dernd“ gemeint, son­dern offen und inter­es­siert. Das reicht schon völ­lig. Wenn dann noch ein klei­nes Quent­chen einer im bes­ten Sin­ne des Wor­tes „demü­ti­gen“ oder „gern die­nen­den“ Hal­tung hin­zu­kommt, ist alles perfekt.

Sie sind aber nicht demü­tig? Und schon gar kei­ne Die­ner? Zuge­ge­ben, die­se Wor­te sind viel­leicht ein wenig altmodisch.

Letzt­hin besteht zwi­schen Dozen­ten und Teil­neh­mern eine Art unge­schrie­be­nen Ver­trags, ein „psy­cho­lo­gi­scher Ver­trag“. Die­ser Ver­trag besteht aus gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen. Dozen­ten haben Erwar­tun­gen an ihre Teil­neh­mer, Teil­neh­mer erwar­ten etwas von ihren Dozenten.

Die ganz prag­ma­ti­sche Variante:

  • Teil­neh­mer: Ich will in Ruhe gelas­sen wer­den, eher Schluss haben und so schnell wie mög­lich nach Hause.
  • Dozent: Ich will hier mein Geld ver­die­nen und so wenig Pro­ble­me wie mög­lich haben.

Die Ide­al­va­ri­an­te:

  • Teil­neh­mer: Ich erwar­te, dass mir die Dozen­tin etwas erzählt, das neu für mich ist, und das mir in mei­ner Arbeits­pra­xis hilft, mei­ne Auf­ga­ben bes­ser zu bewältigen.
  • Dozen­tin: Es macht mir Freu­de, die­se Wei­ter­bil­dung zu gestal­ten, und ich erwar­te von den Teil­neh­mern Fra­gen aus der Pra­xis und regen Erfah­rungs­aus­tausch. Ich ler­ne als Dozen­tin auch viel von mei­nen Teil­neh­mern. Das brin­ge ich auch zum Ausdruck.

Wich­tig ist, dass der „psy­cho­lo­gi­sche Ver­trag“ expli­zit ver­han­delt wird: Erwar­tun­gen abfra­gen > Dar­stel­lung der vor­be­rei­te­ten Inhal­te > Eini­gung auf das, was behan­delt wer­den soll und wie das vor sich gehen kann. Bspw. haben Teil­neh­mer oft schlech­te Erfah­run­gen mit Rol­len­spie­len gemacht, dann soll­te man die­se nicht for­cie­ren, in man­chen Fäl­len kommt dann nach eini­gen Tagen genau von die­sen Teil­neh­mern die Fra­ge, ob man das Gelern­te nicht mal prak­tisch aus­pro­bie­ren könn­te. „Prak­tisch aus­pro­bie­ren“ oder „Simu­la­ti­on“ oder „Tro­cken­schwimm­übung“ sind erfah­rungs­ge­mäß bes­se­re Wor­te für das oft nega­tiv besetz­te „Rol­len­spiel“.

Des Wei­te­ren ist wich­tig zu wis­sen, dass sich Erwar­tun­gen im Pro­zess immer wie­der ändern und der „psy­cho­lo­gi­sche Ver­trag“ des­halb ste­tig „fort­ge­schrie­ben“ bzw. ange­passt wer­den muss. So muss Teil­neh­mern am Mor­gen noch nicht zwin­gend klar sein, was sie genau erwar­ten oder an wel­chen Situa­tio­nen sie arbei­ten möch­ten, aber um die Mit­tags­zeit kom­men plötz­lich die – dann oft sehr wich­ti­gen – Ideen. Des­halb ist es wich­tig, wäh­rend einer Wei­ter­bil­dung (ins­be­son­de­re bei mehr­tä­gi­gen oder gar mehr­wö­chi­gen Wei­ter­bil­dun­gen) immer wie­der Zwi­schen­fra­gen zu Erwar­tun­gen, zum Lern­stand, zur Moti­va­ti­on, zum Stil etc. zu stel­len. Wenig hilf­reich sind dabei Fra­gen zur Zufrie­den­heit (da kommt oft zuerst Kri­tik, die Dozen­ten erfah­rungs­ge­mäß mehr unter Druck setzt als dass sie hilft), loh­nend sind eher Fra­gen danach, wie hilf­reich die bis­her bespro­che­nen Inhal­te waren, wel­che Schluss­fol­ge­run­gen bis­her gezo­gen oder Erkennt­nis­se gewon­nen wer­den konn­ten, wel­che Fra­gen sich erge­ben haben oder was pas­sie­ren müß­te, damit man als Referentin/Dozent hilf­reich blei­ben kann.

Zurück zu unse­rer Aus­gangs­fra­ge: Was heißt das alles für den Umgang mit „schwie­ri­gen“ Weiterbildungsgruppen?

Wenn ein Wei­ter­bil­dungs­tag beginnt, und die Teil­neh­mer zei­gen sich nicht offen für das, was auf dem offi­zi­el­len Pro­gramm steht, heißt das zunächst nur, dass etwas nicht stim­mig ist. Die Reak­tio­nen der Teil­neh­mer als „Wider­stand“ zu ver­ste­hen, ist zwar üblich, aber der Begriff „Wider­stand“ ist trü­ge­risch. Er impli­ziert, dass „von oben“ etwas vor­ge­ge­ben wird, und „von unten“ Abwehr­re­ak­tio­nen kom­men. Dem­entspre­chend wird die „oben“ ste­hen­de Sei­te die Ange­le­gen­heit noch ein­mal erklä­ren – wie die Sache rich­tig zu ver­ste­hen sei eben. Wie wäre es aber, wenn man „Wider­stand“ ein­fach als eine mög­li­che Reak­ti­on auf­fas­sen wür­de oder als Zei­chen, dass etwas nicht passt? Dann sind die Reagie­ren­den kei­ne „Wider­ständ­ler“, son­dern Part­ner, die aus ver­schie­de­nen – oft ganz ver­ständ­li­chen – Grün­den etwas so, wie es gera­de beab­sich­tigt ist, nicht wol­len. Wenn man die Reak­tio­nen und die Grün­de akzep­tiert, kann man sich eini­gen. Wenn man ent­spre­chen­de Fra­gen stellt, wird die­se Eini­gung in der Regel auch gelingen.

„Aber ich habe doch einen Auf­trag als Dozent, bestimm­te Inhal­te zu ver­mit­teln.“, wer­den jetzt man­che ent­geg­nen. Hier ist die Fra­ge, wer denn bes­ser weiß, was in einer Wei­ter­bil­dung von Nut­zen ist – die pro­gramm­ver­ant­wort­li­chen Mana­ger, die die Wei­ter­bil­dung orga­ni­siert haben, oder die Teil­neh­mer, die etwas mit­neh­men sol­len (was ja nur geht, wenn sie es auch wol­len)? Wenn wir uns nun als Dozen­ten dar­auf ein­las­sen, dass die Sicht­wei­sen und Erwar­tun­gen der Teil­neh­mer wichtig(er) sind, dann müs­sen wir auch nicht unbe­dingt an unse­rem vor­be­rei­te­ten Pro­gramm fest­hal­ten. Eine hilf­rei­che Tech­nik: Wenn wir als Dozen­ten zwar kom­pe­tent vor­be­rei­tet sind, selbst aber „gar nichts wol­len“ bzw. kei­ne defi­ni­ti­ven eige­nen Erwar­tun­gen an die Wei­ter­bil­dung und das, was dort pas­sie­ren soll, haben, dann gelingt es uns bes­ser, uns auf die Wei­ter­bil­dung ein­zu­las­sen und hilf­reich zu sein. Eine wich­ti­ge Fra­ge lau­tet des­halb zu Beginn der Wei­ter­bil­dung wie auch in jenen Momen­ten, da Stö­run­gen auf­tre­ten: „Wie kann ich hilf­reich sein?“

Man wird dann eher zum Mode­ra­tor als zu jeman­dem, der etwas mit­teilt. Wei­ter­bil­dun­gen sind dann gut, wenn sie Ent­wick­lun­gen und Wis­sens­zu­wachs in den Teil­neh­mern aus­lö­sen. Da Erwach­se­ne aber in der Regel selbst ent­schei­den, was sie ler­nen wol­len, müs­sen sie dafür offen und moti­viert sein. Das sind sie am ehes­ten, wenn sie den Sinn einer Sache erken­nen und durch die For­mu­lie­rung von Erwar­tun­gen ihr Vor­wis­sen und ihre Erfah­run­gen akti­vie­ren. Wenn die Teil­neh­mer erst ein­mal for­mu­liert haben, was sie erwar­ten, und wenn sie ihre Erfah­run­gen geschil­dert haben, kann der Dozent einen Aus­tausch zwi­schen den Teil­neh­mern mode­rie­ren und an geeig­ne­ten Stel­len das vor­be­rei­te­te Wis­sen ein­flie­ßen las­sen. Auf die­se Wei­se ent­steht zunächst eine hilf­rei­che Bezie­hung zwi­schen Teil­neh­mern und Dozen­tin bzw. zwi­schen den Teil­neh­mern unter­ein­an­der. So wird auch ver­hin­dert, dass Dozen­ten zu viel von dem erzäh­len, was die Teil­neh­mer ggf. schon wissen.

Hilf­reich kann Wis­sens­ver­mitt­lung nur dann sein, wenn Wis­sens­ver­mitt­lung als hilf­reich emp­fun­den wird. Dazu ist die Ein­be­zie­hung der Erwar­tun­gen der Teil­neh­mer und der Auf­bau einer Bezie­hung zwi­schen Dozen­ten und Teil­neh­mern uner­läss­lich. Besteht die­se Bezie­hung und fin­det reger Aus­tausch statt, kön­nen Dozen­ten ihre Inhal­te immer­noch mit­tei­len – dann aber mit einer gewis­sen Sicher­heit, dass es die rich­ti­gen Inhal­te sind und dass die­se gern auf­ge­nom­men wer­den. Zunächst nichts zu wol­len, die Situa­ti­on „wach­sen“ zu las­sen, bis sich die Teil­neh­mer öff­nen, sichert also einen mög­lichst gro­ßen Wis­sens­trans­fer und ermög­licht Kom­pe­tenz­ent­wick­lung. Kom­pe­tenz ist die Ver­bin­dung aus Wis­sen und Kön­nen und daher schwer greif­bar und schon gar nicht „direkt“ oder „fron­tal“ zu ver­mit­teln. Kom­pe­tenz­ent­wick­lung pas­siert durch akti­ve Aus­ein­an­der­set­zung, prak­ti­sche Erfah­run­gen und Refle­xi­on. In einem sol­chen Set­ting ler­nen wir als Dozen­ten am Ende genau­so viel wie die Teil­neh­mer, manch­mal sogar mehr. Das darf man dann auch ruhig zum Aus­druck brin­gen. Vie­le Arbeits­be­rei­che sind heu­te ohne­hin so kom­plex bzw. die Wis­sens­ent­wick­lung so schnell, dass es illu­so­risch ist, dass eine ein­zel­ne Per­son in einem spe­zi­fi­schen Gebiet „all­um­fas­send kom­pe­tent“ ist. Bei den meis­ten Wei­ter­bil­dun­gen soll ja her­aus­kom­men, dass die Teil­neh­mer im Nach­gang idea­ler­wei­se bes­ser mit Pro­ble­men in ihrem Pra­xis­feld umge­hen kön­nen. Also ist der prak­ti­sche „Umgang“, also Dis­kus­si­on, Anwen­dung, prak­ti­sche Erpro­bung, Refle­xi­on etc. auch ein geeig­ne­tes Wei­ter­bil­dungs­for­mat. Man ver­liert dabei aller­dings den von vie­len Dozen­tin­nen und Dozen­ten gelieb­ten Nim­bus des „gro­ßen Leh­rers“, der sehr viel weiß, kann etc. Man wird dann mehr oder min­der zum Part­ner, der einen mög­lichst hilf­rei­chen Aus­tausch mode­riert und an geeig­ne­ten Stel­len Wis­sen oder Übun­gen ein­flie­ßen lässt.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.