Über die Rolle des Feedbacks in schwierigen Situationen

In vie­len Unter­neh­men, die wir als Trai­ner besu­chen, heißt es: »Die Mit­ar­bei­ter sol­len mehr und bes­ser mit­ein­an­der reden, mehr Eigen­ver­ant­wor­tung an den Tag legen und nicht die Schuld bei ande­ren suchen.« Wir stel­len dann in der Regel fest, dass meh­re­re Sei­ten ihren Bei­trag zur jewei­li­gen Situa­ti­on leis­ten. Da ist bei­spiels­wei­se der Chef, der sei­nen Mit­ar­bei­tern viel Frei­raum lässt, nur um gera­de in kri­ti­schen Situa­tio­nen alles selbst zu ent­schei­den, und der sich wun­dert, war­um die Fir­ma per­ma­nent in der Kri­se ist. Die­ser Chef wird ler­nen, dass er es ist, der die Kri­se braucht, und dass das Unter­neh­men und sei­ne Mit­ar­bei­ter ihm nur dabei fol­gen und (unbe­wusst) alles tun, um ihm sein Kata­stro­phen­hel­fer-Dasein zu ermög­li­chen. Mit den Mit­ar­bei­tern und ihren (angeb­lich feh­len­den) Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Manage­ment­fä­hig­kei­ten hat das Pro­blem erst in zwei­ter Linie zu tun. Oder da ist zum Bei­spiel das Team, das es sich in sei­nen Kom­fort­zo­nen bequem gemacht hat. »Ja, Chef«, sagt man und tut artig und beflis­sen, nur um nach­her Wit­ze über den Chef zu rei­ßen. Außen­ste­hen­den gibt man ger­ne zu ver­ste­hen, dass man es so schwer habe mit so einem kon­trol­lie­ren­den Chef, der kom­me ja immer und übe Druck aus, und das sei ja gar nicht zum Aus­hal­ten. Hin­ter einer sol­chen Kon­struk­ti­on steckt nicht sel­ten ein aus­ge­präg­tes Sicher­heits­be­dürf­nis – indem sich das Team über den Chef beschwert, muss es kei­ne Ver­ant­wor­tung über­neh­men. Die­se bei­den kur­zen Bei­spie­le zei­gen, dass das Gesche­hen in Unter­neh­men nicht ein­fach zu ver­ste­hen ist – es bil­den sich kom­ple­xe Bezie­hungs­ge­bil­de, deren Gesprächs­yn­a­mik die Gestalt von sich selbst ver­stär­ken­den Teu­fels­krei­sen anneh­men kann.

Teu­fels­krei­se ent­ste­hen in zwi­schen­mensch­li­chen Bezie­hun­gen (in Paa­ren genau­so wie in oder zwi­schen Grup­pen), wenn bei­de Sei­ten einen bestehen­den Kon­flikt mit bestimm­ten Ver­hal­tens­wei­sen der jeweils ande­ren Sei­te erklä­ren. Durch die emo­tio­na­le Dyna­mik gegen­sei­ti­ger Schuld­zu­wei­sun­gen oder Erwar­tun­gen ver­här­tet sich der Mecha­nis­mus und wird zu einem sich selbst ver­stär­ken­den Kreis­lauf. Tho­mann und Schulz von Thun (1999, S. 226) lie­fern ein Bei­spiel und erläu­tern es wie folgt: „‚Je mehr er sich an sie klam­mer­te, um so mehr mach­te sie sich von ihm los, und je mehr sie sich los­mach­te und ihre Frei­heit such­te, um so anhäng­li­cher wur­de er und kämpf­te er um die Gemein­sam­keit.‘ Und wenn ‚es‘ immer schlim­mer wird bei Paa­ren, in Fami­li­en oder Grup­pen, der Ton unter­ein­an­der schär­fer, die Aus­ein­an­der­set­zun­gen immer hek­ti­scher und lau­ter wer­den, oder umge­kehrt die Luft immer ‚dicker‘ wird und sich bis zum feind­se­li­gen Schwei­gen ver­här­tet, dann ist wahr­schein­lich ein Teu­fels­kreis im Gan­ge: Kei­ner fühlt sich mehr ver­stan­den, jeder wähnt sich ange­grif­fen und muss ‚rich­tig­stel­len‘. Ein Wort ergibt das ande­re, die Geschos­se wer­den immer grö­ber, und der eigent­li­che Anlass – ohne­hin meist eine Baga­tel­le – geht im ‚Sowie­so schon immer‘, im ‚Über­haupt typisch‘ und ‚Du (plus Schimpf­wort‘) unter. Bis schließ­lich min­des­tens einer weint, zuschlägt oder ein­lenkt, bei­de schwei­gen oder man sich trennt – was natür­lich noch lan­ge nicht das Ende des Teu­fels­krei­ses bedeu­tet, son­dern nur eine Kampf­pau­se vor der nächs­ten Runde.“

Eine klas­si­sche Vari­an­te sol­cher Teu­fels­krei­se besteht zwi­schen einer domi­nant-kon­trol­lie­ren­den und einer ange­passt-nach­ge­ben­den Sei­te, wobei sich die Bezeich­nung »Sei­te« auf ein­zel­ne Per­so­nen, Tei­le von Teams oder gan­ze Teams bezie­hen kann. Die fol­gen­de Abbil­dung zeigt die sich selbst ver­stär­ken­de Dyna­mik zwi­schen der unter­wür­fi­gen und der domi­nan­ten Sei­te auf emo­tio­na­ler (Krei­se) und ver­hal­tens­be­zo­ge­ner (Recht­ecke) Ebe­ne. Das Bei­spiel bezieht sich auf einen miss­lun­ge­nen Einarbeitungsprozess.

Die Fra­ge ist nun, was mit Mit­teln der Gesprächs­füh­rung getan wer­den kann, um sol­che Teu­fels­krei­se sicht­bar zu machen und zu ver­än­dern. »Fest­ge­fah­re­ne« Mus­ter bedür­fen des Feed­backs von außen, um deut­lich zu wer­den. Hier gel­ten alle in den bis­he­ri­gen Bei­trä­gen zur Rubrik »Gesprächs­füh­rung« bereits dis­ku­tier­ten Regeln:

  1. Es soll­te zunächst eine positive/produktive Grund­la­ge ent­ste­hen kön­nen. Die feed­back­ge­ben­de Per­son soll­te als wert­schät­zend, neu­tral und authen­tisch wahr­ge­nom­men werden.
  2. Basis des Feed­backs ist die expli­zi­te Erklä­rung des­sen, was an der Leis­tung der Betref­fen­den gut ist. Wich­tig: Die Beto­nung liegt auf dem Wort »expli­zit« – gute Vor­be­rei­tung ist also unerlässlich.
  3. Visua­li­sie­rung unter­stützt den Feed­back­pro­zess und macht ver­wor­re­ne Situa­tio­nen verständlich.
  4. Durch akti­ve Ein­be­zie­hung (etwa durch Fra­gen) kann pro­ak­ti­ves Ver­hal­ten ermu­tigt wer­den – die Betei­lig­ten deu­ten ihre Situa­ti­on selbst und begin­nen, sich gegen­sei­tig Feed­back zu geben. Wich­tig ist hier die Beach­tung von Regeln.
  5. Es ist nicht hilf­reich, zu lan­ge nach Ursa­chen zu suchen. Die Gefahr des Abglei­tens in »Recht­fer­ti­gungs­spi­ra­len« ist zu groß. Viel­mehr geht es dar­um, aus den aktu­el­len Erfah­run­gen zu ler­nen. In der Ange­wand­ten Grup­pen­dy­na­mik heißt die­ser Arbeits­grund­satz »Hier und Jetzt«. Wich­tig ist für die Rol­le des Neu­tra­len, in den schwie­ri­gen Pha­sen zwi­schen der Behar­rung auf den ursprüng­li­chen emo­tio­na­len Posi­tio­nen und den damit ver­bun­de­nen Recht­fer­ti­gun­gen einer­seits und der Mög­lich­keit des Ler­nens aus den aktu­el­len Erfah­run­gen ande­rer­seits viel Geduld zu haben, immer wie­der selbst Rück­mel­dun­gen zu geben und vor allem zwi­schen den Betei­lig­ten gegen­sei­ti­ge Rück­mel­dun­gen zu för­dern und zu fordern.

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.