Barrieren auf dem Weg zur Nachhaltigkeit: Die schwer zu ändernden Gewohnheiten und die Grenzen des Denkens

In mei­nem Teil des Vor­trags „Dys­func­tion­al Lea­der­ship“, den ich gemein­sam mit dem Kol­le­gen Mar­kus Will wäh­rend unse­rer Ver­an­stal­tung „Nach­hal­tig­keit und Füh­rung“ gehal­ten habe, ging es um ein paar eben­so inter­es­san­te wie pro­ble­ma­ti­sche Eigen­hei­ten des mensch­li­chen Den­kens. Die fol­gen­den Abschnit­te zeich­nen die wich­tigs­ten Inhal­te mei­nes Vor­trags­teils nach.

„Nicht hier, nicht jetzt, nicht ich!“
Glaubt man aktu­el­len Umfra­gen, dann ist Nach­hal­tig­keit ein sehr wich­ti­ges The­ma in Deutsch­land. Eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit stimmt Aus­sa­gen zu wie: „Ob bei der Her­stel­lung eines Pro­duk­tes auf Nach­hal­tig­keit geach­tet wur­de, beein­flusst mei­ne Kauf­ent­schei­dung.“ Aber wer wür­de dem nicht zustim­men? Ein Bei­spiel aus einer Euro­ba­ro­me­ter-Umfra­ge: 75 Pro­zent der Befrag­ten geben an, dass sie umwelt­freund­li­che Pro­duk­te kau­fen, aber nur 17 Pro­zent der glei­chen Befrag­ten sagen, dass sie das auch im letz­ten Monat getan haben.

Theo­re­tisch fin­den wir so man­ches, was Umwelt­schutz und Nach­hal­tig­keit betrifft, wich­tig und wün­schens­wert. Ob wir es tat­säch­lich machen, steht auf einem ganz ande­ren Blatt. Wenn man also geschlos­se­ne Fra­gen stellt (und dem­entspre­chend Ein­stel­lun­gen misst), erhält man vor allem sozi­al erwünsch­te Ant­wor­ten. Fragt man, wie Udo Kuckartz (2010) dage­gen offen, also bei­spiels­wei­se nach dem Wie und dem War­um des mensch­li­chen Han­delns, erhält man ein ganz ande­res Bild.

Man bekommt dann Vari­an­ten drei­er Aus­sa­gen zur Ant­wort (vgl. Kuckartz 2010):

1. „In Deutsch­land sind wir gar nicht so stark bedroht.“
Die­ser Ant­wort­typ geht mit einer Nah-Fern-Wahr­neh­mungs­dis­kre­panz ein­her. Bei uns geht es; glo­bal ist es schlimm. Und noch ein inter­es­san­tes Phä­no­men: Die Fer­ne, wo man Urlaub macht, scheint für uns nicht die gefähr­li­che Fer­ne zu sein. Gefähr­lich ist es nur dort, wo wir nicht hinreisen.

2. „Zur Zeit haben ande­re Din­ge Vorrang.“
Die meis­ten sagen zwar, dass es ins­ge­samt schlim­mer wird, und die opti­mis­ti­schen Hoff­nun­gen frü­he­rer Gene­ra­tio­nen, dass für die eige­nen Kin­der vie­les bes­ser wür­de, sind pas­sé. Noch pas­siert aber rela­tiv wenig, zumin­dest im direk­ten Umfeld der meis­ten Men­schen. Also heißt es: Wir müs­sen han­deln, aber jetzt noch nicht! Die fol­gen­de Ansicht ist ver­brei­te­ter, als uns lieb sein kann: „Wir müs­sen die letz­ten Tage genie­ßen. Der Win­ter naht, und das wird nicht lus­tig, also fei­ern wir lie­ber noch ein biß­chen…“ Pes­si­mis­mus wird Trumpf: Die meis­ten rech­nen sogar mit deut­lich schlech­te­ren – sprich: gesund­heits­schäd­li­che­ren – Lebens­be­din­gun­gen ihrer Kin­der, was jedoch kein Grund ist, kei­nen Sechs­zy­lin­der zu fahren.

3. „War­um ich? Erst­mal sind die ande­ren dran.“
Vie­le Men­schen sagen: „Sol­len die Regie­rung, die Unter­neh­men und die ande­ren doch erst­mal was machen. Ich weiß zu wenig und hab’ eh kei­nen Ein­fluss.“ und ver­lei­hen damit ihrer Hilf­lo­sig­keit Aus­druck, denn kaum jemand weiß so recht, was man machen kann.

Fragt man nach den Grün­den für die oben genann­ten haupt­säch­li­chen Arten von Ant­wor­ten, so wer­den Gewohn­heit, Faul­heit, Gedan­ken­lo­sig­keit und sozia­le Erwünscht­heit genannt. Letz­te­res bedeu­tet, dass kaum jemand mehr zugibt, ein „Öko­schwein“ zu sein, son­dern dass die meis­ten „öko­lo­gisch kor­rek­te“ Ansich­ten vor­tra­gen. Die tat­säch­li­chen Hand­lun­gen lie­gen aber weit davon ent­fernt. Das führt zu einer Art poli­ti­scher Kor­rekt­heit ohne kon­kre­te Hand­lungs­fol­gen: Die Wir-Aus­sa­gen in den gro­ßen Unter­su­chun­gen erhal­ten hohe Zustim­mung, schlie­ßen aber das „tat­säch­li­che Ich“ nicht mit ein. Die Fol­ge davon: Wir hal­ten völ­lig unter­schied­li­che Hand­lun­gen (Plas­tik­tü­ten ver­mei­den vs. Solar­dach) für gleich kor­rekt und damit für gleich­wer­tig. Es bleibt in der Regel bei sym­bo­li­schen Handlungen.

„Fak­tisch han­deln viel zu weni­ge und das auch nur auf mehr oder weni­ger sym­bo­li­sche Wei­se, in dem die eine oder ande­re Hand­lung gele­gent­lich prak­ti­ziert wird. Zwi­schen der all­ge­mein bekun­de­ten Bereit­schaft und dem Rou­ti­ne­han­deln im All­tag klafft eine gewal­ti­ge Lücke.“ (Kuckartz 2010, S. 150)

„Frü­her gab es noch Fische!“
Ein wei­te­res Pro­blem sind die unmerk­li­chen Ver­schie­bun­gen des mensch­li­chen Den­kens von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on: Wir bemer­ken Ver­än­de­run­gen nicht in ihrem gan­zen Aus­maß, son­dern zumeist nur im ganz Klei­nen und ins­be­son­de­re dann, wenn sie uns selbst betref­fen. Und selbst wenn wir Ver­än­de­run­gen bewusst regis­trie­ren, erfas­sen wir die gan­ze Trag­wei­te oft erst im Nach­hin­ein. So wird vie­len Men­schen nach einer Tren­nung klar, wann der Tren­nungs­pro­zess eigent­lich begon­nen hat. Es gibt aber auch Ver­än­de­run­gen, die sehr lang­sam von­stat­ten gehen und in ihrer Dau­er den Hori­zont eines Lebens mit­un­ter deut­lich über­schrei­ten. In die­sen Fäl­len machen wir das, was wir in unse­rer Kind­heit ken­nen­ge­lernt haben, unbe­wusst zum Aus­gangs­punkt unse­res Den­kens. Anthro­po­lo­gen nen­nen die­ses Phä­no­men „Shif­ting-Base­line-Syn­dro­me“. Es wur­de zuerst bei Fischern beob­ach­tet und beschreibt die „Eichung“ der Wahr­neh­mung jeder neu­en Gene­ra­ti­on von Fischern auf die jeweils in der Jugend wahr­ge­nom­me­nen Fisch­men­gen. Bei ent­spre­chen­den Befra­gun­gen erzähl­ten Fischer unter­schied­li­cher Gene­ra­tio­nen, dass das Fischen, als sie jung waren und ihren Vätern zusa­hen, noch etwas ganz ande­res gewe­sen sei. Wie viel Fisch es damals noch gege­ben hät­te, und wie ein­fach das Fischen trotz der sei­ner­zeit pri­mi­ti­ve­ren Tech­nik gewe­sen sei. Jef­frey Bols­ter beschreibt in sei­nem Buch „The mor­tal sea“ sehr ein­drucks­voll, wie sich die Fisch­men­gen nicht erst seit eini­gen Jahr­zehn­ten, son­dern bereits seit Jahr­hun­der­ten dra­ma­tisch ver­än­dert haben, und wie sich aber gleich­zei­tig die Beob­ach­tun­gen jeder Gene­ra­ti­on von Neu­em an die schwin­den­den Fisch­be­stän­de anpass­ten. Bei immer effek­ti­ve­rer Tech­nik blieb das Fischen so ein ein­träg­li­ches Geschäft. Es habe unter Fischern durch­aus Beob­ach­tun­gen des dra­ma­ti­schen Rück­gangs und ent­spre­chen­de Beden­ken gege­ben, aber die­sen Stim­men sei nie genug Gewicht bei­gemes­sen wor­den. Viel­mehr sei die Wis­sen­schaft noch bis zur Mit­te des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts davon aus­ge­gan­gen, dass die See „unsterb­lich“ sei.

Die „Wis­sen­schaft“ hat 500 Jah­re für eine Ein­sicht gebraucht, die analpha­be­ti­sche Fischer schon um 1400 hat­ten. So alt ist jeden­falls die ers­te nach­weis­ba­re Peti­ti­on gegen das Bal­ken­fi­schen. Es gab schon 1590 kaum noch Kabel­jau vor Euro­pa. Dann waren die Küs­ten Ame­ri­kas dran. Und jetzt?

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.