Über Gewohnheiten als Motivationsbarrieren

Aus­gangs­punkt einer Wei­ter­bil­dung für Qua­li­täts­be­auf­trag­te zum The­ma Moti­va­ti­on ist die fol­gen­de Fra­ge einer Teil­neh­me­rin: „In unse­rem Unter­neh­men wird oft demo­ti­viert. Wie kann man dem ent­ge­gen­wir­ken?“ Wei­te­re Fra­gen zu Beginn lau­ten: „Wie kann man ‚nach oben‘ moti­vie­ren?“ und „Wel­che Mög­lich­kei­ten habe ich, etwas umzu­set­zen, wenn die Lei­tung das nicht möchte?“

Erwartungen
Erwar­tun­gen der Teilnehmer

Der Erwar­tungs­ab­fra­ge folg­ten die ers­ten inhalt­li­chen Fra­gen mei­ner­seits, näm­lich: „Wofür ste­hen Sie auf?“ und „Was moti­viert Sie?“ Genannt wer­den unter ande­rem die fol­gen­den Punkte:

  • Gleich zu Beginn mein­te jemand, dass er wegen des Gel­des auf­ste­he, nur um gleich zu beto­nen, dass dies ein Scherz sei.
  • „Ich kann mir nicht vor­stel­len, den gan­zen Tag über zuhau­se zu bleiben.“
  • „Die Arbeit macht Spaß, ins­be­son­de­re dann, wenn ich Fort­schrit­te sehe.“
  • „Der Kon­takt zu ande­ren Men­schen und die Aner­ken­nung, die ich erhal­te, sind das, was mich motiviert.“
  • „Wenn etwas ‚meins‘ ist, dann bin ich moti­viert. Ich iden­ti­fi­zie­re mich mit der Grup­pe von Men­schen, für die ich ver­ant­wort­lich bin.“

Es geht also nicht um das Geld, son­dern dar­um, Fort­schrit­te zu sehen und Aner­ken­nung zu erhal­ten. Geld erscheint nicht unwich­tig, ist aber kei­ne zen­tra­le Kate­go­rie. Viel zen­tra­ler sind die auf­ga­ben- und per­so­nen­be­zo­ge­nen Moti­va­ti­ons­aspek­te, also die so genann­ten „intrin­si­schen“ Fak­to­ren. Dies wird an Herz­bergs Zwei-Fak­to­ren-Theo­rie deut­lich. Dem­nach gibt es so genann­te „Moti­va­to­ren“, also Fak­to­ren, die tat­säch­lich Moti­va­ti­on aus­lö­sen kön­nen. Bezeich­nen­der­wei­se lie­gen die­se Fak­to­ren weitgehend

  • in der Auf­ga­be (Wie „voll­stän­dig“ ist mei­ne Auf­ga­be? Kann ich selbst pla­nen und ent­schei­den, oder darf ich ledig­lich Vor­ga­ben ausführen?),
  • in der Per­son selbst (Wie ver­ant­wort­lich füh­le ich mich für mei­ne Arbeit, und wie pro­ak­tiv han­de­le ich?) und
  • in der Qua­li­tät der Bezie­hun­gen zur jeweils vor­ge­setz­ten Per­son (Wie viel Aner­ken­nung bekom­me ich von ande­ren, ins­be­son­de­re Vor­ge­setz­ten, für mei­ne Arbeit?).

Geld, Arbeits­zeit­re­ge­lun­gen, ein net­tes Team­kli­ma etc. sind „schön zu haben“ und redu­zie­ren die Unzu­frie­den­heit, sor­gen aber nicht für Moti­va­ti­on oder gar Zufrie­den­heit. Es ist also wich­tig, über­haupt trag­fä­hi­ge Bezie­hun­gen zu haben und Aner­ken­nung zu bekom­men, jedoch weni­ger wich­tig, sich mit allen Kol­le­gen gut zu ver­ste­hen. Ab einer bestimm­ten Team­grö­ße zer­fällt eine Mann­schaft in der Regel ohne­hin in Unter­grup­pen (der „Tei­ler“ liegt erfah­rungs­ge­mäß bei ca. 8 bis höchs­tens 12 Per­so­nen). Mit dem Geld ist es ähn­lich: ver­dient jemand in der Nähe des Exis­tenz­mi­ni­mums oder gar dar­un­ter, ist Geld tat­säch­lich ein exis­ten­ti­el­ler Moti­va­ti­ons­fak­tor. Ist die Exis­tenz jedoch gesi­chert, ver­liert sich die moti­vie­ren­de Wir­kung des Gel­des rasch. Lohn­er­hö­hun­gen bin­den nicht lange.

Lesen Sie dazu auch den kur­zen Bei­trag „Zufrie­den­heit ist nicht das Gegen­teil von Unzu­frie­den­heit“ auf die­sem Blog.

Soweit all­ge­mein zum The­ma Moti­va­ti­on. Die oben gestell­ten Fra­gen sind damit aber noch nicht beant­wor­tet. Sie lauteten:

  • „In unse­rem Unter­neh­men wird oft demo­ti­viert. Wie kann man dem entgegenwirken?“
  • „Wie kann man ‚nach oben‘ motivieren?“

Bei­de Fra­gen legen den Gedan­ken nahe, dass sich die Moti­va­ti­on über die Zeit „davon­ge­schli­chen“ hat. Demo­ti­va­ti­on geschieht sel­ten absicht­lich. Eher haben sich mit der Zeit schlech­te Gewohn­hei­ten gebil­det. War man anfangs viel­leicht noch begeis­tert, haben sich mit der Zeit bestimm­te Bezie­hungs­mus­ter und Frus­tra­ti­ons­po­ten­tia­le erge­ben. Wer kann wen lei­den und wen nicht? Wer geht mit wem zum Mit­tag­essen und mit wem nicht? Wenn dann Pro­ble­me auf­tre­ten, sinkt mit der Zeit die Bereit­schaft, die Pro­ble­me über die sich lang­sam – und oft unab­sicht­lich – ver­tie­fen­den Grä­ben hin­weg zu lösen. Man gräbt sich in sei­ner Sicht der Din­ge ein, sucht sich Unter­stüt­zung bei denen, die einen sowie­so unter­stüt­zen und sucht nicht mehr die Irri­ta­ti­on, die es bedeu­tet, sich offen mit ande­ren Posi­tio­nen aus­ein­an­der­zu­set­zen. So ver­krus­ten Orga­ni­sa­tio­nen lang­sam, und man braucht eini­ge Geduld und viel Kraft, die Ängs­te ein­ser­seits und Kom­fort­zo­nen ande­rer­seits zu bear­bei­ten. John Kot­ter beginnt sein bekann­tes Buch über Chan­ge Manage­ment nicht umsonst mit den bedeut­sams­ten Feh­lern, die man aus sei­ner Sicht in Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen machen kann. Die meis­ten die­ser Feh­ler haben etwas mit Unge­duld, Über­schät­zung der eige­nen Gestal­tungs­macht und vor allem mit der Unter­schät­zung von Ängs­ten und Kom­fort­zo­nen zu tun.

Fehler in Veränderungsprozessen nach John Kotter (1996); Abbildung: eigene Darstellung
Feh­ler in Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen nach John Kot­ter (1996); Abbil­dung: eige­ne Darstellung

Wenn sich also mit der Zeit Gewohn­hei­ten gebil­det haben und Krea­ti­vi­tät, Ler­nen, Inno­va­ti­on und Ver­än­de­rung lang­sam zu Fremd­wor­ten wer­den, dann geht es weni­ger um die Anwen­dung von Moti­va­ti­ons­mo­del­len, son­dern viel­mehr um die Schaf­fung von Frei­räu­men, um die Gewohn­hei­ten in Fra­ge zu stel­len. Es ist wie gesagt sel­ten böse gemeint, wenn eine Füh­rungs­kraft nicht mehr beson­ders mit­ar­bei­ter­ori­en­tiert oder moti­vie­rend führt. Viel­mehr han­delt es sich oft um eine zur Gewohn­heit gewor­de­ne Grund­hal­tung des Selbst­schut­zes vor Frust, Kri­tik oder zu viel Druck.

Wenn Gewohn­hei­ten ver­än­dert wer­den sol­len, dann reicht es nicht aus, bewusst über sei­ne Gewohn­hei­ten nach­zu­den­ken und sie ändern zu wol­len. Es reicht auch nicht zu behaup­ten, dass sich etwas ändern müs­se. Es hat sehr lan­ge gedau­ert, bis etwas von der Idee zur Gewohn­heit wur­de, und eben­so lan­ge dau­ert es, die­se Gewohn­hei­ten – die ja mitt­ler­wei­le selbst­ver­ständ­lich und kaum mehr hin­ter­frag­bar sind – zu ändern. Wobei das Wort „Ver­än­de­rung“ hier nicht zutrifft. Ver­än­de­rung unter­stellt ratio­na­le Mach­bar­keit, aber genau das ist bei Gewohn­hei­ten schwie­rig. Hilf­rei­cher ist der Begriff des Ler­nens, im Sin­ne des gewöh­nen­den Aneig­nens. Ich stel­le fest, dass etwas nicht funk­tio­niert hat, den­ke dar­über nach, pro­bie­re etwas Neu­es aus, und mer­ke im Ide­al­fall, dass es funk­tio­niert. Nun pro­bie­re ich das öfter aus, und wenn die neue Idee erfolg­reich bleibt, wird sie zur neu­en Gewohn­heit. Ich habe also umgelernt.

Lernen als "gewöhnendes Aneignen"; Abbildung in Anlehnung an Darstellungen von Richard Sennett (2008); Zeichnung: Juliane Wedlich
Ler­nen als “gewöh­nen­des Aneig­nen”; Abbil­dung in Anleh­nung an Dar­stel­lun­gen von Richard Sen­nett (2008); Zeich­nung: Julia­ne Wedlich

 

Hal­ten wir fest, dass Ler­nen dann statt­fin­det, wenn etwas anders gelau­fen ist als ursprüng­lich beab­sich­tigt (also falsch), und wenn etwas Neu­es zum ers­ten Mal funk­tio­niert (vgl. Argy­ris 1993). Bei­des müs­sen wir aber bemer­ken, und genau dafür gibt es im Arbeits­all­tag kaum Zeit. Des Wei­te­ren ste­hen dem Bemer­ken eine gan­ze Rei­he von Abwehr­me­cha­nis­men im Weg, indem zuzu­ge­ben, dass etwas nicht mehr funk­tio­niert, das Selbst­bild eines Leh­rers in Fra­ge stellt: „Frü­her hat es doch immer funk­tio­niert. War­um sind die so blöd? Was mache ich falsch?“ Anstel­le sich zu fra­gen, was man anders machen könn­te, wel­che alter­na­ti­ven Wege es gebe oder wie man die Situa­ti­on anders betrach­ten könn­te, bewer­tet man die Situa­ti­on vor dem Hin­ter­grund des eige­nen Selbst­wer­tes. Man ver­sucht sich zu schüt­zen, denn zuzu­ge­ben, dass man in einer frü­her leicht zu bewäl­ti­gen­den Situa­ti­on nicht mehr kom­pe­tent sein könn­te, erfor­dert das Ertra­gen einer gewis­sen Unsi­cher­heit. Und Unsi­cher­heit ist so ziem­lich das Letz­te, was ein Mensch ertra­gen möch­te: „Dazu habe ich doch stu­diert, und dazu habe ich doch zwan­zig Jah­re Erfah­run­gen.“ Genau: Zwan­zig Jah­re Erfah­run­gen und ein gro­ßes Arse­nal von gewohn­heits­mä­ßi­gen Stra­te­gien, die all­mäh­lich nicht mehr funk­tio­nie­ren. Anstel­le zu fra­gen, was sich an der Welt geän­dert hat und was dies für das eige­ne Han­deln bedeu­tet, schützt man sich vor die­sen Erkennt­nis­sen und setzt sich selbst unter Druck, indem man sich fragt, was man falsch macht oder war­um die ande­ren so blöd sind.

Wenn ich in Schu­len kom­me, deren Teams ein hohes Durch­schnitts­al­ter haben, dann tref­fe ich oft auf eine gewis­se Skep­sis in Bezug auf die Metho­den und die päd­ago­gi­schen Sicht­wei­sen, die ich ver­tre­te. „Frü­her war nicht alles schlecht!“, lau­tet ein Stan­dard­satz. Ich stim­me die­sem Satz dann gern zu und lade die Betei­lig­ten zu einem klei­nen Gedan­ken­ex­pe­ri­ment ein. „Gestat­ten Sie, dass wir ein­mal davon aus­ge­hen, dass frü­her nicht alles schlecht war. Erzäh­len Sie mir ein­mal davon, wie es für Sie frü­her war. Ich fin­de das inter­es­sant. Und anschlie­ßend las­sen Sie uns dar­über spre­chen, wie es heu­te ist, was sich ver­än­dert hat.“ Dann samm­le ich Beschrei­bun­gen für die frü­he­re und die heu­ti­ge Welt. Meis­tens füllt sich die Tafel recht schnell. Dann fah­re ich fort: „Und nun las­sen Sie uns mal dar­über spre­chen, wie Erzie­hung und Schu­le aus­se­hen müss­ten, damit sie jun­ge Men­schen opti­mal auf die­se heu­ti­ge Welt vor­be­rei­ten. Was ich dann höre, sind zumeist Varia­tio­nen der Begrif­fe „Selbst­be­wusst­sein“ oder „dazu befä­hi­gen, auf die Füße zu fal­len“ oder „das Ler­nen ler­nen“ oder schlicht „Eigen­stän­dig­keit und Eigen­in­itia­ti­ve“. Dann folgt die kri­ti­sche Fra­ge: „Und was bedeu­tet das für die Metho­den von Erzie­hern und Leh­rern?“ Die Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen lesen sich dann wie eine Grob­zu­sam­men­fas­sung man­chen päd­ago­gi­schen Reform­pro­gramms, zumeist ergänzt um den Ein­wand, dass man in den ver­gan­ge­nen Jah­ren der Auto­ri­tät ver­lus­tig gegan­gen sei, und dass es gel­te, die Auto­ri­tät wiederherzustellen.

Spre­che ich mit Jugend­li­chen über die­ses The­ma, dann höre ich, dass man sehr wohl in der Lage sei, Auto­ri­tä­ten anzu­er­ken­nen, aber dass die Auto­ri­tä­ten von heu­te nicht mehr per se als sol­che aner­kannt wer­den. Eine Auto­ri­tät sei viel­mehr jemand, der sich die­sen Sta­tus erar­bei­tet habe und die Aner­ken­nung für ent­spre­chen­de Leis­tun­gen oder Kom­pe­ten­zen bekomme.

Es gibt eine Rei­he von Din­gen, die beim Umler­nen von Gewohn­hei­ten hilf­reich sind. Las­sen Sie uns hier­zu in zwei Bran­chen bli­cken, die von hoher Inno­va­ti­ons­fre­quenz und noch höhe­rem Kos­ten­druck getrie­ben sind, und das bei der Maß­ga­be, mög­lichst gar kei­ne Feh­ler zu machen, weil Feh­ler schmerz­haf­te bis töd­li­che Fol­gen haben kön­nen. Die­se bei­den Berei­che sind die Herz­chir­ur­gie und die Passagierluftfahrt.

Amy Edmond­son, For­sche­rin an der Har­vard-Uni­ver­si­tät, hat gemein­sam mit ihren Kol­le­gen eine Rei­he von Herz­chir­ur­gie-Teams unter­sucht, die ihre Ope­ra­ti­ons­me­tho­den von der klas­si­schen Vari­an­te, den Brust­korb zu öff­nen, auf die damals neue, mini­mal­in­va­si­ve Metho­de, bei der man nur noch über klei­ne Öff­nun­gen im Brust­korb ope­riert, umge­stellt haben. Von den ins­ge­samt 16 unter­such­ten Teams sind neun Teams nach kur­zer Erpro­bungs­zeit wie­der zu der her­kömm­li­chen Vari­an­te zurück­ge­kehrt, und das trotz ent­schei­den­der Vor­tei­le der neu­en Metho­de für den Pati­en­ten (deut­lich weni­ger Schmer­zen, eine um Mona­te kür­ze­re Erho­lungs­zeit, kei­ne gro­ße Nar­be). Es muss­te also trif­ti­ge Grün­de geben, die neue Metho­de nicht bei­zu­be­hal­ten. Der Grund lag in der Unter­schät­zung der Ver­än­de­rung der Gewohn­hei­ten durch die neue Metho­de und in der Unfä­hig­keit, neue Hand­lungs­mus­ter zu ent­wi­ckeln. Die alten Gewohn­hei­ten blie­ben mäch­tig und ver­hin­der­ten das Umler­nen. Und zwar wie folgt: Die neue Metho­de erfor­der­te eine kom­plett ande­re Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ope­rier­te man frü­her am offe­nen Her­zen, war eine ande­re Auge-Hand-Koor­di­na­ti­on mög­lich und alles rich­te­te sich nach dem lei­ten­den Chir­ur­gen. Das ging nun nicht mehr – kei­ner sah mehr alles, son­dern jeder Spe­zia­list war mit sei­nen Instru­men­ten beschäf­tigt. Man muss­te also plötz­lich viel mehr und anders mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren, und die Hier­ar­chie erwies sich dabei als hin­der­lich. So war das Kran­ken­haus mit dem berühm­tes­ten Chir­ur­gen das­je­ni­ge der 16 mit der höchs­ten Feh­ler­ra­te wäh­rend der Unter­su­chung. Der Erfolg der Über­nah­me der neu­en Metho­den war, so zei­gen die Ana­ly­sen von Edmond­son et al. (2001), nicht von der Grö­ße, der Lage (Stadt vs. Pro­vinz) oder der Art des Kran­ken­hau­ses (Uni­kli­nik, Pri­vat­kli­nik etc.) abhän­gig. Auch nicht vom „Kory­phä­en­sta­tus“ der lei­ten­den Chir­ur­gen oder davon, ob die Kli­nik­lei­tung die Ein­füh­rung der neu­en Metho­den unter­stützt hat oder nicht. Abhän­gig war der Erfolg hin­ge­gen von fol­gen­den Faktoren:

  • Füh­rungs­hal­tung des lei­ten­den Arztes
  • Psy­cho­lo­gi­sche Sicherheit
  • Kon­ti­nu­ier­li­che Reflexion

Lesen Sie hier eine etwas aus­führ­li­che­re Zusam­men­fas­sung der For­schungs­er­geb­nis­se von Amy Edmond­son und ihren Kol­le­gen auf die­sem Blog.

Schau­en wir nun in die Luft­fahrt: Eine ande­re ame­ri­ka­ni­sche For­sche­rin, Jody Hof­fer Git­tell hat unter­sucht, was effi­zi­en­te­re von weni­ger effi­zi­en­ten Air­lines unter­schei­det. Das Kri­te­ri­um für die Effi­zi­enz war dabei ein denk­bar ein­fa­ches, näm­lich der Auf­wand pro Pas­sa­gier. Es zeig­te sich, dass nicht etwa har­te, bspw. tech­ni­sche Fak­to­ren den Aus­schlag gaben, son­dern denk­bar „wei­che“ Aspek­te des Gesche­hens. Im effi­zi­en­tes­ten aller unter­such­ten Unter­neh­men (Sou­thwest Air­lines) habe es ein beson­ders hohes Aus­maß an „Bezie­hungs­ko­or­di­na­ti­on“ (rela­tio­nal coor­di­na­ti­on) gege­ben. Die Qua­li­tät der Bezie­hun­gen zwi­schen den Mit­ar­bei­tern und vor allem zwi­schen ver­schie­de­nen Arbeits­be­rei­chen gab den Aus­schlag. Git­tell fand drei bedeut­sa­me Fak­to­ren, die sie zum Begriff der Bezie­hungs­ko­or­di­na­ti­on zusammenfasste:

  1. das Vor­han­den­sein gemein­sa­mer Zie­le (Arbei­ten alle Berei­che und Per­so­nen auf das glei­che Ziel hin?),
  2. der gegen­sei­ti­ge Respekt (Besteht ein respekt­vol­ler Umgang mit­ein­an­der, oder wer­den ande­re bspw. bei Feh­lern beschul­digt?) und
  3. das Wis­sen über die Eigen­hei­ten und Belan­ge der jeweils angren­zen­den Arbeits­be­rei­che (Steht man sich gegen­sei­tig im Weg und hat nur die Erle­di­gung der eige­nen Auf­ga­ben im Sinn, oder koor­di­niert man die Arbeits­ab­läu­fe über die Gren­zen des eige­nen Teams oder Arbeits­be­reichs hinweg?).

Was bedeu­ten nun all die­se Über­le­gun­gen und Erkennt­nis­se prak­tisch für die Moti­va­ti­on von Mit­ar­bei­tern und ihren Vorgesetzten? 

  1. Es kommt auf die Bezie­hung an. Bil­det eine trag­fä­hi­ge Bezie­hung die Grund­la­ge der Zusam­men­ar­beit, wird kon­struk­ti­ve Kri­tik mög­lich, die im Deal­fall zum Aus­pro­bie­ren im Sin­ne von Ver­such und Irr­tum und zum Ler­nen im Sin­ne einer „gewöh­nen­den Aneig­nung“ führt.
  2. Es hilft nichts zu behaup­ten, dass etwas nicht läuft oder Dia­gno­sen aus­zu­spre­chen („unse­re Kul­tur muss bes­ser wer­den“). Es hilft eher, etwas ganz Kon­kre­tes zu ändern. Dies wird am bes­ten an einem Bei­spiel deutlich:

Eine frisch geba­cke­ne Leh­re­rin kommt an ihre ers­te Schu­le und nimmt zum ers­ten Mal an einer Leh­rer­kon­fe­renz teil. Sie betritt den Raum und stellt fest, dass alle weib­li­chen Leh­rer auf der einen Sei­te einer lan­gen Tafel und die männ­li­chen Leh­rer auf der ande­ren Sei­te sit­zen. An der Stirn­sei­te thront der Direk­tor und lei­tet die Ver­an­stal­tung. „Bei Euch piept es wohl!“, denkt sich die Leh­re­rin und setzt sich auf einen noch frei­en Platz zwi­schen die Her­ren. Es dau­ert etwas mehr als ein Jahr, bis die Sprü­che, die ande­re Leh­rer des­halb über sie machen, auf­hö­ren. Sie hört wäh­rend die­ser Zeit nicht auf, immer wie­der auf der „fal­schen“ Sei­te zu sit­zen. Kurz nach dem das Meckern ver­ebbt, pro­bie­ren eini­ge ande­re Leh­rer ande­re Sitz­plät­ze aus und nach einem wei­te­ren Jahr ist die alte Sitz­ord­nung voll­ends durch­ein­an­der geraten.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.