Prozesse brauchen Psychologie

Bei­spiel Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung: Man hat­te sich die Mühe gemacht, alle Mit­ar­bei­ter des Unter­neh­mens zu befra­gen. Die Ergeb­nis­se die­ser Orga­ni­sa­ti­ons­dia­gno­se wur­den auf einem Stra­te­gie­work­shop mit allen höhe­ren Füh­rungs­kräf­ten des Unter­neh­mens vor­ge­stellt. Anschlie­ßend beriet man andert­halb Tage lang dar­über, was die Ergeb­nis­se bedeu­ten und wel­che prak­ti­schen Schluss­fol­ge­run­gen dar­aus abzu­lei­ten sei­en. Man erar­bei­te­te einen Maß­nah­men­ka­ta­log und leg­te Mei­len­stei­ne fest, nur um ein hal­bes Jahr spä­ter die Bilanz zie­hen zu müs­sen, dass bei­na­he gar nichts pas­siert war.Ähnlich wie in die­sem Bei­spiel ver­lau­fen vie­le Bera­tungs­pro­jek­te: die Lage des Unter­neh­mens wird mit hohem Auf­wand ana­ly­siert, und es wer­den zumeist brauch­ba­re Vor­schlä­ge ent­wi­ckelt. Spä­ter stellt man jedoch fest, dass nur ein Bruch­teil die­ser Vor­schlä­ge umge­setzt wur­de. Ver­än­de­rungs­vor­ha­ben schei­tern nicht dar­an, dass die Ver­ant­wort­li­chen zu wenig wis­sen, son­dern sie schei­tern an der mit­tel– und lang­fris­ti­gen Umsetzung.In der Theo­rie wer­den die bei­den Umset­zungs­rich­tun­gen top down (von der Orga­ni­sa­ti­ons­lei­tung her; die meis­ten Chan­ge-Manage­ment-Ansät­ze fol­gen die­sem Ver­ständ­nis) und bot­tom up (mit Betei­li­gung der Mit­ar­bei­ter; bekann­tes­ter Ansatz: Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung) unter­schie­den. Bei­de Per­spek­ti­ven haben Stär­ken und Gren­zen. Wenn der Impuls nur “von oben” kommt, gerät der Wand­lungs­pro­zess häu­fig ins Sto­cken, weil nicht genug über die Ver­än­de­rungs­zie­le gere­det wird, den Mit­ar­bei­tern der Sinn nicht klar wird oder die Betei­lig­ten schlicht in ihren “Kom­fort­zo­nen” ver­har­ren. Wird der Ver­än­de­rungs­pro­zess vor allem “von unten” durch­ge­führt, besteht die Gefahr, dass sinn­vol­le Betei­li­gung in end­lo­sen Abstim­mungs­schlei­fen und Arbeits­grup­pen ver­ebbt. Im Fal­le des Schei­terns ist die Frus­tra­ti­on sehr groß, und nicht sel­ten besteht die Gefahr der Rück­ent­wick­lung der Organisation.Beispiel Chan­ge Manage­ment: Die Bera­ter kom­men ins Haus, neh­men Struk­tu­ren und Abläu­fe auf, unter­hal­ten sich mit den Lei­tern und den Mit­ar­bei­tern und fin­den her­aus, dass man am Ehes­ten beim Ver­trieb anset­zen müss­te, um den Gewinn zu stei­gern. Also sieht man sich den Ver­trieb an und opti­miert die Pro­zes­se. Herz­stü­cke des Ver­än­de­rungs­pro­jek­tes sind eine neue Ver­triebs­struk­tur und eine Daten­bank. Das neu auf­ge­stell­te Ver­triebs­team macht sei­ne Sache gut – nach einem Jahr ist der Absatz um 16 Pro­zent gestie­gen. Gleich­zei­tig hat sich der Gewinn jedoch wei­ter ver­rin­gert. Der Absatz wächst, aber der Gewinn sinkt. Man unter­sucht das Pro­blem noch ein­mal genau­er und fin­det nach eini­ger Zeit her­aus, dass es ver­steck­te Kos­ten gibt, die in der Kal­ku­la­ti­on nicht auf­tau­chen. Ins­be­son­de­re bei Ver­pa­ckung und Aus­lie­fe­rung schla­gen ganz ande­re Sum­men ins Kon­tor, als frü­her kal­ku­liert wur­den. Es stellt sich auch her­aus, dass die betriebs­in­ter­ne Zwi­schen­la­ge­rung und das Aus­lie­fe­rungs­la­ger etwas effek­ti­ver orga­ni­siert wer­den kön­nen. Und dann kommt man drauf: weil drei Bereichs­lei­ter seit Jah­ren nicht mit­ein­an­der reden, weiß die eine Hand nicht, was die ande­re tut. So kann es kom­men, dass die Kos­ten stei­gen, ohne dass sich dies in der Kal­ku­la­ti­on nie­der­schlägt. Die Kenn­zah­len, die der Geschäfts­füh­rung vor­ge­le­gen haben, haben die Rea­li­tät nicht mehr abge­bil­det. Ins­ge­samt war alles so undurch­sich­tig gewor­den, dass die eigent­lich sehr ein­fa­che Lösung nur durch Kom­mu­ni­ka­ti­on mög­lich gewor­den wäre. Aber genau die hat­te nicht stattgefunden.An die­sem Bei­spiel wird deut­lich, dass die tech­ni­sche Sei­te der Unter­neh­mens­ent­wick­lung häu­fig exzel­lent durch­ge­führt wird. Nicht umsonst ist der deut­sche Mit­tel­stand in der Welt ganz vorn dabei. Wenn es Ärger gibt oder Ver­än­de­run­gen fehl­ge­hen, sind die Ursa­chen dafür meis­tens in den mensch­li­chen Fak­to­ren zu suchen.Unser Ansatz ist des­halb, die tech­nisch domi­nier­ten Bera­tungs­per­spek­ti­ven (“Pro­zess”) mit den auf die mensch­li­chen Fak­to­ren kon­zen­trier­ten Ansät­zen (“Psy­cho­lo­gie”) zu kom­bi­nie­ren. Soll Wan­del gelin­gen, kommt die eine Per­spek­ti­ve nicht ohne die ande­re aus. Denn für Bera­tung wird sehr viel Geld aus­ge­ge­ben, damit die­se Auf­wen­dun­gen aber auch ihre Wir­kun­gen ent­fal­ten kön­nen, muss in geeig­ne­ter Wei­se dar­über kom­mu­ni­ziert wer­den. Dabei geht es nicht nur um Betei­li­gung, denn die­se hat ihre natür­li­chen Gren­zen. Es geht auch um wir­kungs­vol­le Füh­rung. Die Pro­zess­psy­cho­lo­gie nach unse­rem Ver­ständ­nis ver­bin­det also die tech­ni­sche Sei­te des Manage­ments von Wan­del mit der psy­cho­lo­gi­schen Dimen­si­on von Ver­än­de­run­gen – den human fac­tors, dem Umgang mit Wider­stän­den, den Fra­gen nach Moti­va­ti­on und Führung…Mit unse­rer pro­zess­psy­cho­lo­gi­schen Her­an­ge­hens­wei­se haben wir einen Bera­tungs­an­satz geschaf­fen, der die klas­si­sche Pro­zess­be­ra­tung mit Metho­den aus den “wei­che­ren”, psy­cho­lo­gisch fun­dier­ten Berei­chen (Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung, Coa­ching) kom­bi­niert. Ergeb­nis ist eine nach­hal­ti­ge­re Bera­tungs­per­spek­ti­ve, die nicht nur dia­gnos­ti­sche Daten und “har­te” Opti­mie­rungs­er­geb­nis­se lie­fert, son­dern die Umset­zung die­ser Ergeb­nis­se auch beglei­tend absichert.

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.