Was ist mit den jungen Leuten passiert?

Die Eigenheiten der jungen Generation aus psychologischer Sicht, und was diese für die Hochschuldidaktik bedeuten: Zusammenfassung des Seminars “Motivation und Führung in der Lehre” an der Hochschule Zittau/Görlitz

Unab­hän­gig davon, ob man mit Berufs­schul­leh­rern, Pro­duk­ti­ons­lei­tern, Per­so­na­lern oder Pro­fes­so­ren spricht – in einem Punkt sind sich fast alle einig: „Die jun­gen Leu­te – Aus­zu­bil­den­de, Berufs­ein­stei­ger, Bewer­ber, Stu­den­ten – haben sich ver­än­dert, sie for­dern viel und kön­nen wenig, und wenn man sie nicht behan­delt wie eine aus­ster­ben­de Tier­art, sind sie oft so schnell wie­der weg, wie sie auf­ge­taucht waren.“

Klingt das über­trie­ben? Für man­che viel­leicht. Ande­re wür­den es noch viel dras­ti­scher aus­drü­cken. Von einer „Gene­ra­ti­on Doof“ ist die Rede, oder von einer „Gene­ra­ti­on Y“, die angeb­lich ganz ande­re, viel ega­li­tä­re­re, viel mehr auf Work-Life-Balan­ce und auf Nach­hal­tig­keit aus­ge­rich­te­te Wer­te vertritt.

Stimmt das? Und wenn ja, wie ist es gekom­men? Zunächst könn­te man ganz böse behaup­ten: „Schuld sind die 68er!“

„Wer hat denn die anti­au­to­ri­tä­re Erzie­hung erfun­den?“, wür­de man viel­leicht pole­misch wei­ter fra­gen und einen Zusam­men­hang her­stel­len zwi­schen den eman­zi­pa­to­ri­schen Bemü­hun­gen der 68er und dem bis­wei­len sehr selbst­be­wusst oder sogar auf­müp­fig erschei­nen­den Ver­hal­ten der „heu­ti­gen Jugend“. Schnell wird man aber fest­stel­len, dass sol­che Erklä­run­gen viel zu platt sind.

Wie erzie­hen Sie selbst Ihre Kin­der, so Sie wel­che haben? Wel­che Wer­te sind Ihnen wich­tig? Und wie unter­schei­den sich Ihre Vor­stel­lun­gen von denen Ihrer Eltern? Ein wenig Selbst­be­ob­ach­tung hilft an die­ser Stel­le. Unge­ach­tet indi­vi­du­el­ler Dif­fe­ren­zen las­sen sich fol­gen­de Trends feststellen:

  1. Unser Wohl­stand hat nie gekann­te Aus­ma­ße ange­nom­men. Wir tun mitt­ler­wei­le vie­les, weil wir es kön­nen.
  2. Dem­entspre­chend haben sich unse­re Vor­stel­lun­gen von Erzie­hung ver­än­dert. Kin­der lau­fen nicht mehr mit wie frü­her, sie wer­den zum Gegen­stand bewuss­ter Ent­schei­dun­gen („Jetzt will ich ein Kind.“). Kin­der sind kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit mehr, son­dern sie wer­den, etwas über­trie­ben for­mu­liert, zu Pro­jek­ten, gleich­sam zum Teil der Selbst­ver­wirk­li­chung der Eltern.
  3. Wir behan­deln unse­re Kin­der wie Erwach­se­ne, wir dis­ku­tie­ren, über­zeu­gen, las­sen uns über­zeu­gen. Das tun wir, weil wir es kön­nen, und weil uns die natür­li­chen Instink­te abhan­den gekom­men sind. Wir lesen Bücher, anstel­le uns auf Intui­ti­on zu verlassen.
  4. Der ers­te Schritt war, dass wir begon­nen haben, unse­re Kin­der auf Augen­hö­he zu sehen und zu behan­deln. Wir haben sie so ernst genom­men, wie wir gern ernst genom­men hät­ten wer­den wol­len. Das blieb nicht ohne Fol­gen: Etwa zwei Drit­tel der jun­gen Men­schen sind zufrie­den mit ihren Eltern und wür­den ihre Kin­der so erzie­hen, wie sie selbst erzo­gen wur­den. Doch dabei ist es nicht geblie­ben. Das hät­te nur selbst­be­wuss­te Kin­der pro­du­ziert, die viel­leicht öfter mal ihre Gren­zen aus­pro­bie­ren und mit auto­ri­tä­rem Druck schlecht umge­hen kön­nen. Wir sind noch viel wei­ter gegan­gen: vie­le haben sich ihren Kin­dern unter­ge­ord­net, las­sen sie ent­schei­den, bit­ten sie, fle­hen sie an.
  5. Wenn Sie so erzo­ge­ne Men­schen aus­bil­den, müs­sen Sie sich auf ganz ande­re Haus­auf­ga­ben gefasst machen als bis­her. Sie haben es mit „Mut­tis Gold­stück­chen“ zu tun, in vie­len Fäl­len „heli­ko­ptern“ Mut­ti oder Vati sogar bis in die Hoch­schu­len hin­ein. An man­chen Unis gibt es mitt­ler­wei­le so etwas wie Eltern­aben­de… (Das ist kein Witz!)
  6. Im Wes­ten betrifft dies, folgt man Win­ter­hoff (2008) etwa zwei Drit­tel der Kin­der, im Osten deut­lich weni­ger, aber: Ten­denz stei­gend, hüben wie drüben.

 

Der psychologische Hintergrund: eine kurze Reise ins Ich

Die Dar­stel­lun­gen bis zur nächs­ten Über­schrift sind ein Aus­zug aus unse­rem Buch Pro­zess­psy­cho­lo­gie:

Am Anfang ist der Mensch, was er bekommt (Win­ter­hoff 2008). Am Anfang sind also nur Bedürf­nis­se, und der Mensch ver­fügt zunächst über kei­ner­lei „Gewahr-Sein“ sei­ner selbst oder gar ande­rer Per­so­nen im Sin­ne des­sen, was als Bewusst­sein bezeich­net wird. Wenn dies zutrifft, dann wird deut­lich, war­um die ers­ten – voll­stän­dig vor­sprach­li­chen und des­halb ratio­nal über­haupt nicht zugäng­li­chen – Erfah­run­gen so prä­gend sind. Wenn der Mensch sein Bedürf­nis ist, dann sind sein gan­zes Sein und sei­ne gesam­ten Erfah­run­gen zunächst von der Befrie­di­gung sei­ner Bedürf­nis­se abhän­gig. Bei Nicht­be­frie­di­gung hin­ge­gen ent­ste­hen Ängs­te von exis­ten­ti­el­lem Aus­maß. Es kann wohl als eine der Urfor­men von Angst ange­se­hen wer­den, wenn ein Säug­ling Hun­ger hat und nichts bekommt. Dies ist eine Erfah­rung, gegen die Kin­der noch kei­ne Schutz­me­cha­nis­men haben. Die­sen ursprüng­li­chen Zustand hat Mela­nie Klein den para­no­id-schi­zo­iden Modus genannt. Die­se Bezeich­nung ist hier nicht mit den gleich­na­mi­gen Stö­rungs­be­grif­fen zu ver­wech­seln. Viel­mehr meint Klein damit die Ver­letz­bar­keit der see­li­schen Ent­wick­lung durch zu weni­ge posi­ti­ve bzw. zu vie­le nega­ti­ve Erfah­run­gen. Alle Erfah­rung in die­ser Pha­se ist vor­sprach­lich, und das Kind ver­fügt noch über kei­ner­lei Kon­zept davon, dass die Mut­ter eine ande­re Per­son ist. Das Kind ist „allein auf der Welt“, das heißt, das Bedürf­nis des Kin­des bzw. des­sen Befrie­di­gung oder Nicht-Befrie­di­gung ent­spricht der Welt des Kin­des. Das Kind ist also psy­chisch in gewis­ser Wei­se auf sich allei­ne gestellt, ist sich des­sen aller­dings nicht gewahr, denn es hat noch kei­ne kogni­ti­ve Instanz, die all dies regeln könn­te. Das Kind erfährt die Welt auf einem Spek­trum zwi­schen der Befrie­di­gung von Bedürf­nis­sen und exis­ten­ti­el­len Bedro­hun­gen. Durch den Kon­takt mit der als bedroh­lich erleb­ten Welt tre­ten ers­te psy­chi­sche Dif­fe­ren­zie­run­gen auf. Indem die Psy­che ver­sucht, mit den Bedro­hun­gen umzu­ge­hen bzw. sie zu kon­trol­lie­ren, ent­wi­ckelt sich aus einem Teil des Es eine zwei­te Instanz. Das Ich tritt fort­an als Mitt­ler zwi­schen den Bedürf­nis­sen des Kin­des und der Umwelt auf. Die Her­aus­bil­dung des Ichs bil­det auch die Vor­aus­set­zung für die Kon­zep­tua­li­sie­rung des Selbst und des Ande­ren, also die Erfah­rung, dass die Mut­ter eine ande­re Per­son ist als das Kind selbst, und dass sie die Bedürf­nis­se des Kin­des manch­mal befrie­digt und manch­mal nicht.

Wenn (a) sich die Instanz des Ichs lang­sam vom Es dif­fe­ren­ziert und das Kind die Grund­la­gen des Ver­ständ­nis­ses ver­schie­de­ner Per­so­nen ent­wi­ckelt, und wenn (b) wäh­rend der ers­ten Pha­se (para­no­id-schi­zo­ider Grund­mo­dus) genü­gend posi­ti­ve Erfah­run­gen gesam­melt wur­den, dann besteht die Chan­ce für einen wei­te­ren wich­ti­gen Ent­wick­lungs­schritt. Die­ser Schritt besteht dar­in, die Ambi­va­lenz der Erfah­run­gen mit der Mut­ter zu bewäl­ti­gen. Mal ist die Mut­ter anwe­send und damit die Quel­le von Nähe und Bedürf­nis­be­frie­di­gung. Mal ist sie abwe­send und dadurch furcht­ein­flö­ßen­de Aus­lö­se­rin exis­ten­ti­el­ler Bedro­hun­gen. Bei­de Erfah­run­gen müs­sen in ein und der­sel­ben Per­son ver­or­tet wer­den. Wenn die­se Her­aus­for­de­rung gelingt, ist der Grund­stein für das gelegt, was als Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz bezeich­net wird – eine der zen­tra­len Funk­tio­nen des Ichs als der psy­chi­schen Instanz, die zwi­schen den mensch­li­chen Bedürf­nis­sen und der Außen­welt ver­mit­telt. Mela­nie Klein hat die­se Ent­wick­lungs­stu­fe den depres­si­ven Modus genannt und damit die Fähig­keit zur Inte­gra­ti­on äußerst ambi­va­len­ter Erfah­run­gen (sowohl posi­ti­ver als auch nega­ti­ver Erleb­nis­se) in das­sel­be Kon­zept (die Per­son der Mut­ter) bezeich­net. Das Adjek­tiv „depres­siv“ hat hier wie­der­um nichts mit dem gleich­na­mi­gen Stö­rungs­bild zu tun. Das psy­chi­sche Gesche­hen wäh­rend des ers­ten und zum Teil auch des zwei­ten Lebens­jah­res ver­läuft voll­stän­dig vor­sprach­lich. Gesche­hen in die­ser Zeit psy­chi­sche Ver­let­zun­gen, so wie­gen die­se beson­ders schwer, denn sie betref­fen die psy­chi­sche Ent­wick­lung in ihrer grund­le­gen­den Pha­se und sind spä­ter mit sprach­li­chen Mit­teln kaum bearbeitbar.

Aus den bis­he­ri­gen Dar­stel­lun­gen wird deut­lich, wie wich­tig aus­rei­chend posi­ti­ve Erfah­run­gen eines Kin­des wäh­rend der ers­ten Lebens­jah­re sind. Aller­dings – und dies wird oft weni­ger betont – ist die Erfah­rung der eige­nen Gren­zen eben­falls von ele­men­ta­rer Bedeu­tung für die Ent­wick­lung. Die Welt des Kin­des ent­spricht, wie wir gese­hen haben, am Anfang mehr oder min­der sei­nen Bedürf­nis­sen – das Kind ist, was es bekommt. In die­ser Zeit wer­den die ers­ten Grund­la­gen für eine psy­chi­sche Dif­fe­ren­zie­rung gelegt, die in die Her­aus­bil­dung des Ichs als zwei­te psy­chi­sche Instanz neben dem Es mün­det. Ein ande­rer psy­cho­ana­ly­ti­scher Begriff für die Selbst­be­zo­gen­heit ins­be­son­de­re des ers­ten Lebens­jah­res ist der des pri­mä­ren Nar­ziss­mus‘. Der pri­mä­re Nar­ziss­mus bezeich­net die zwangs­läu­fi­ge Auf-sich-selbst-Gewor­fen­heit des Kin­des in den frü­hen Ent­wick­lungs­sta­di­en – das Kind ist gleich­sam sei­ne Welt, weil es noch über kei­ne psy­chi­schen Dif­fe­ren­zie­run­gen ver­fügt, die zwi­schen sich und ande­ren bzw. der äuße­ren Welt unter­schei­den könn­ten. Wenn nun aus­rei­chend posi­ti­ve Erfah­run­gen mög­lich sind, ver­läuft die Ent­wick­lung ohne Beein­träch­ti­gun­gen, möch­te man mei­nen. Doch dem ist nicht immer so, wie Micha­el Win­ter­hoff (2008) ein­drucks­voll dar­stellt. Über die posi­ti­ven Grund­er­fah­run­gen hin­aus sind auch Grenz­erfah­run­gen für eine gelin­gen­de psy­chi­sche Ent­wick­lung not­wen­dig. Wer­den die­se Grenz­erfah­run­gen im Sin­ne all­ge­mein gül­ti­ger Regeln bzw. des­sen, was ein Kind nicht darf, nicht gemacht, ver­bleibt das Kind im Zustand des pri­mä­ren Nar­ziss­mus. Dies äußert sich, indem ande­re Men­schen nicht als eigen­stän­di­ge Wesen, son­dern als Teil der eige­nen Welt betrach­tet wer­den. Ursa­che dafür ist der feh­len­de Ent­wick­lungs­schritt, über die Inte­gra­ti­on von ambi­va­len­ten Erfah­run­gen – zunächst mit der Mut­ter und dann mit ande­ren Men­schen – Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz zu erler­nen. Wer­den dem Kind kei­ne Gren­zen gesetzt, kann es kei­ne oder zu weni­ge der besag­ten ambi­va­len­ten Erfah­run­gen machen, und die Inte­gra­ti­on der Ambi­va­lenz in ein Kon­zept („Die Mut­ter ist manch­mal da, dann ist alles gut. Aber manch­mal ist sie auch nicht da, das ist zwar nicht gut, aber es ist trotz­dem die­sel­be Per­son, die mich liebt und die ich lie­be.“) kann nicht erreicht wer­den. Nach Win­ter­hoff (2008) kann sol­che eine fehl­ge­hen­de Ent­wick­lung in die Unfä­hig­keit, ande­re Men­schen als selbst­stän­di­ge, gleich­be­rech­tig­te Wesen zu behan­deln, mün­den. Ande­re Per­so­nen wer­den dann behan­delt, als sei­en sie Teil der eige­nen Welt. Eine Ten­denz zur Unfä­hig­keit sich unter­zu­ord­nen und ein gering aus­ge­präg­tes Durch­hal­te­ver­mö­gen auf­grund feh­len­der Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz sind dann ent­spre­chen­de Folgen.

 

Was hat all das nun mit Ihren Aufgaben als Lehrende zu tun?

Es gibt ver­schie­de­ne Vari­an­ten von Bezie­hun­gen oder Bin­dun­gen an Orga­ni­sa­tio­nen. Man kann (a) zu einer Mit­glied­schaft gezwun­gen sein (bspw. im Gefäng­nis), dann lässt sich die Bezie­hung am Ehes­ten mit dem Begriff „ent­frem­det“ beschrei­ben. Des Wei­te­ren kann man (b) aus wirt­schaft­li­chen Grün­den Mit­glied einer Orga­ni­sa­ti­on wer­den (bspw. ein Unter­neh­men), dann ist die Art der Bin­dung eine „berech­nen­de“. Schließ­lich kann man © aus nor­ma­ti­ven Grün­den in eine Orga­ni­sa­ti­on ein­tre­ten (bspw. ein Ver­ein), dann ent­schei­det man sich dafür, weil die­ser Schritt einen „Wert an sich“ dar­stellt, und die Bezie­hung zur Orga­ni­sa­ti­on mora­li­scher Natur ist.

Wel­che Arten von Mit­glied­schaf­ten gibt es nun unter jun­gen Men­schen, wenn die­se eine Hoch­schu­le besu­chen? Von einer Zwangs­mit­glied­schaft ist sicher nicht aus­zu­ge­hen. Die Fra­ge ist eher, ob bei der Ent­schei­dung, sich bei Ihnen zu bewer­ben bzw. ein­zu­schrei­ben, wirt­schaft­li­che oder „intrin­si­che“ (Wert an sich) Inter­es­sen eine Rol­le gespielt haben. Die­se Ein­stel­lung lässt sich auf jede Hoch­schu­le und jedes Stu­di­en­fach her­un­ter­bre­chen: Arbei­tet bzw. lernt jemand, weil er muss (Pflicht­ver­an­stal­tung), weil er sich einen Nut­zen davon erhofft, oder arbei­tet bzw. lernt jemand, weil sie oder er einen Sinn dar­in sieht oder sich für die Auf­ga­be interessiert?

Die Rele­vanz die­ser unter­schied­li­chen „Bin­dungs­ty­pen“ wird deut­lich, wenn man ein wei­te­res psy­cho­lo­gi­sches Kon­zept hin­zu­zieht, näm­lich das des psy­cho­lo­gi­schen Ver­trags. Jeder Mensch geht mit den Orga­ni­sa­tio­nen, zu denen er gehört, eine Art unge­schrie­be­nen psy­cho­lo­gi­schen Ver­trags ein. Ein sol­cher Ver­trag besteht aus gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen. Je nach dem kann ein jun­ger Mensch ent­we­der hohe mora­li­sche Erwar­tun­gen an sei­ne Aus­bil­dung, sein Stu­di­um oder sei­ne Tätig­keit haben oder aber ganz prag­ma­ti­sche, nut­zen­ori­en­tier­te (bspw. indem jemand die Moti­va­ti­on hat, in der öffent­li­chen Ver­wal­tung zu arbei­ten, weil der Arbeits­platz dort beson­ders sicher erscheint).

Als Leh­ren­de sind Sie in gewis­ser Wei­se „Mode­ra­to­ren“ die­ses psy­cho­lo­gi­schen Ver­trags, indem Sie sei­ne ste­ti­ge Fort­schrei­bung – der Ver­trag ver­än­dert sich im Lau­fe der Zeit immer wie­der – als Stell­ver­tre­ter der Hoch­schu­le gemein­sam mit jun­gen Men­schen gestal­ten. Das bedeu­tet prak­tisch, dass es wich­tig ist, die Erwar­tun­gen zu ken­nen und ein­zu­be­zie­hen. Es geht dabei nicht um „maxi­mal mög­li­ches Enter­tain­ment“, son­dern es geht dabei um Sinn­ver­mitt­lung und Moti­va­ti­on. Indem Sie Erwar­tun­gen erfra­gen und eige­ne Erwar­tun­gen benen­nen, wer­den bei­de „Bil­der“ von der jewei­li­gen Tätig­keit klar und kön­nen abge­gli­chen wer­den. Ver­deut­li­chen Sie dar­über hin­aus den Sinn des Stu­di­ums (auch ein­zel­ner Fächer), kön­nen jun­ge Men­schen nicht nur die Regeln und Struk­tu­ren bes­ser ein­ord­nen, son­dern fin­den auch einen Ansatz­punkt für ihre Moti­va­ti­on. Es geht also nicht dar­um, die Erwar­tun­gen der jun­gen Men­schen ein­sei­tig zu erfül­len, son­dern es geht um einen Dia­log über die Erwar­tun­gen und den Sinn. Dann klä­ren sich Moti­va­ti­ons­fra­gen in der Regel von allein, denn jun­gen Men­schen ist dann klar, war­um bzw. wozu sie dies oder das machen sol­len, oder wozu sie die­se oder jene Fähig­keit gebrau­chen kön­nen. Sie kön­nen zwi­schen „Nut­zen­ori­en­tie­rung“ oder „Wert an sich“ wäh­len, und Sie als Hoch­schul­leh­rer brau­chen nicht Ihre – trotz aller Dia­log­ori­en­tie­rung zwei­fel­los vor­han­de­ne – Zwangs­au­tori­tät zu bemü­hen, um „Wohl­ver­hal­ten herzustellen“.

Den­ken Sie immer dar­an: Wenn die Eltern nur argu­men­tiert und gefragt haben und auf Augen­hö­he (oder im schlimms­ten Fall sogar dar­un­ter) geblie­ben sind, kön­nen die jun­gen Leu­te auch nichts ande­res als Augen­hö­he. Da ist, zuge­spitzt for­mu­liert, kei­ne Soft­ware für die Deko­die­rung auto­ri­tä­rer Ver­hal­tens­codes. „Nimm die Fei­le, fei­le etwas!“ funk­tio­niert nicht mehr. Selbst Prak­ti­kan­ten beschwe­ren sich ger­ne schon am zwei­ten Tag, dass sie nicht ein­be­zo­gen wer­den oder sich lang­wei­len. Wenn die Eltern ihre Kin­der immer ein­be­zo­gen und ent­schei­den las­sen haben, bleibt Ihnen kei­ne Wahl. Die­se Eltern haben zwar wesent­li­che Gesetz­mä­ßig­kei­ten der psy­chi­schen Ent­wick­lung miss­ach­tet und ihren Kin­dern alles ande­re als gut getan, aber das ist nun mal so. Sie kön­nen das nicht ändern. Die Erfah­rung lehrt etwas Tröst­li­ches: Wenn Sie ein­mal den Dreh raus haben, wer­den aus den­je­ni­gen, mit denen Sie eine trag­fä­hi­ge Bezie­hung auf­bau­en kön­nen, ganz wun­der­ba­re Studenten.

 

Lehre als helfende Beziehung

Es ist eine viel­leicht etwas unge­wohn­te Per­spek­ti­ve, das Ver­hält­nis zwi­schen Hoch­schul­leh­rern und Stu­den­ten als eine Form von Hil­fe zu ver­ste­hen. Tat­säch­lich aber wer­den dadurch ganz wesent­li­che Eigen­schaf­ten der Bezie­hung zwi­schen Leh­rern und Stu­den­ten deutlich:

Hil­fe impli­ziert, dass es eine Sei­te gibt, die etwas kann oder weiß, was der ande­ren Sei­te hel­fen kann bzw. das letz­te­re nicht weiß. Die­se bei­den Rol­len füh­ren zu dem cha­rak­te­ris­ti­schen Über- bzw. Unter­ord­nungs­ver­hält­nis von Hil­fe – die­je­ni­ge Sei­te, wel­che die Hil­fe gewährt, steht, was den sozia­len Sta­tus betrifft, über der die Hil­fe emp­fan­gen­de Seite.

Nor­ma­ler­wei­se sind Men­schen in ihren Bezie­hun­gen dar­auf aus, ihren sozia­len Sta­tus zu erhö­hen, min­des­tens jedoch zu wah­ren. Zuzu­ge­ben, dass ich Hil­fe brau­che, macht mich hin­ge­gen ver­letz­lich und zwingt mich zur Dank­bar­keit gegen­über der Per­son, die mir Hil­fe gewährt. Also ste­he ich für den Zeit­raum der Hil­fe und auch danach, was mei­nen sozia­len Sta­tus betrifft, unter der ande­ren Per­son. Genau des­halb ist es für vie­le so schwie­rig, über­haupt um Hil­fe zu bit­ten. Ande­rer­seits erklä­ren sich auch die Emo­tio­nen, die ent­ste­hen, wenn man Hil­fe gewährt, aber kei­nen Dank dafür erhal­ten hat.

Das heißt zunächst, dass Dozen­ten und Stu­die­ren­de in einem sta­tus­mä­ßig unglei­chen Ver­hält­nis zuein­an­der ste­hen. Die viel zitier­te „Augen­hö­he“ gibt es also de fac­to nicht. Gleich­zei­tig sind die Grün­de, war­um jemand ein Stu­di­um beginnt und wel­chen Sinn die­ses für sie oder ihn hat, ent­schei­dend. Trotz des hier­ar­chi­schen Ver­hält­nis­ses erscheint es unbe­dingt erfor­der­lich, Erwar­tun­gen zu bespre­chen und Sinn zu ver­mit­teln bzw. dafür zu sor­gen, dass Stu­den­ten sich die­sen Sinn erschlie­ßen kön­nen. Inso­fern sind Hoch­schul­leh­rer vor allem auch Dia­log­part­ner und Beglei­ter, wenn auch nicht auf Augenhöhe.

Die Dar­stel­lun­gen wei­ter oben legen den Schluss nahe, dass es vie­le jun­ge Men­schen auf­grund ihrer Erzie­hung gewohnt sind, ande­ren Men­schen auf Augen­hö­he zu begeg­nen. Über­trägt man dies auf die Situa­ti­on in Hoch­schu­len, dann mag sich eine Stu­den­tin zwar zunächst in die sta­tus­mä­ßig unter­ge­ord­ne­te Rol­le fügen. Spä­tes­tens jedoch dann, wenn es Pro­ble­me gibt und Druck ent­steht, sind Men­schen kaum oder nicht mehr in der Lage, bewusst und über­legt zu han­deln, son­dern sie akti­vie­ren unter Druck die in der Kind­heit erlern­ten Mus­ter, die in der Regel auf Selbst­schutz aus­ge­rich­tet sind. Wenn nun mein in der Kind­heit gelern­te Mecha­nis­mus der ist, dass ich mich im Zwei­fels­fall gegen mei­ne Eltern durch­set­zen konn­te, so wer­de ich auch bei Pro­ble­men in der Hoch­schu­le bzw. unter ent­spre­chen­dem Druck ver­su­chen, mich durch­zu­set­zen. Das erklärt die von vie­len  Aus­bil­dern, Per­so­nal­ver­ant­wort­li­chen und Hoch­schul­leh­rern heu­te als „Arro­ganz“ oder „über­stei­ger­tes Selbst­be­wusst­sein“ beschrie­be­nen Ver­hal­tens­wei­sen man­cher Schü­ler und Stu­den­ten in pro­ble­ma­ti­schen Situa­tio­nen, ins­be­son­de­re im Kon­flikt mit ihren Leh­rern. Die jun­gen Leu­te wie­der­ho­len gleich­sam ihre wäh­rend der Kind­heit in der Inter­ak­ti­on mit ihren Eltern erlern­ten Muster.

Es gibt drei For­men oder Modi hel­fen­der Beziehungen:

Modus 1 – Spe­zia­lis­ten­hil­fe: Über­tra­gen auf das Stu­di­um bedeu­tet die­ser Modus, dass man das Wis­sens­ge­biet, um das es geht, ganz klar umrei­ßen kann, und dass sich Hoch­schul­leh­rer in der Rol­le von Spe­zia­lis­ten befin­den, die Wis­sen und Lösun­gen für ganz spe­zi­fi­sche Pro­ble­me anbie­ten. Auf der ande­ren Sei­te weiß ein Stu­dent genau, wen er zur Klä­rung einer Fra­ge anspre­chen muss.

Modus 2 – Das Arzt-Pati­ent-Ver­hält­nis: In die­sem Fall weiß die Stu­den­tin zwar, dass sie eine Fra­ge oder ein Pro­blem hat, aber sie weiß ggf. nicht genau, wie sie zur Lösung des Pro­blems kommt. Auch hier wen­det sich die Stu­den­tin an ihre Leh­rer als Spe­zia­lis­ten. Die­se wer­den jedoch nicht sofort die Lösung anbie­ten, son­dern zunächst eine gemein­sam mit der Schü­le­rin eine Pro­blem­klä­rung oder »Dia­gno­se« erar­bei­ten, die dann die Grund­la­ge für die Lösung bildet.

Modus 3 – Lösungs­su­che als Pro­zess: In die­ser drit­ten Vari­an­te ken­nen bei­de Sei­ten zunächst noch nicht ein­mal die Natur des Pro­blems voll­stän­dig, geschwei­ge denn die Lösung. Die Aus­gangs­la­ge ist so kom­plex, dass nur ein gemein­sa­mer Pro­zess des Suchens, der Ana­ly­se und des Ent­wi­ckelns zur Lösung führt. Die Grund­la­ge die­ses Pro­zes­ses bil­det eine trag­fä­hi­ge Bezie­hung zwi­schen den Beteiligten.

Wir kön­nen nun unse­re ganz indi­vi­du­el­len Lehr-Pro­ze­du­ren in die­ses Modell ein­ord­nen: Sind wir Spe­zia­lis­ten, die vor­han­de­nes Wis­sen auf­be­rei­ten und in mehr oder min­der fest­ge­leg­ten Sche­ma­ta ver­mit­teln? Oder han­deln wir wie Ärz­te, die sich zunächst gemein­sam mit den Schü­lern ein Bild von der Sache machen, um dann die Lösung zu erar­bei­ten? Oder las­sen wir uns auf sehr kom­ple­xe Auf­ga­ben­stel­lun­gen ein, die wir gemein­sam mit den Stu­den­ten erschlie­ßen und lösen, immer wis­send, dass man man­che der heu­ti­gen Pro­ble­me gar nicht mehr als Spe­zia­list lösen kann, weil die Aus­gangs­la­gen schlicht zu kom­plex sind?

 

Was das praktisch bedeutet

  1. Es soll mög­lichst genau dar­ge­stellt wer­den, WARUM die zu ver­mit­teln­den Inhal­te wich­tig sind. Des Wei­te­ren ist es hilf­reich, die Prü­fungs­re­le­vanz der Inhal­te zu spezifizieren.
  2. Es erscheint not­wen­dig, selbst in Fron­tal­si­tua­tio­nen viel mit Stu­den­ten zu inter­agie­ren, um das Den­ken anzu­re­gen. Eine kon­kre­te Mög­lich­keit ist ein Mus­ter aus Fra­gen und Ant­wor­ten. Medi­en­wech­sel, Brü­che im Dar­stel­lungs- oder Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fluss, etwa durch Wit­ze oder län­ge­re Sprech­pau­sen, sowie Zusam­men­fas­sun­gen sind wei­te­re Mit­tel, die das Den­ken bzw. die Invol­viert­heit von Stu­den­ten anre­gen können.
  3. Es ist wich­tig, Erwar­tun­gen zu klä­ren, und zwar (a) Erwar­tun­gen der Grup­pe an die Dozen­tin, (b) Erwar­tun­gen des Dozen­ten an die Stu­den­ten, © Erwar­tun­gen an die dar­zu­stel­len­den Inhal­te und (d) Erwar­tun­gen der Dozen­tin an sich selbst.
  4. Des Wei­te­ren spre­chen die obi­gen Dar­stel­lun­gen für die Anwen­dung der Fall­me­tho­de in Prü­fun­gen (die­se Mög­lich­kei­ten sind sehr vom Fach bzw. The­ma abhän­gig) bzw. für kom­ple­xe Prüfungsfragen.
  5. Es ist wich­tig, authen­tisch zu blei­ben und mit der eige­nen Begeis­te­rung für sein Fach zu arbeiten.

 

Als Abschluss: „Töpfer“ vs. „Gärtner“, oder doch etwas Neues?

Von Bern­hard Bueb stammt der Gedan­ke, dass sich die gegen­wär­ti­gen Lehr­sti­le auf einem Spek­trum zwi­schen »Töp­fern« und »Gärt­nern« ein­ord­nen las­sen. Die »Töp­fer« sei­en sol­che Leh­rer, die den Men­schen form­ten und ihm, ihrer Vor­bild­funk­ti­on wohl bewusst, kla­re Wert­vor­stel­lun­gen ver­mit­tel­ten, Gren­zen setz­ten und die Rol­le der Dis­zi­plin und des Anstands beton­ten. Dem­ge­gen­über ste­he das Ide­al der »Gärt­ner«, die den Men­schen selbst wach­sen lie­ßen, ihm nur Anre­gun­gen gäben, sei­ne Lern­fort­schrit­te beglei­te­ten und beob­ach­te­ten und dafür sorg­ten, dass Regeln selbst aus­ge­han­delt wür­den. Wäh­rend die »Töp­fer« die alt­her­ge­brach­te Art des Leh­rens reprä­sen­tie­ren, ver­steht man die »Gärt­ner« am bes­ten als Gegen­ent­wurf zur tra­di­tio­nel­len Art des Leh­rens. Ent­spre­chend unver­söhn­lich ste­hen sich die bei­den päd­ago­gi­schen Auf­fas­sun­gen oft gegenüber.

Nach mei­nem Dafür­hal­ten bedarf es aber einer Inte­gra­ti­on bei­der Sicht­wei­sen. Leh­rer haben einer­seits sehr wohl eine Vor­bild­rol­le und sind nicht nur Lern­be­glei­ter. Mit einer zu har­ten Ori­en­tie­rung an Dis­zi­plin und Stan­dard »stanzt« man ande­rer­seits nur schlech­te Kopien eines falsch ver­stan­de­nen Bildungsideals.

Wer­te müs­sen klar ver­mit­telt und kön­nen nicht mit­tels kon­struk­ti­vis­ti­scher Metho­den selbst erar­bei­tet wer­den. Nur wer kla­re, kon­sis­ten­te Vor­bil­der hat­te, kann sich spä­ter auf die­ser Grund­la­ge bewusst für oder gegen etwas ent­schei­den. Und wer sich zu früh mit zu star­ken Auto­ri­tä­ten kon­fron­tiert sieht, ent­wi­ckelt nicht die heu­te so wich­ti­ge Kom­pe­tenz »auf die Füße zu fal­len«, also Pro­ble­me selbst zu lösen. Das bedeu­tet, dass sich kla­re, trans­pa­ren­te und wert­ori­en­tier­te Vor­ga­ben auf der einen und Dia­log­fä­hig­keit, Beob­ach­tungs­ga­be und Spaß dar­an, ande­ren bei ihrer ganz eige­nen Ent­wick­lung zu hel­fen, auf der ande­ren Sei­te ergän­zen müssen.

Die meis­ten der gegen­wär­tig vor­herr­schen­den päd­ago­gi­schen Metho­den sind nach wie vor auf die Kom­pen­sa­ti­on all­zu »töp­fe­ri­scher« bzw. auto­ri­tä­rer Zei­ten und Sti­le aus­ge­rich­tet. In Ost­deutsch­land mag das auf­grund der viel län­ge­ren tota­li­tä­ren Zeit noch not­wen­dig und hilf­reich sein. Heinz Eggert sag­te ein­mal, die schlimms­te Per­son im Osten sei nicht Erich Miel­ke gewe­sen und schon gar nicht Erich Hon­ecker. Viel schlim­me­ren Scha­den habe Mar­got Hon­ecker in ihrer Rol­le als Bil­dungs­mi­nis­te­rin angerichtet.

Ins­ge­samt aber ist davon aus­zu­ge­hen, dass wir es in Schu­len und Hoch­schu­len kaum noch mit den Spät­fol­gen zu stren­ger Erzie­hung zu tun haben. Im Gegen­teil: Der Teu­fel liegt heu­te eher in der Belie­big­keit, in der Viel­zahl der Mög­lich­kei­ten, in der Ten­denz, sich nicht ent­schei­den zu wol­len oder zu kön­nen. Man­che ver­lan­gen des­halb eine »Rück­kehr« zu den ver­meint­li­chen alten Wer­ten. Die­se Men­schen haben gleich­zei­tig Recht und Unrecht: Es lässt sich eine Umori­en­tie­rung in den Wer­ten fest­stel­len, jun­ge Men­schen schät­zen tra­di­tio­nel­le Wer­te durch­aus, aber sie tun das auf ihre Wei­se. Man kann nicht von einer »Renais­sance der Auto­ri­tät« spre­chen, viel­mehr geht es um eine »Neue Auto­ri­tät«. Der Phi­lo­soph Robert Spae­mann (in Beut­ler & Hors­ter 1995) hat in einem Auf­satz über päd­ago­gi­sche Ethik ein­mal geschrie­ben, dass gute Leh­rer vor allem drei Din­ge bräuch­ten: (1) kla­re Über­zeu­gun­gen, (2) Ver­trau­en zu ihren Schü­lern und (3) die Fähig­keit, sich selbst nicht zu wich­tig zu neh­men. Gera­de im drit­ten Aspekt ste­cken wich­ti­ge Erkennt­nis­se: Gesun­de Auto­ri­tät för­dert in ers­ter Linie die Ent­wick­lung und setzt Gren­zen, wenn dies för­der­lich ist. Es geht nicht um Dis­zi­plin um ihrer selbst Wil­len, son­dern um Frei­heit und die Fähig­keit zur Dis­zi­plin, wenn sie erfor­der­lich ist. Gesun­de Auto­ri­tät unter­schei­det sich von unge­sun­der, indem sie sich von Oppo­si­ti­on und abwei­chen­dem Ver­hal­ten nicht angrei­fen lässt. Nicht die Sank­ti­on ist das Instru­ment gesun­der Auto­ri­tät, son­dern die Vor­bild­wir­kung und die Wertschätzung.

Es gibt weni­ge Din­ge, die die mensch­li­che See­le wir­kungs­vol­ler zu ver­for­men in der Lage sind als die Mecha­nis­men kras­ser, auf blin­den Gehor­sam aus­ge­rich­te­ter Auto­ri­tät. Wir haben im letz­ten Jahr­hun­dert viel­fäl­ti­ge Instru­men­te ent­wi­ckelt, die­se Mecha­nis­men sicht­bar zu machen, und wir haben etli­che Metho­den, die uns dabei hel­fen, die nega­ti­ven Fol­gen krank­ma­chen­der Auto­ri­tät zu kom­pen­sie­ren. Aber was ist, wenn wir es mit die­sen Metho­den so über­trie­ben haben, dass wir es heu­te nicht nur mit weni­ger nega­ti­ver Auto­ri­tät, son­dern auch mit den krank­ma­chen­den Fol­gen von zu wenig gesun­der Auto­ri­tät zu tun haben? Was pas­siert, wenn anstatt weni­ger zu töp­fern und mehr zu gärt­nern die Gärt­ne­rei zur bestim­men­den Dis­zi­plin gewor­den ist? Was ist, wenn wir, wie Win­ter­hoff ver­mu­tet, mitt­ler­wei­le so weni­ge Gren­zen set­zen, dass vie­le Kin­der in einem Früh­sta­di­um der psy­chi­schen Ent­wick­lung ver­har­ren, sich »allein auf der Welt« wäh­nen und zu klei­nen Tyran­nen wer­den, die ihren Eltern, wenn sie sie nicht gar ver­prü­geln, mehr oder min­der dau­ernd auf dem Kopf herumtanzen?

Jörg Hei­dig

Zum Bericht einer Teil­neh­me­rin vom Semi­nar “Moti­va­ti­on und Füh­rung in der Lehre”

 

Verwendete Literatur

Beut­ler, K., & Hors­ter, D. (Hrsg.) (1995): Päd­ago­gik und Ethik. Reclam.

Bueb, B. (2008): Lob der Dis­zi­plin: Eine Streit­schrift. Ull­stein Taschenbuch.

Hei­dig, J., Klei­nert, K. O., Dral­le, T., & Vogt, M. (2012): Pro­zess­psy­cho­lo­gie: Wie Pro­zes­se, mensch­li­che Fak­to­ren und Wis­sen im Unter­neh­mens­ge­sche­hen zusam­men­wir­ken. EHP Edi­ti­on Huma­nis­ti­sche Psychologie.

Win­ter­hoff, M. (2008): War­um unse­re Kin­der Tyran­nen wer­den: Oder: Die Abschaf­fung der Kind­heit. 21. Auf­la­ge. Güters­lo­her Verlagshaus.

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.