Angst als Voraussetzung und Gefahr für Veränderungsprozesse

Wenn es um die Ver­än­de­rung von Unter­neh­men geht, ist oft von “Wider­stän­den” die Rede, etwa wenn sich Mit­ar­bei­ter wei­gern, eine neu ein­ge­führ­te Soft­ware zu benut­zen und schein­bar stur an alten Gepflo­gen­hei­ten fest­hal­ten. Ver­än­de­run­gen bedeu­ten, dass nicht nur Neu­es gelernt, son­dern Alt­her­ge­brach­tes auch ver­lernt wer­den muss. Und dies ist schwie­ri­ger, als es auf den ers­ten Blick scheint, denn ein­mal erfolg­reich gelernt, wer­den Abläu­fe mit der Zeit zur Rou­ti­ne. Und je älter und ein­ge­üb­ter die Rou­ti­ne ist, des­to weni­ger wird sie in Fra­ge gestellt. So kommt es, dass Mit­ar­bei­ter zuwei­len sogar an Pro­ze­du­ren fest­hal­ten, die nicht nur über­holt, son­dern regel­recht kon­tra­pro­duk­tiv erschei­nen. So para­dox es zuwei­len anmu­ten mag, wenn etwa ein hoch bezahl­ter Inge­nieur wei­ter Feh­ler­pro­to­kol­le zu Papier bringt, um sie dann jeweils zum Ende der Woche unter Druck sei­nes Team­lei­ters in ein IT-basier­tes Sys­tem zu über­tra­gen und damit deut­lich mehr Zeit für die Feh­ler­pro­to­kol­lie­rung auf­wen­det als vor­her – sol­che Ver­hal­tens­wei­sen haben für den Betref­fen­den einen Sinn, eine posi­ti­ve Funk­ti­on. So kann das Fest­hal­ten an alten Rou­ti­nen etwa Aus­druck eines aus­ge­präg­ten Sicher­heits­be­dürf­nis­ses im Ange­sicht schnel­len Wan­dels sein.

Damit wird eine der wich­tigs­ten Vor­aus­set­zun­gen für erfolg­rei­chen Wan­del ange­spro­chen – ein mög­lichst aus­ge­präg­tes Sicher­heits­ge­fühl bei den Betei­lig­ten bei gleich­zei­tig mög­lichst gro­ßem Ver­än­de­rungs­druck. Auf den ers­ten Blick erscheint dies para­dox, denn Ver­än­de­run­gen erzeu­gen Unsi­cher­heit. Hier ist gute Füh­rung gefragt, die rich­ti­ge Ver­bin­dung zwi­schen Ver­än­de­rungs­dy­na­mik und Sicher­heits­ge­fühl her­zu­stel­len. Zunächst braucht es (exter­nen) Ver­än­de­rungs­druck, um über­haupt die Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit zu erzeu­gen. Ist das Aus­maß des Ver­än­de­rungs­drucks zu gering bzw. wird zu wenig über Not­wen­dig­keit und Zie­le der Ver­än­de­run­gen gespro­chen, ver­har­ren die Betei­lig­ten in ihren Rou­ti­nen. Dar­über hin­aus ist es wich­tig, neben den lang­fris­ti­gen Zie­len der Ver­än­de­rung kurz- und mit­tel­fris­ti­ge Mei­len­stei­ne zu pla­nen, deren Errei­chung dann ent­spre­chend sym­bo­li­siert oder gar incen­ti­viert wird. Dies ver­mit­telt den Betei­lig­ten einen Ein­druck kon­ti­nu­ier­li­chen Fort­schritts, der ange­sichts der oft abs­trak­ten und lang­fris­ti­gen Kon­so­li­die­rungs­zie­le umso wich­ti­ger ist.

Füh­rungs­kräf­te soll­ten sich bewusst sein, dass Ver­än­de­run­gen eine emo­tio­na­le Dimen­si­on haben, und dass die emo­tio­na­le Ver­ar­bei­tung der ratio­na­len Ein­sicht in die Ver­än­de­rungs­not­wen­dig­keit nur lang­sam folgt. Um den Ver­än­de­rungs­pro­zess güns­tig zu gestal­ten, müs­sen Füh­rungs­kräf­te daher Fol­gen­des beachten:

  1. Der Ver­än­de­rungs­druck muss groß genug sein. Dies ist trans­pa­rent zu bele­gen und zu kommunizieren.
  2. Der Ver­än­de­rungs­druck allein reicht nicht, son­dern muss mit erreich­ba­ren Zie­len ver­bun­den wer­den. Über die­se Zie­le ist oft, aus­führ­lich und kon­kret zu spre­chen. Es besteht die Gefahr, “den Sieg zu früh zu erklä­ren” (Kot­ter). Das Errei­chen kurz- und mit­tel­fris­ti­ger Teil­zie­le sichert die Kon­ti­nui­tät des Veränderungsprozesses.
  3. Die Betei­lig­ten müs­sen sich in aus­rei­chen­dem Maße sicher füh­len, um in der Lage zu sein, neue Vor­ge­hens­wei­sen zu ent­wi­ckeln und Pro­blem­lö­sun­gen sehen zu kön­nen, ohne Angst zu haben.

Angst ist das zen­tra­le The­ma von Ver­än­de­rung – sie ist gleich­sam Vor­aus­set­zung (aus­ge­löst durch den Ver­än­de­rungs­druck) als auch Gefahr (wenn sie zu groß wird) für den Ver­än­de­rungs­pro­zess. Füh­rungs­kräf­te haben die Auf­ga­be, aus­führ­lich über den Ver­än­de­rungs­druck zu spre­chen, mit Hil­fe der Zie­le Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit zu schaf­fen und gleich­zei­tig den Betei­lig­ten genü­gend Sicher­heit zu ver­mit­teln, dass die­se über­haupt ver­än­de­rungs­be­reit sein können.

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.