Kann man Lügen erkennen?

Wir sind uns in der Regel unse­rer non­ver­ba­len Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht bewusst, viel­mehr set­zen wir Kör­per­spra­che intui­tiv ein. Man denkt nicht nach, wenn man sich an der Nase kratzt oder den ande­ren anlä­chelt und dabei anstarrt. Eben­so sind sie Reak­tio­nen ande­rer auf unse­re kör­per­sprach­li­chen Signa­le kaum oder nicht bewusst, wes­halb wir uns auch manch­mal über Reak­tio­nen wun­dern, die ande­re zei­gen, wäh­rend wir mit ihnen spre­chen, oder wir wun­dern uns im Nach­hin­ein bei­spiels­wei­se über die Hef­tig­keit unse­rer eige­nen Reak­tio­nen im Gespräch. Wir kön­nen ler­nen, einen Teil unse­rer Kör­per­spra­che bewusst ein­zu­set­zen, etwa um das, was wir sagen wol­len, durch Ges­ten zu unter­strei­chen. Man kann auch ler­nen, bestimm­te kör­per­sprach­li­che Ele­men­te weg­zu­las­sen. Die Gefahr bei die­sen rhe­to­ri­schen Lern­pro­gram­men ist, dass wir uns selbst etwas über­stül­pen und nach­her nicht mehr authen­tisch wir­ken – was sich in der Kon­se­quenz oft nega­ti­ver aus­wirkt, als ein paar Feh­ler zu machen.

Wenn wir mit ande­ren kom­mu­ni­zie­ren, löst deren Kör­per­spra­che Emo­tio­nen in uns aus. Emo­tio­nen sind hand­lungs­lei­ten­de Signa­le unse­res Kör­pers – qua­si „bewer­tet“ unser Gehirn eine Situa­ti­on, indem es Emo­tio­nen pro­du­ziert. Die emo­tio­na­le Ver­ar­bei­tung pas­siert auto­ma­tisch; was wir davon bewusst mit­be­kom­men, ist nur ein „nebu­lö­ses Abbild“, denn die Emo­tio­nen waren lan­ge vor der Spra­che da (ande­re Säu­ge­tie­re haben sie ja auch), und unser Sprach­zen­trum ist nur begrenzt mit den emo­tio­na­len Zen­tren „ver­drah­tet“. Bewusst­sein ist eine Art Neben­funk­ti­on des Sprach­zen­trums. Stimmt etwas nicht – pas­sen die Wor­te nicht zur Kör­per­spra­che oder passt die Mimik nicht zur Ges­tik, dann ori­en­tie­ren wir uns zunächst an der Kör­per­spra­che (Kör­per­spra­che > Mimik > Wor­te). Wir „erken­nen“ die Kör­per­spra­che ande­rer wahr­schein­lich, indem wir sie nach­ah­men. Kom­mu­ni­ka­ti­on ist ohne die­ses „Her­ein­ho­len des ande­ren“ unmöglich.

Wir bekom­men zwar bei­gebracht, nicht zu lügen, tun es aber trotz­dem – häu­fig, um ande­ren nicht zu nahe zu tre­ten bzw. um uns sozi­al erwünscht zu ver­hal­ten. Sol­che Lügen erleich­tern das Zusam­men­le­ben. Ande­re Lügen aber die­nen der Täu­schung, also bei­spiels­wei­se der Errei­chung von Zie­len unter Vor­täu­schung fal­scher Tat­sa­chen. Sol­che Lügen wür­de man gern ent­tar­nen. Aber das ist nicht so ein­fach. Bekann­te Mythen besa­gen, dass Men­schen den Blick­kon­takt mei­den, wäh­rend sie lügen, oder sich beim Lügen an der Nase krat­zen. Wenn es so ein­fach wäre, könn­ten Lügen leicht ent­tarnt wer­den, und wir wür­den uns damit gar nicht befas­sen, eben weil es ja jeder könnte.

Man erkennt Lügen – wenn über­haupt – am ehes­ten aus dem Kon­text bzw. der Inter­ak­ti­ons­dy­na­mik her­aus. Man kann kör­per­sprach­li­che Signa­le nicht direkt inter­pre­tie­ren. Eher kann man zum Bei­spiel fra­gen, ob sich jemand so ver­hält wie immer, oder ob sei­ne Hand­lun­gen – ins­be­son­de­re die non­ver­ba­len – von sei­nen übli­chen Mus­tern abwei­chen. Mög­li­che Anzei­chen könn­ten unter ande­rem ein gerin­ge­res Sprech­tem­po, beglei­tet durch einen star­ren Blick sein. Ins­be­son­de­re Anzei­chen erhöh­ter Angst sind ein Indiz. Man geht dem am bes­ten durch Nach­fra­gen auf den Grund. Wenn bei­spiels­wei­se meh­re­re der fol­gen­den Ele­men­te zusam­men auf­tre­ten, kann man das als Hin­weis ver­ste­hen, ein­mal genau­er nach­zu­fra­gen: die Hän­de berüh­ren sich gegen­sei­tig (Hän­de rei­ben oder der­glei­chen) oder das Gesicht (zum Bei­spiel den Hals); Arme ver­schrän­ken und sich zurück­leh­nen. Aber Vor­sicht: wir kön­nen uns hier, wie bei allen kör­per­sprach­li­chen Inter­pre­ta­ti­ons­ver­su­chen, nie sicher sein, son­dern müs­sen immer Kon­text und Dyna­mik betrach­ten. Hilf­rei­cher ist es des­halb, sich auf das zu kon­zen­trie­ren, was das Gegen­über sagt. Faust­re­gel: kommt die Ant­wort kurz und bün­dig, so han­delt es sich wahr­schein­lich um die Wahr­heit. Dau­ert es eine Wei­le und fol­gen dann lan­ge Erklä­run­gen, ist das als Ein­la­dung zu ver­ste­hen, genau­er nachzufragen.

Bei­spiel Aus­weich­ma­nö­ver: Auf die Fra­ge „Bist Du fremd­ge­gan­gen?“ ant­wor­tet das Gegen­über nicht mit einem schlich­ten „Nein.“, son­dern mit einem aus­wei­chen­den „Sowas wür­de ich nie machen. Mei­ne Eltern haben mir bei­gebracht, dass Treue ganz wich­tig ist. Und das ist es auch. Treue ist mir sehr wich­tig.“ oder: „Ich bin seit zehn Jah­ren mit Dir ver­hei­ra­tet. Und das gern. Wie­so soll­te ich jetzt auf so eine Idee kommen?“

Fazit: Wenn man wis­sen möch­te, ob jemand lügt, kann man die­je­ni­gen Signa­le, die auf Ehr­lich­keit und Sym­pa­thie hin­deu­ten, einst­wei­len igno­rie­ren. Wenn man das tut, gibt sich ein – gege­be­nen­falls lügen­des – Gegen­über wahr­schein­lich grö­ße­re Mühe, über­zeu­gend zu wir­ken. Lüg­ner wer­den in der Regel ver­su­chen, unse­re Sym­pa­thie zu gewin­nen. Je öfter eine Aus­sa­ge wie­der­holt wird, des­to glaub­wür­di­ger wird die Aus­sa­ge – die­ser Effekt ist umso stär­ker, je weni­ger Ahnung wir vom The­ma haben und je sym­pa­thi­scher uns der jewei­li­ge Gesprächs­part­ner ist. Unse­re bes­ten Optio­nen sind also, Sym­pa­thien (einst­wei­len) zu igno­rie­ren, auf Wie­der­ho­lun­gen und Stei­ge­run­gen zu ach­ten, skep­tisch zu blei­ben und nach­zu­fra­gen. Den Rest besorgt in der Regel die Intui­ti­on. Und: man soll­te ent­spre­chend kri­ti­sche Gesprä­che nicht allein führen.

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.