Kommunales Bildungsmanagement: Wie lassen sich Kooperation und Prozesse über Behördengrenzen hinweg organisieren?

Kürz­lich hat­te ich den Auf­trag, für die Trans­feragen­tur Kom­mu­na­les Bil­dungs­ma­nage­ment Bran­den­burg eine Fort­bil­dung zu der Fra­ge durch­zu­füh­ren, wie sich Koope­ra­ti­on und Pro­zes­se über Abteilungs‑, Behör­den- und Gewohn­heits­gren­zen hin­weg orga­ni­sie­ren las­sen. Ich bin einem auf­ge­schlos­se­nen Netz­werk von Spe­zia­lis­ten aus den Berei­chen Bil­dungs­ma­nage­ment und ‑moni­to­ring begeg­net und habe mich sehr über das rege Inter­es­se und den Aus­tausch gefreut. Grund genug, die wich­tigs­ten Punk­te der Fort­bil­dung zu einem Arti­kel zusammenzufassen.

Der fol­gen­de Text beant­wor­tet drei Fragen:

  1. Wie „tickt“ Ver­wal­tung? Indem man Ver­wal­tung als eine spe­zi­fi­sche und lan­ge gewach­se­ne Kul­tur ver­steht, wer­den vie­le Eigen­hei­ten von Behör­den ver­ständ­lich. Gleich­zei­tig ist es wich­tig, mit eini­gen Miss­ver­ständ­nis­sen und Vor­ur­tei­len gegen­über Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen aufzuräumen.
  2. Wie funk­tio­nie­ren Dia­lo­ge, Netz­wer­ke oder gemein­sa­me Ent­wick­lun­gen zwi­schen ein­zel­nen Berei­chen der­sel­ben Behör­de oder zwi­schen unter­schied­li­chen Behör­den oder zwi­schen öffent­li­chen und pri­va­ten Orga­ni­sa­tio­nen „den­noch“?
  3. Wel­che Hal­tun­gen und Metho­den sind bei der Anbah­nung von Zusam­men­ar­beit oder bei der Gestal­tung von Netz­wer­ken hilfreich?

Wie „tickt“ Ver­wal­tung? 

Wenn man ver­ste­hen möch­te, wie wir als Men­schen „ticken“ oder wie spe­zi­fi­sche, von uns geschaf­fe­ne Orga­ni­sa­ti­ons­for­men funk­tio­nie­ren, ist es hilf­reich, an den Anfang zurück­zu­ge­hen. Ich möch­te hier nicht bis an den Anfang der Spra­che oder der Kul­tur über­haupt zurück­ge­hen, das habe ich kürz­lich an ande­rer Stel­le auf die­sem Blog getan. Wich­tig ist hier ledig­lich, dar­auf hin­zu­wei­sen, was pas­siert, wenn Men­schen begin­nen, zusammenzuarbeiten:

  1. Zunächst gibt es ein Pro­blem, und jemand hat eine Idee.
  2. Hat die Idee zum Erfolg geführt, wird sie bei ähn­li­cher Pro­blem­la­ge wiederholt.
  3. Bei blei­ben­dem Erfolg bil­den sich dar­aus Muster.
  4. Aus die­sen Mus­tern wer­den Gewohnheiten.
  5. Irgend­wann bil­den die­se Gewohn­hei­ten einen „Wert an sich“ und wer­den an neue Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der, spä­te­re Gene­ra­tio­nen usw. weitergegeben.
  6. Wenn etwas auf die­se Wei­se zum „Besitz der Grup­pe“ gewor­den ist, wird es nicht mehr hin­ter­fragt. Es ist dann selbst­ver­ständ­lich. 

Jede Fami­lie besitzt sol­che Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, aber auch jede Grup­pe, jedes Team, jede Orga­ni­sa­ti­on, jede Berufs­grup­pe, jede Bran­che, jede Reli­gi­on, jeder Kul­tur­raum. Um eine über die Zeit bestehen­de Ansamm­lung von Men­schen zu ver­ste­hen, ist es des­halb hilf­reich, sich den his­to­ri­schen Pro­zess der Ent­ste­hung ihrer Gewohn­hei­ten anzu­se­hen bzw. aus Beob­ach­tun­gen zu schlie­ßen, wel­che Annah­men und Regeln jeweils selbst­ver­ständ­lich sind. So gese­hen sind die Men­schen­rech­te ein für einen Teil der Welt selbst­ver­ständ­li­cher Besitz gro­ßer Grup­pen, für Men­schen aus ande­ren Tei­len der Welt, die zu ande­ren gro­ßen Grup­pen gehö­ren, sind die Men­schen­rech­te in ihrer west­li­chen Aus­prä­gung kei­nes­wegs selbstverständlich.

Die in der Ver­wal­tung gel­ten­den Prin­zi­pi­en sind durch vie­le Jahr­hun­der­te ent­stan­den. Ver­wal­tung ist zunächst nur ein Herr­schaft sichern­der bzw. unter­stüt­zen­der Pro­zess. Im Zuge der Ent­wick­lung unse­rer Sozi­al­struk­tu­ren wur­den Grup­pen so groß, dass nicht mehr ein Häupt­ling allein alles regeln, bestim­men usw. konn­te. Es ent­stan­den Mecha­nis­men zur Ver­tre­tung des Herr­schers in bestimm­ten Fra­gen (Ver­wal­tung) und der Siche­rung der Herr­schaft (Poli­zei, Mili­tär). Durch vie­le Ver­su­che, Erfol­ge und Irr­tü­mer, Neu­an­fän­gen auf der Basis bereits bekann­ter erfolg­ver­spre­chen­der Pro­ze­du­ren oder auch Neu­an­fän­gen nach weit­ge­hen­den Zer­stö­run­gen des Bestehen­den haben sich lang­sam jene Prin­zi­pi­en her­aus­ge­bil­det, die Max Weber in sei­nen Stu­di­en beob­ach­tet und ver­mit­tels Typen­bil­dung zu der von ihm beschrie­be­nen „büro­kra­ti­schen Herr­schaft“ zusam­men­ge­fasst und von ande­ren Herr­schafts­for­men (tra­di­tio­nel­le und cha­ris­ma­ti­sche Herr­schaft) abge­grenzt hat. (Max Weber hat die Prin­zi­pi­en der büro­kra­ti­schen Herr­schaft nicht behaup­tet, wie vie­le Autoren gemein­hin anneh­men, son­dern er hat Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen beob­ach­tet und die Prin­zi­pi­en mit Hil­fe der Metho­de der Typen­bil­dung her­aus­ge­ar­bei­tet (vgl. Mor­gan 1998).)

Die in der heu­ti­gen Ver­wal­tung gel­ten­den Prin­zi­pi­en las­sen sich am Ehes­ten als „Kon­ti­nui­tät und Kor­rekt­heit“ bezeich­nen. Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen bestehen des­halb, weil sie auf dem Gebiet der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land demo­kra­tisch legi­ti­mier­te Herr­schaft kon­ti­nu­ier­lich, kor­rekt und weit­ge­hend frei von Kor­rup­ti­on umset­zen sol­len. Dass es sich bei die­sen Prin­zi­pi­en um sol­che han­delt, die der Ver­wal­tung (als Kul­tur begrif­fen) zugrun­de lie­gen, wird am Ehes­ten deut­lich, wenn man ver­sucht, die Ver­wal­tung mit Model­len aus ande­ren „Wel­ten“ zu ver­än­dern. In den letz­ten drei­ßig Jah­ren gab es bspw. vie­le Ver­su­che, Behör­den mit aus der Betriebs­wirt­schafts­leh­re stam­men­den Instru­men­ten zu ver­än­dern. Im Manage­ment geht man von Mach­bar­keits- und Effi­zi­enz­ge­dan­ken aus. In der Ver­wal­tung geht es aber um Kor­rekt­heit und Kon­ti­nui­tät. Dar­aus ent­ste­hen Kon­flik­te, die das Funk­tio­nie­ren der manage­ment-inspi­rier­ten Metho­den wie Ziel­ver­ein­ba­run­gen, Kenn­zah­len usw. begren­zen. Beson­ders deut­lich wird dies etwa in Job­cen­tern, wo einer­seits mit ent­spre­chen­den Kenn­zah­len ver­se­he­ne „Akti­vie­rungs­quo­ten“ erfüllt wer­den, die ent­spre­chen­den „Maß­nah­men“ aber recht­lich kor­rekt ver­ge­ben und umge­setzt wer­den sol­len — und das mit Hil­fe bera­te­ri­scher und päd­ago­gi­scher Metho­den für Men­schen in kom­pli­zier­ten Lebens­si­tua­tio­nen. Hier tref­fen kaum ver­ein­ba­re Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten aus drei Wel­ten auf­ein­an­der: die Kor­rekt­heit aus der Behör­den­welt, die Ziel­ori­en­tie­rung mit ihren Kenn­zah­len aus dem Manage­ment und das Ver­ständ­nis für schwie­ri­ge Lebens­la­gen und der Ansatz an den Ent­wick­lungs­po­ten­tia­len von Men­schen aus der Päd­ago­gik bzw. der Psy­cho­lo­gie. Das schafft Span­nun­gen, oft auch wider­sprüch­li­che Situa­tio­nen, die u.a. zu ver­gleichs­wei­se hohen psy­chi­schen Belas­tun­gen bei Tei­len der Mit­ar­bei­ter­schaft füh­ren. Eine ähn­li­che Situa­ti­on lässt sich in den All­ge­mei­nen Sozia­len Diens­ten (ASD) vie­ler Jugend­äm­ter beobachten.

Abschlie­ßend soll anhand zwei­er recht ver­brei­te­ter ste­reo­ty­per Annah­men über Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen deut­lich gemacht wer­den, dass Ver­wal­tung oft anders funk­tio­niert, als gemein­hin ange­nom­men wird:

The­se: „Ver­wal­tung ist per se ver­än­de­rungs­feind­lich.“ Die­se oft zitier­te Vor­stel­lung stimmt bei genaue­rem Hin­se­hen nicht. Zwar gehen Ver­än­de­run­gen in der Ver­wal­tung lang­sa­mer von­stat­ten als in ande­ren Bran­chen — zunächst wahr­schein­lich weil die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen und der bis­wei­len hohe Grad der For­ma­li­sie­rung eine lang­sa­me­re Ver­än­de­rung bedin­gen, zum ande­ren aber auch weil sich die han­deln­den Per­so­nen an die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen und die For­ma­li­sie­rung gewöh­nen. Bei genaue­rer Betrach­tung über län­ge­re Zeit­räu­me hin­weg wird aber deut­lich, dass Ver­än­de­run­gen zwar lang­sam von­stat­ten gehen, aber oft sehr tief­grei­fend sind. Die fol­gen­de Abbil­dung zeigt die popu­lärs­ten Denk­mo­del­le über die öffent­li­che Ver­wal­tung wäh­rend der ver­gan­ge­nen etwa 120 Jahre.

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Abbil­dung 1: Die Geschich­te des Den­kens über Ver­wal­tung wäh­rend der ver­gan­ge­nen etwa 120 Jah­re; Quel­le: Hei­dig, J. (2011). Pro­zess­ori­en­tie­rung als Per­so­nal­auf­ga­be. In: Forum Wirt­schafts­ethik. Nr. 3+4/2011, S. 47; Abbil­dung: eige­ne Darstellung

The­se: „Ver­wal­tung lässt sich durch betriebs­wirt­schaft­lich oder post­mo­der­nis­tisch inspi­rier­te Model­le ein­fach refor­mie­ren.“ Aus einer auf eine kon­kre­te Behör­de gerich­te­ten Per­spek­ti­ve mögen Ver­än­de­run­gen sehr lang­sam von­stat­ten gehen. Aus einer all­ge­mei­ne­ren, län­ge­re Zeit­räu­me umfas­sen­de Per­spek­ti­ve erschei­nen Ver­än­de­run­gen hin­ge­gen sehr tief­grei­fend. Gleich­zei­tig gilt, dass Ver­än­de­rungs­im­pul­se in der Regel von außen an die Ver­wal­tung her­an­ge­tra­gen wer­den, in ihrer Wir­kung aber selbst auf sehr lan­ge Sicht hin begrenzt blei­ben. Die büro­kra­ti­schen Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en wei­sen ein erstaun­li­ches Behar­rungs­ver­mö­gen auf, sodass nach mei­nem Dafür­hal­ten das fol­gen­de Modell die Ver­än­de­rung der Ver­wal­tung am bes­ten beschreibt:

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Abbil­dung 2: Stark ver­ein­fach­ter Zusam­men­hang zwi­schen Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en (Kern) und Ver­än­de­rungs­be­mü­hun­gen (umlau­fend); Quel­le der Abbil­dung: Hei­dig, J. (2018). Pro­ak­ti­ve Hand­lun­gen in der öffent­li­chen Ver­wal­tung. Gör­litz: Lau­sit­zer Ver­lag für Wirt­schafts- und Sozialwissenschaften

Bei Ver­wal­tungs­re­for­men han­delt es sich letzt­lich um eine lang­sa­me Infra­ge­stel­lung der Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en der Ver­wal­tung mit Hil­fe von Prin­zi­pi­en aus ande­ren „Wel­ten“. Die­ser Vor­gang lässt sich als eine Art sich um den Kern aus Prin­zi­pi­en her­um wäl­zen­den Inter­ak­ti­ons­pro­zess vor­stel­len: Füh­rungs­kräf­te und Mit­ar­bei­ter neh­men Impul­se auf, star­ten viel­leicht neue Hand­lungs­ver­su­che. Man­ches gelingt, ande­res wird ver­wor­fen, manch­mal aus Gewohn­heit, manch­mal auf­grund recht­li­cher Begren­zun­gen oder Beden­ken. Dabei beein­flus­sen die gel­ten­den Prin­zi­pi­en die Inter­ak­ti­on, und die Inter­ak­ti­on beein­flusst, wenn auch lang­sam, die gel­ten­den Prinzipien.

Wie funk­tio­nie­ren Dia­lo­ge, Netz­wer­ke, gemein­sa­me Ent­wick­lun­gen „den­noch“?

Nach­dem wir gese­hen haben, wie die Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en von Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen ent­stan­den sind und wie sie sich — zwar lang­sa­mer als in ande­ren Bran­chen, aber wenn, dann auf lan­ge Sicht mit­un­ter recht tief­grei­fend — durch Inter­ak­ti­on ver­än­dern (für eine aus­führ­li­che­re Dar­stel­lung die­ser Pro­zes­se sie­he die­sen Text), sol­len nun eini­ge aktu­el­le Ent­wick­lun­gen und Her­aus­for­de­run­gen an und in Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen dis­ku­tiert wer­den. Auch und beson­ders Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen kom­men nicht umhin, sich auf „grö­ße­re“ Ent­wick­lun­gen ein­zu­stel­len. Exem­pla­risch sei­en hier nur eini­ge gro­ße Ent­wick­lun­gen und Trends benannt: Digi­ta­li­sie­rung, Beschleu­ni­gung von Abläu­fen bei gleich­zei­tig zuneh­men­der Kom­ple­xi­tät, Ver­än­de­run­gen der Akzep­tanz von Ver­wal­tungs­ent­schei­dun­gen (zuneh­men­de Hin­ter­fra­gung) bzw. Ver­än­de­rung der Rol­le von Ver­wal­tung weg von „insti­tu­tio­na­li­sier­ter Auto­ri­tät“ hin zum „hin­ter­frag­ba­ren Mit­ge­stal­ter“ (zumin­dest in den Augen vie­ler Akteu­re), zuneh­men­de Poli­tik­ver­dros­sen­heit, demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung. Man­che for­dern gar, Ver­wal­tung sol­le zum „Part­ner“ in rela­tiv kom­ple­xen Ent­wick­lun­gen wer­den oder man­che Pro­zes­se gar „pro­ak­tiv“ gestal­ten oder mode­rie­ren. Aber Ver­wal­tung darf eigent­lich nicht gestal­ten; eine „pro­ak­ti­ve“ Ver­wal­tung ist im eigent­li­chen Sin­ne des Wor­tes „ille­gal“. Hin­ge­gen kön­nen Ver­wal­tungs­an­ge­hö­ri­ge pro­ak­tiv han­deln. Ver­wal­tungs­an­ge­hö­ri­ge kön­nen bestehen­de Hand­lungs- und Ent­schei­dungs­spiel­räu­me ent­we­der „defen­siv“ bzw. for­ma­lis­tisch oder „pro­ak­tiv“ im Sin­ne der Zie­le von Anträ­gen, Pro­jek­ten, Koope­ra­ti­ons­vor­ha­ben usw. aus­le­gen. Die oben nur auf­ge­zähl­ten Trends füh­ren ja dazu, dass bspw. Groß­pro­jek­te kaum noch rea­li­sier­bar sind ohne mit­un­ter jah­re­lan­ge Hin­ter­fra­gun­gen durch Bür­ger­initia­ti­ven, Ver­wal­tungs­in­stan­zen o.ä. Gleich­zei­tig sind vie­le Pro­ble­me und Pro­jek­te nur dann zu bewäl­ti­gen, wenn meh­re­re Behör­den, poli­ti­sche Gre­mi­en, öffent­li­che und pri­va­te Unter­neh­men eng zusam­men­ar­bei­ten. Aktio­nis­ti­sches oder auto­ri­tä­res „Durch­re­geln“ führt dabei sel­ten zum Ziel; was es eher braucht, sind kla­re Zie­le und die Fähig­keit der han­deln­den Per­so­nen, über Abteilungs‑, Orga­ni­sa­ti­ons- und Gewohn­heits­gren­zen hin­weg mit­ein­an­der zu arbei­ten. Das fol­gen­de Modell zeigt, wie die­se „pro­ak­ti­ve Hal­tung“ der han­deln­den Per­so­nen beför­dert wer­den kann.

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Abbil­dung 3: Der „Mög­lich­keits­raum“ für pro­ak­ti­ve Hand­lun­gen; Quel­le: Hei­dig, J. (2018). Pro­ak­ti­ve Hand­lun­gen in der öffent­li­chen Ver­wal­tung. Gör­litz: Lau­sit­zer Ver­lag für Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten; Abbil­dung: eige­ne Darstellung

Auf die Fra­ge, was pas­sie­ren müss­te, damit sich Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ter und ‑füh­rungs­kräf­te in den Orga­ni­sa­tio­nen, für die sie tätig sind, ein­brin­gen und enga­gie­ren, offen für Ver­än­de­run­gen blei­ben und Ideen äußern, ant­wor­ten die meis­ten mit einer Vari­an­te eines Sat­zes. Die­ser Satz lau­tet: Es kommt dar­auf an, ob ich den not­wen­di­gen Rück­halt habe oder nicht. Zuge­spitzt lie­ße sich das so for­mu­lie­ren: Es kommt auf die Bezie­hung zum Vor­ge­setz­ten an. Die­ser Zusam­men­hang scheint unab­hän­gig von der Per­sön­lich­keit, der Hier­ar­chie­ebe­ne und der Art der Orga­ni­sa­ti­on zu sein. Im Grun­de genom­men las­sen sich in Orga­ni­sa­tio­nen vier ver­schie­de­ne indi­vi­du­el­le Hand­lungs­mus­ter beob­ach­ten. Das heißt, die Hand­lun­gen jeder Füh­rungs­kraft und jedes Mit­ar­bei­ters las­sen sich zu einem gege­be­nen Zeit­punkt einem die­ser vier Mus­ter zuord­nen: 

  1. For­ma­le Hand­lungs­ori­en­tie­rung: Folgt ein Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied kri­tik­los allen Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en, so kön­nen wir von Dienst nach Vor­schrift spre­chen. Die­ses Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied fügt sich in sei­ne Rol­le und stellt nichts in Fra­ge. Hand­lun­gen erfol­gen eher abwar­tend und auf Impul­se der Füh­rungs­kraft hin. Das heißt nicht, dass so han­deln­de Men­schen kei­ne Ideen haben, sie wer­den sie nur ent­we­der nicht oder erst nach Auf­for­de­rung äußern. Mit „Dienst nach Vor­schrift“ geht in der Regel eine star­ke Ori­en­tie­rung an „Blau­pau­sen“ ein­her, und nicht sel­ten ist die­sen Men­schen eine gewis­se Bestän­dig­keit und Sicher­heit wich­tig. Gibt es von Vor­ge­setz­ten kei­nen Rück­halt, so gibt es zumin­dest klar umris­se­ne Auf­ga­ben, an die sich die so han­deln­den Per­so­nen hal­ten kön­nen. Feh­len jedoch kla­re Rol­len­be­schrei­bun­gen oder Vor­ga­ben, kann dies zu Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit führen.
  2. Akzep­tiert ein Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied hin­ge­gen zwar die Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en im Kern, stellt aber ansons­ten gewis­se Pro­ze­du­ren oder Regeln in Fra­ge und macht dies­be­züg­lich Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge, so kön­nen wir von einem pro­ak­ti­ven Hand­lungs­mus­ter spre­chen. Die­se Per­so­nen wer­den sich ein­brin­gen, Ideen ent­wi­ckeln, Vor­schlä­ge unter­brei­ten usw.
  3. Aus einer pro­ak­ti­ven Hand­lungs­ori­en­tie­rung kann mit der Zeit eine Hal­tung wer­den, die sich als „prag­ma­tisch“ oder „situa­ti­ons­ad­äquat-fle­xi­bel“ beschrei­ben lie­ße. Die­se Men­schen schät­zen ein, wann es sich lohnt, Vor­schlä­ge zu machen oder sich zu enga­gie­ren, oder wann sie sich mit einer Initia­ti­ve „ver­kämp­fen“ wür­den. 
  4. Stellt ein Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied mehr oder min­der alles in Fra­ge, so lässt sich das am Ehes­ten als Oppo­si­ti­on oder „Rebel­len­tum“ bezeich­nen. 

Wel­ches Hand­lungs­mus­ter eine Per­son wählt, ist, so zei­gen unse­re eige­nen For­schun­gen deut­lich, weni­ger von der Per­sön­lich­keit der han­deln­den Per­son abhän­gig, als viel­mehr von der Art der Bezie­hun­gen zu Vor­ge­setz­ten und von den Spiel­räu­men, die das Umfeld der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­on der han­deln­den Per­son bie­tet. So kann sich etwa jemand, der von sich aus zu Eigen­in­itia­ti­ve neigt, mit ent­spre­chen­dem Rück­halt und bei vor­han­de­nen Spiel­räu­men durch­aus ent­fal­ten. Trifft jemand mit einer sol­chen Hand­lungs­ori­en­tie­rung hin­ge­gen auf ein eher restrik­ti­ves Umfeld und ver­spürt kaum oder kei­nen Rück­halt „von oben“, so kann sich die vor­han­de­ne Eigen­in­itia­ti­ve nicht ent­fal­ten. Eine sol­che Situa­ti­on kann sich in zwei Rich­tun­gen ent­wi­ckeln — ent­we­der, die Per­son zeigt wei­ter­hin Eigen­in­itia­ti­ve, was zwangs­läu­fig zu Kon­flik­ten füh­ren wird, oder die betref­fen­de Per­son passt sich zunächst an, beob­ach­tet und ent­schei­det spä­ter im Ein­zel­fall, wann sich Enga­ge­ment lohnt bzw. wann es ggf. bes­ser ist, das Mus­ter „Dienst nach Vor­schrift“ zu wäh­len (was dem oben beschrie­be­nen „abwar­tend-prag­ma­ti­schen“ Hand­lungs­mus­ter entspricht).

Die Bezie­hungs­ar­ten noch ein­mal im Detail:

  1. For­ma­lis­ti­sche Bezie­hung: In die­sem Fall betont die Füh­rungs­kraft die Sach­ebe­ne, gibt Mit­ar­bei­tern kaum Rück­halt und blen­det die „mensch­li­chen Fak­to­ren“ weit­ge­hend aus („Wir sind hier nicht auf dem Pony­hof!“). Man­che for­ma­lis­tisch ori­en­tier­te Füh­rungs­kräf­te zögern nicht, bei Pro­ble­men mit der Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses zu dro­hen oder sagen Sät­ze wie: „Wenn Sie glau­ben, dass es woan­ders schö­ner ist, hal­te ich Ihnen gern die Tür auf.“
  2. Lern­ori­en­tier­te Bezie­hung: Aus Sicht vie­ler von mir befrag­ter Per­so­nen (unab­hän­gig davon, ob in Mit­ar­bei­ter- oder Füh­rungs­po­si­tio­nen) ist die bes­te Vor­aus­set­zung für enga­gier­tes, moti­vier­tes und idea­ler­wei­se „pro­ak­ti­ves“ Han­deln der Rück­halt durch die direkt vor­ge­setz­te Per­son. Ist Ver­trau­en in die Füh­rungs­kraft vor­han­den, ermög­licht das Eigen­in­itia­ti­ve. Weiß man hin­ge­gen nicht, wor­an man ist, schränkt das die Eigen­in­itia­ti­ve ein, und man macht auf lan­ge Sicht eher „Dienst nach Vorschrift“.
  3. Prag­ma­ti­sche Bezie­hung: Wer bereits län­ger im Unter­neh­mens­ge­sche­hen tätig war, weiß genau, bei wel­chen Füh­rungs­kräf­ten „Mit­den­ken erwünscht“ ist und bei wel­chen nicht. Vie­le Mit­ar­bei­ter über­le­gen sich des­halb mit der Zeit, wann sie sich ein­brin­gen oder nicht. Sie haben gelernt, dass man sich auch „ver­kämp­fen“ kann. In Füh­rungs­po­si­tio­nen führt die­se Ein­stel­lung oft zu einer Hal­tung, die man als „sach­be­zo­ge­nen Rück­halt“ bezeich­nen könn­te. Wäh­rend im Fal­le der lern­ori­en­tier­ten Bezie­hung der Rück­halt und das Inter­es­se sach- und per­so­nen­be­zo­gen sind, erhält man im Fal­le der prag­ma­ti­schen Bezie­hung zwar alle sach­lich not­wen­di­gen Man­da­te und die ent­spre­chen­de Unter­stüt­zung, muss aber auf­tre­ten­de Pro­ble­me und Kon­flik­te weit­ge­hend selbst lösen. Wer im Unter­neh­men „prag­ma­tisch sozia­li­siert“ wur­de, hat­te es nicht leicht, wur­de dadurch aber in der Regel „fes­ter“ oder „bestän­di­ger“, was das eige­ne Durch­hal­te­ver­mö­gen betrifft — oder ist bei­zei­ten wie­der gegangen.
  4. Oppositionelle/rebellische Bezie­hung: Trifft eine Per­son, die Eigen­in­itia­ti­ve zei­gen möch­te und sich kri­tisch mit den vor­han­de­nen Rou­ti­nen aus­ein­an­der­set­zen will (oder oft auch soll), auf eine Füh­rungs­kraft, die eher for­ma­lis­tisch führt und kein Inter­es­se an den Ideen der neu­en Mit­ar­bei­te­rin hat und den Sta­tus quo in kei­ner Wei­se ändern möch­te, dann führt das mit der Zeit zu etwas, das sich als „rebel­li­sche“ Bezie­hung zur vor­ge­setz­ten Per­son bezeich­nen ließe.

Das oben dar­ge­stell­te Modell basiert auf einer Rei­he von Inter­views mit Füh­rungs­kräf­ten und Mit­ar­bei­tern aus Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen. Eine aus­führ­li­che­re Erläu­te­rung des Modells fin­den Sie in mei­nem Buch „Pro­ak­ti­ve Hand­lun­gen in der öffent­li­chen Ver­wal­tung“. Da For­schungs­er­geb­nis­se, die auf Beob­ach­tun­gen oder Inter­views beru­hen, oft hin­sicht­lich ihrer Gül­tig­keit und Ver­all­ge­mei­ner­bar­keit hin­ter­fragt wer­den, wur­de das Modell einer empi­ri­schen Über­prü­fung unter­zo­gen. Bereits wäh­rend der Erar­bei­tung des Modells war deut­lich gewor­den, dass die Aus­sa­gen des Modells nicht nur auf die öffent­li­che Ver­wal­tung, son­dern auch auf alle ande­ren Bran­chen, also Orga­ni­sa­tio­nen im All­ge­mei­nen, zutref­fen. Die fol­gen­den bei­den Gra­fi­ken stam­men aus einer grö­ße­ren Stu­die zu The­men wie Mit­ar­bei­ter­bin­dung und Füh­rung aus dem Jahr 2018. In der Unter­su­chung wur­den ins­ge­samt 1351 Per­so­nen zwi­schen 16 und 67 Jah­ren befragt (Quo­ten­stich­pro­be nach Alter und Geschlecht). Die hier dar­ge­stell­ten Ergeb­nis­se sind bran­chen­über­grei­fend für Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen repräsentativ.

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Abbil­dung 4: Der Zusam­men­hang zwi­schen der Art der Bezie­hung zwi­schen Mit­ar­bei­ter und Vor­ge­setz­tem und der Bereit­schaft des Mit­ar­bei­ters, sein Unter­neh­men wei­ter­zu­emp­feh­len; Bench­mark über alle Bran­chen: Im Schnitt sind 26 Pro­zent der Befrag­ten bereit, ihre Orga­ni­sa­ti­on bzw. ihren Arbeit­ge­ber wei­ter­zu­emp­feh­len; etwa die Hälf­te aller Arbeit­neh­mer ist kri­tisch ein­ge­stellt. Aus der Abbil­dung geht deut­lich her­vor, dass ins­be­son­de­re der Anteil derer, die aktiv schlecht über ihren Arbeit­ge­ber spre­chen, stark von der Qua­li­tät der Bezie­hung zum Vor­ge­setz­ten beein­flusst wird (31 Pro­zent Kri­ti­ker im Fal­le einer lern­ori­en­tier­ten Bezie­hung vs. 65 Pro­zent Kri­ti­ker im Fal­le einer rebel­li­schen Bezie­hung). Quel­le: MAS-Mit­ar­bei­ter­stu­die Mitteldeutschland

 

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Abbil­dung 5: Der Zusam­men­hang zwi­schen der Art der Bezie­hung zwi­schen Mit­ar­bei­ter und Vor­ge­setz­tem und dem Wech­sel­wil­len des Mit­ar­bei­ters; Bench­mark über alle Bran­chen: 27 Pro­zent aller Arbeit­neh­mer geben an, ihren Arbeit­ge­ber in den kom­men­den zwei Jah­ren sehr wahr­schein­lich oder wahr­schein­lich aus eige­nem Antrieb zu wech­seln. Die Art der Bezie­hung zum Vor­ge­setz­ten kann die­se Bereit­schaft sen­ken (lern­ori­en­tier­te Bezie­hung) oder erhö­hen (oppositionelle/rebellische Bezie­hung). Sowohl im Fal­le der prag­ma­ti­schen als auch der for­ma­lis­ti­schen Bezie­hung bleibt die Job­wech­sel­wahr­schein­lich­keit nahe dem Durch­schnitt über alle Bran­chen. Quel­le: MAS-Mit­ar­bei­ter­stu­die Mitteldeutschland

Zusam­men­fas­sung zur zwei­ten Fra­ge: Wie Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ter han­deln, ist vor allem eine Fra­ge der Bezie­hun­gen zu vor­ge­setz­ten Per­so­nen. Natür­lich flie­ßen die Wir­kun­gen frü­he­rer Sozia­li­sa­ti­ons­pro­zes­se und Per­sön­lich­keits­fak­to­ren ein, aber die Bezie­hun­gen zu Vor­ge­setz­ten geben den Aus­schlag, ob und wie sich pro­ak­ti­ve Hand­lungs­ten­den­zen ent­fal­ten kön­nen. Zu einer sol­chen Ent­fal­tung bedarf es im Sin­ne einer Mini­mal­an­for­de­rung min­des­tens sach­be­zo­ge­nen Rück­halts durch min­des­tens eine vor­ge­setz­te Per­son. Das wür­de zumin­dest die Aus­prä­gung einer abwar­tend-abwä­gen­den bzw. abwä­gend-stra­te­gi­schen Hand­lungs­ten­denz ermö̈glichen. Ist die Mini­mal­an­for­de­rung nicht gege­ben, kö̈nnen sich pro­ak­ti­ve Hand­lungs­ten­den­zen nicht ent­fal­ten und es bleibt bei abwar­tend-ange­pass­ten Hand­lungs­mus­tern ver­bun­den mit dem Wunsch, pro­ak­tiv zu han­deln, aber ohne die Wahr­neh­mung einer Mög­lich­keit dazu, oder es kommt – bei ohne­hin stark aus­g­präg­ten pro­ak­ti­ven Hand­lungs­ten­den­zen – zu einer teu­fels­kreis­ar­tig eska­lie­ren­den Bezie­hungs­dy­na­mik, die zum „Umschla­gen“ der pro­ak­ti­ven Hand­lungs­mus­ter in Oppo­si­ti­on füh­ren kann. Die zen­tra­le Ein­fluss­grö­ße ist also die Füh­rungs­hal­tung des direk­ten Vor­ge­setz­ten bzw. des­sen Kom­pe­tenz, die Bezie­hun­gen zu sei­nen nach­ge­ord­ne­ten Füh­rungs­kräf­ten bzw. Mit­ar­bei­tern so zu gestal­ten, dass die­se Rück­halt ver­spü­ren und bereit sind, Ideen ein­zu­brin­gen und Ver­än­de­run­gen umzu­set­zen. Dabei kann man einen prag­ma­ti­schen „Rück­halt in der Sache“ (Dele­ga­ti­on von Auf­ga­ben, Über­tra­gung von Ver­ant­wor­tung) von einem „per­so­nen­be­zo­ge­nen Rück­halt“ unter­schei­den. Letz­te­rer ist von Inter­es­se an Mit­ar­bei­tern und von per­sön­li­cher Unter­stüt­zung im Bedarfs­fall geprägt. Die bes­ten Ergeb­nis­se wer­den erzielt, wenn bei­de Füh­rungs­hal­tun­gen (Rück­halt in der Sache und per­so­nen­be­zo­ge­ner Rück­halt) zusam­men­kom­men. Die schlech­tes­te Wir­kung auf die Hand­lungs­ori­en­tie­rung der Mit­ar­bei­ter haben Füh­rungs­kräf­te, die nur „for­ma­lis­tisch“ füh­ren, d.h. ver­gleichs­wei­se strikt auf „Dienst nach Vor­schrift“ beharren.

Wel­che Hal­tun­gen und Metho­den sind hilfreich?

Wir hat­ten ein­gangs bereits fest­ge­stellt, dass es gegen­wär­tig zahl­rei­che Her­aus­for­de­run­gen gibt, die eine stär­ke­re Zusam­men­ar­beit bzw. Ver­net­zung über Abteilungs‑, Orga­ni­sa­ti­ons- und Gewohn­heits­gren­zen hin­weg erfor­dern. Will man die gegen­wär­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen und den Weg zu ihrer Bewäl­ti­gung in eine ein­fa­che For­mel brin­gen, so wird man bei Edgar Schein fündig:

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Abbil­dung 6: Eine vor­ur­teils­ar­me, inter­es­sier­te Hal­tung und ent­spre­chen­de Fra­ge­tech­ni­ken füh­ren zu Ver­trau­en als Grund­la­ge guter Kom­mu­ni­ka­ti­on; Quel­le: Schein, E. H. (2013). Hum­ble Inquiry. San Fran­cis­co: Ber­rett-Koeh­ler; Abbil­dung in Anleh­nung an Pich­ler, M. (2013). So öff­nen sich Men­schen. In: wirt­schaft + wei­ter­bil­dung, Nr. 10/2013, S. 19f.; Text­fel­der der Abbil­dung sind Zitate

Erhöh­te Kom­ple­xi­tät (die Fol­ge von Ver­dich­tung und Beschleu­ni­gung) erfor­dert mehr und bes­se­re Kom­mu­ni­ka­ti­on. Gelin­gen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on wie­der­um hat eine Men­ge mit trag­fä­hi­gen Bezie­hun­gen zu tun. Damit Infor­ma­tio­nen – etwa von Mit­ar­bei­tern zu ihren Vor­ge­setz­ten oder eben über die besag­ten Abtei­lungs- oder Gewohn­heits­gren­zen hin­weg – tat­säch­lich zur rich­ti­gen Zeit wei­ter­ge­ge­ben wer­den, bedarf es der Bereit­schaft dazu. Es geht dar­um, sich das Ver­trau­en der Part­ne­rin­nen und Part­ner zu erar­bei­ten. Die Fra­ge ist also, wie Ver­trau­en ent­steht. 

Ver­trau­en ent­steht durch ehr­li­ches Inter­es­se. Inter­es­se zeigt sich am Ehes­ten durch die Fähig­keit, offe­ne und inter­es­sier­te Fra­gen zu stel­len (und weni­ger selbst mit­zu­tei­len). Das klingt erst ein­mal ganz ein­fach, ist es aber nicht. Wir sind der­art gewohnt, uns gegen­sei­tig etwas mit­zu­tei­len, dass wir dies nicht hin­ter­fra­gen – und auch gar nicht mer­ken. „Klar habe ich Inter­es­se an mei­nen Mit­ar­bei­tern.“ sage ich mir und mer­ke gar nicht, dass ich eben nicht fra­ge, son­dern eher auf die Erwar­tung mei­ner Mit­ar­bei­ter reagie­re. Ich sei doch der Vor­ge­setz­te, sagen sie, und was ich jetzt auf die Agen­da für die Bespre­chung set­zen möch­te, fra­gen sie. Ich könn­te den Spieß her­um­dre­hen und Fra­gen stel­len – fra­gen, wie man hier in die­sem Team bis­her an Auf­ga­ben her­an­ge­gan­gen ist, was lehr­rei­che Ereig­nis­se waren, wie hier frü­her geführt wur­de, wie man Abspra­chen getrof­fen hat, was man bei­be­hal­ten möch­te, was viel­leicht ver­än­dern, was man von mir als Vor­ge­setz­tem erwar­tet usw. Und wenn man die­se Fra­gen nicht nur am Anfang stellt, son­dern auch spä­ter, und wenn man auch „neben dem Dienst“ (in den Pau­sen, in der infor­mel­len Pha­se vor einem Netz­werktref­fen bei einem Kaf­fee) Inter­es­se zeigt, dann wer­den sich die Mit­ar­bei­ter die­sem Inter­es­se kaum ent­zie­hen können.

Durch Inter­es­se öff­nen sich Men­schen aber nicht nur, son­dern eine inter­es­sens­ge­lei­te­te, fra­gen­de Hal­tung dient auch der Lösung von kom­ple­xen Pro­ble­men. In der Regel sind Pro­ble­me – zumin­dest die nicht-tri­via­len, ein­fach lös­ba­ren – so beschaf­fen, dass sie sich zunächst ein­mal sper­rig und unzu­gäng­lich zei­gen. Druck oder „kla­re Ansa­gen“ sind in der Regel nicht beson­ders hilf­reich. Was hin­ge­gen hilft, sind Ände­run­gen des Blick­win­kels, Ideen, Lösungs­ver­su­che. Man­che gehen sogar soweit zu sagen, dass es ange­sichts vie­ler kom­ple­xer Lagen gar nicht anders geht, als aus­zu­pro­bie­ren und Feh­ler zu machen. Was ist nun aber bes­ser zum Wech­sel des Blick­win­kels und zur Ent­wick­lung von Ideen geeig­net als ein gutes Gespräch oder offe­ner Aus­tausch? Und wie beginnt ein gutes Gespräch? Ganz bestimmt auch nicht mit einer Ansa­ge, wie „es“ denn nun zu machen sei, son­dern mit ein paar offe­nen Fra­gen. Und wie beginnt ein gutes Netz­werktref­fen? Um die Leu­te (immer wie­der) hin­zu­lo­cken, braucht es immer ein inter­es­san­tes The­ma oder eine inter­es­san­te Besich­ti­gung, Vor­füh­rung o.ä. Noch wich­ti­ger sind jedoch die Qua­li­tät des Essens und die Rei­hen­fol­ge der Pro­gramm­punk­te: Aus­tausch soll­te vor dem Input kom­men. Das „Tra­gen­de“ an einem Netz­werk sind die ent­ste­hen­den Bezie­hun­gen. Die Teil­neh­mer soll­ten des­halb zunächst Inter­es­se anein­an­der ent­wi­ckeln. Ver­an­stal­tun­gen soll­ten ent­spre­chend „dia­lo­gisch“ gestal­tet sein. Eine Aus­wahl von Tech­ni­ken, die dabei hilf­reich sein können:

  • aus­führ­li­che Vorstellungsrunde
  • bei den Work­shops jeden Teil­neh­mer (wenn die Grup­pe mehr als acht Per­so­nen umfasst, gern auch in Drei­er­grup­pen) erzäh­len lassen,
  • anfangs zu gegen­sei­ti­gen Fra­gen auf­for­dern, und zwar nicht mit der Fra­ge, ob es Fra­gen gibt, son­dern wer wel­che Fra­gen hat (Anfangs ist dazu die Unter­stüt­zung durch Mode­ra­to­ren not­wen­dig, spä­ter wird es Gewohnheit.)
  • genü­gend Zeit für unstruk­tu­rier­ten Aus­tausch („Die Atmo­sphä­re der Kaf­fee­pau­se zum Prin­zip machen“ – nicht für die gesam­te Zeit einer Ver­an­stal­tung, aber etwa für 1/4 der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zeit.)
  • geeig­ne­te räum­li­che Bedin­gun­gen (Nichts ist unkom­mu­ni­ka­ti­ver als eine lan­ge Tafel.)
  • gutes Cate­ring (Die erin­ner­te Qua­li­tät von Ver­an­stal­tun­gen kor­re­liert viel­leicht mit der Qua­li­tät eines Vor­trags, sicher aber mit der Qua­li­tät des Essens.)

Wich­tig ist, dass die Teil­neh­mer nicht nur pas­siv-reak­tiv agie­ren, son­dern von der ers­ten Minu­te an aktiv in das Gesche­hen ein­be­zo­gen wer­den. Dafür geeig­ne­te Metho­den sind bspw.:

  • Aus­tausch ermög­li­chen, u. a. durch genü­gend Pausen,
  • kon­se­quen­te Ori­en­tie­rung der Inhal­te an den Erwar­tun­gen der Teilnehmer,
  • regel­mä­ßi­ge Erwartungsabfragen,
  • Auf­for­de­rung zur For­mu­lie­rung von Fragen,
  • „erzähl­ge­nerie­ren­de“ Fra­gen am Anfang eines Tref­fens oder Workshops,
  • Refe­ren­ten­ein­satz weni­ger fron­tal, son­dern mehr dialogisch.

Jörg Hei­dig

Titel­fo­to: Trans­feragen­tur Kom­mu­na­les Bil­dungs­ma­nage­ment Brandenburg