Wie entstehen Organisationen, wie verändern sie sich, und wie lassen sie sich verstehen?

Der fol­gen­de Text soll hel­fen, das Phä­no­men „Orga­ni­sa­ti­on“ bes­ser zu ver­ste­hen – und aus die­sem Ver­ständ­nis her­aus eine Vor­stel­lung zu ent­wi­ckeln, wie Orga­ni­sa­ti­ons­ver­än­de­run­gen ablau­fen und was man tun kann, um sol­che Ver­än­de­rungs­pro­zes­se wirk­sam zu beein­flus­sen oder her­vor­zu­ru­fen. Der Text ist sehr lang und über­steigt das For­mat eines Blog­bei­trags. Es ist ein Text für sol­che Lese­rin­nen und Leser, die ein wei­ter­füh­ren­des Inter­es­se dar­an haben, Orga­ni­sa­tio­nen ggf. bes­ser als bis­her zu ver­ste­hen – und die not­wen­di­ge Zeit mit­brin­gen, den Text zu lesen.

 

Am Anfang war die Sprache

Es wird die­ser Tage viel von Wan­del, von sich beschleu­ni­gen­den Pro­zes­sen und der Not­wen­dig­keit, sich als Orga­ni­sa­ti­on andau­ernd neu zu erfin­den, geschrie­ben. Dabei wird in der Regel kaum auf die Fra­ge ein­ge­gan­gen, wie die spe­zi­fi­schen Eigen­hei­ten von Orga­ni­sa­tio­nen ent­ste­hen, die es in der Pra­xis oft so schwer machen, eine jewei­li­ge Orga­ni­sa­ti­on zu ver­ste­hen und ggf. zu ver­än­dern. Viel­mehr wer­den Pro­blem­la­gen und ihre Behe­bung rela­tiv spe­zi­fisch behan­delt. Bevor auch wir uns mit der Fra­ge nach gelin­gen­der Ver­än­de­rung von Orga­ni­sa­tio­nen beschäf­ti­gen, möch­ten wir des­halb auf die Ent­ste­hung unse­rer Orga­ni­sa­tio­nen ein­ge­hen. Denn wenn erst ein­mal klar ist, dass alles aus der Spra­che kommt, wird das Ver­ständ­nis für die Umstän­de, die uns ganz all­täg­lich umge­ben, klarer.

Der wesent­li­che Unter­schied zwi­schen Men­schen und ande­ren Säu­ge­tie­ren besteht in der Fähig­keit der ers­te­ren, sich sprach­lich zu ver­stän­di­gen. Ein Tier, das angreift, greift an. Ein ande­res Tier kann dar­auf nur direkt reagie­ren. Es kann sich dazu kei­ne Gedan­ken machen. Ein Mensch hin­ge­gen kann bei­des. Er kann direkt reagie­ren, zurück­schla­gen zum Bei­spiel. Er kann aber auch anders reagie­ren. In die­sem „anders reagie­ren“ wird der Unter­schied zwi­schen einer rei­nen Reak­ti­on (Ver­hal­ten) und einer Hand­lung deut­lich. Einem Tier, das ange­grif­fen wird, wird der Angriff nicht gewahr, es ist sich des­sen nicht bewusst. Die Sym­bo­le, die bei dem ent­spre­chen­den Ver­hal­ten benutzt wer­den, sind direkt mit Reak­tio­nen ver­bun­den. Ein Hund stellt sein Nacken­fell auf. Ein ande­rer Hund über­legt nicht, was das hei­ßen könn­te, und er „weiß“ das auch nicht, son­dern der Ver­hal­tens­voll­zug geschieht ohne Zutun irgend­ei­nes Gewahr­s­eins. Ver­hal­ten geschieht. Reak­tio­nen fol­gen auf Rei­ze, wer­den wie­der­um zu Rei­zen und so wei­ter. Rei­ze und Reak­tio­nen haben die Qua­li­tät ein­fa­cher Sym­bo­le. Die jewei­li­gen Reak­tio­nen auf ein bestimm­tes Sym­bol sind mehr oder min­der festgelegt.

Beim Men­schen ist das anders. Irgend­wann im Lau­fe der Mensch­wer­dung haben Pri­ma­ten begon­nen, Sym­bo­le nicht nur für den direk­ten Ver­hal­tens­voll­zug zu benut­zen, son­dern mit Sym­bo­len auf Din­ge zu ver­wei­sen. Solan­ge der bezeich­ne­te Gegen­stand sicht­bar ist und auf ihn gezeigt wird, ist die Zei­ge­hand­lung Teil der direk­ten Ver­hal­tens­ko­or­di­na­ti­on. Sobald jedoch ein Sym­bol für den bezeich­ne­ten Gegen­stand auch in Abwe­sen­heit des­sel­ben benutzt wer­den kann, dient das ver­wen­de­te Sym­bol nicht mehr der direk­ten Ver­hal­tens­ko­or­di­na­ti­on, son­dern das Sym­bol wird signi­fi­kant, das heißt, es reprä­sen­tiert einen bestimm­ten Gegen­stand – und zwar unab­hän­gig davon, ob er da ist oder nicht (Mead 1973). Man kann sie dies mit Slo­ter­di­jk am bes­ten anhand einer Lager­feu­er­si­tua­ti­on vor­stel­len. Durch eine Ver­bes­se­rung der Koor­di­na­ti­on im Pri­ma­ten­ver­band ent­stand am Lager­feu­er eine Art „psy­cho­akus­ti­scher Zau­ber­ku­gel“ (Slo­ter­di­jk 1995). Die­se Meta­pher bezeich­net einen Frei­raum, in dem Pri­ma­ten sich nicht mehr nur direkt ver­hal­ten haben, son­dern begon­nen haben, die Din­ge um sie her­um und die Gescheh­nis­se, die ihnen wider­fah­ren sind, zu bezeich­nen. Durch die­se Bezeich­nun­gen wur­de es mög­lich, sich von den Din­gen und Gescheh­nis­sen ört­lich und zeit­lich zu lösen. Aus direk­tem Ver­hal­ten im Gesche­hen wur­de über vie­le Jahr­tau­sen­de hin­weg lang­sam eine Unter­hal­tung über das Gesche­hen, sprich: der Mensch wur­de sich sei­ner selbst bewusst. Er muss­te sich nun nicht mehr nur direkt ver­hal­ten, son­dern er konn­te sich zu sei­nem Ver­hal­ten ins Ver­hält­nis set­zen. Der Ursprung der Spra­che liegt also in der Ver­hal­tens­ko­or­di­na­ti­on der Vor­läu­fer der heu­ti­gen Menschen.

In den tie­ri­schen Spra­chen gibt es bei­spiels­wei­se Warn­ru­fe. Wird ein Exem­plar eines Ver­bands eines Fein­des gewahr, so stößt es einen Warn­ruf aus, und alle Mit­glie­der die­ses Ver­bands „wis­sen“, dass ein Feind in der Nähe ist. Dem Warn­ruf folgt das ent­spre­chen­de Ver­hal­ten. Hier gibt es kein Gewahr­sein im mensch­li­chen Sin­ne. Wenn nun jedoch ein Pri­ma­ten­ver­band genau für die­sen Feind ein Sym­bol gefun­den hat, dann kön­nen sich Ange­hö­ri­ge der betref­fen­den Grup­pe gleich­sam über die­sen Feind unter­hal­ten. Sie kön­nen sich Gedan­ken machen, sprich: sie kön­nen auf Pro­be han­deln. Das heißt, sie kön­nen ver­gan­ge­ne Erfah­run­gen mit die­ser Art von Fein­den her­an­zie­hen und ver­schie­de­ne neue Mög­lich­kei­ten des Umgangs mit die­sen Fein­den durch­den­ken. Den­ken ist Pro­be­han­deln (Freud 2009) – als Men­schen sind wir nicht gezwun­gen, uns nur so zu ver­hal­ten, wie uns die Instink­te vor­schrei­ben. Ein Tier kann sich nicht von sei­nem Ver­hal­ten „ent­set­zen“. Es kann sich nichts aus­den­ken. Ein Mensch kann dies hin­ge­gen schon. Es bedarf dazu signi­fi­kan­ter Sym­bo­le, die es ihm ermög­li­chen, die Umwelt (Fein­de, Gegen­stän­de usw.) und sich selbst (die Grup­pe, das ein­zel­ne Indi­vi­du­um) zu bezeich­nen und qua­si test­wei­se in einen Ver­hal­tens­zu­sam­men­hang zu brin­gen. Wird das eige­ne Ver­hal­ten auf die­se Wei­se bewusst – im Sin­ne des „sich-zum-Ver­hal­ten-ins-Ver­hält­nis-Set­zens“ – so kann von Hand­lun­gen gespro­chen wer­den. Die Spra­che ist also ein Instru­ment zur Handlungskoordination.

Frei­lich gibt es auch unter Men­schen noch jenes direk­te Ver­hal­ten, das wir aus dem Tier­reich ken­nen. Am deut­lichs­ten wird dies am Affekt. Affek­te sind mehr oder min­der plötz­lich auf­tre­ten­de hef­ti­ge Emo­tio­nen, die einen kon­kre­ten Aus­lö­ser haben und des­or­ga­ni­sie­ren­de Effek­te auf einen sonst ggf. vor­han­de­nen Hand­lungs­rah­men haben kön­nen. Ein aus­lö­sen­des Ereig­nis führt also gleich­sam auto­ma­tisch zu einer direk­ten hef­ti­gen Reak­ti­on. Spä­tes­tens in Kon­flik­ten bzw. hef­ti­gen ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen wer­den die Gren­zen zwi­schen Hand­lun­gen und Ver­hal­ten deutlich.

Signi­fi­kan­te Sym­bo­le – und damit unse­re Spra­che – ent­stam­men der Ver­hal­tens­ko­or­di­na­ti­on unse­rer Vor­fah­ren. Durch die Spra­che haben wir die Fähig­keit erlangt, uns nicht nur direkt zu ver­hal­ten (auch das kön­nen wir noch, wie am Bei­spiel des Affekts gezeigt wur­de), son­dern uns gleich­sam von unse­rem Ver­hal­ten zu ent­set­zen und auf Pro­be ver­schie­de­ne Hand­lungs­op­tio­nen durch­zu­spie­len. Der Ursprung der Spra­che ist also gewis­ser­ma­ßen sozia­ler Natur. Ein Indi­vi­du­um kann sich Sym­bo­le nicht selbst aus­den­ken und ver­wen­den, son­dern damit ein Sym­bol signi­fi­kant wird, bedarf es des Ande­ren. Jedes Mit­glied einer Gemein­schaft muss ein bestimm­tes Sym­bol und sei­ne Bedeu­tung ken­nen, damit es das Sym­bol benut­zen kann. Ein Sym­bol zu benut­zen heißt dabei zu ver­ste­hen, was das jewei­li­ge Sym­bol in ande­ren aus­löst. Der Sinn einer Hand­lung liegt also in der Reak­ti­on des ande­ren (Mead 1973). Indem ich ein Sym­bol benut­ze und in mir nach­voll­zie­he, was es bei ande­ren aus­löst (= den­ken), wer­de ich mir der Kon­se­quen­zen des Sym­bols gewahr und damit mei­ner selbst. Wenn ich begin­ne, eine Gemein­heit zu sagen, dann wird mir dies (es sei denn, mei­ne Emo­tio­nen sind so stark, dass es eine auto­ma­ti­sche Reak­ti­on bleibt) beim Spre­chen gewahr. Manch­mal bre­che ich dann mit­ten im Satz ab, weil mir den­kend gewahr wur­de, dass ich gera­de eine Gemein­heit sage, die ich bes­ser für mich behal­ten soll­te, weil die betref­fen­den Wor­te ggf. weder mei­nen Zie­len noch dem Zusam­men­halt der jewei­li­gen Grup­pe dien­lich sind.

Die bis­he­ri­gen Betrach­tun­gen zur Ent­ste­hung der Spra­che haben auf den ers­ten Blick wenig mit dem eigent­li­chen Gegen­stand des Tex­tes, also mit Orga­ni­sa­tio­nen, zu tun. Der Zusam­men­hang erschließt sich erst auf den zwei­ten Blick. Indem man ver­steht, was Spra­che eigent­lich ist, näm­lich ein Instru­ment zur Hand­lungs­ko­or­di­na­ti­on, wird deut­lich, dass sie in gewis­ser Wei­se auch die Vor­aus­set­zung für die Ent­ste­hung von Orga­ni­sa­tio­nen ist. Aus dem sein Ver­hal­ten koor­di­nie­ren­den Pri­ma­ten­ver­band wur­de durch die Ent­ste­hung signi­fi­kan­ter Sym­bo­le ein Hand­lun­gen koor­di­nie­ren­der Ver­band. Nur durch die signi­fi­kan­te Sym­bo­li­sie­rung der Umwelt und der betei­lig­ten Indi­vi­du­en wur­de es mög­lich, sich nicht mehr nur direkt zu ver­hal­ten, son­dern auf der Grund­la­ge bis­he­ri­ger Erfah­run­gen kom­men­de Ver­hal­tens­zu­sam­men­hän­ge auf Pro­be vor­weg­zu­neh­men. Unse­re Fähig­keit zu den­ken ent­springt also genau jenem Sym­bo­li­sie­rungs­zu­sam­men­hang und ist direkt an die Hand­lungs­ko­or­di­na­ti­on gebun­den. Spra­che ermög­licht also bewuss­te Hand­lungs­ko­or­di­na­ti­on, also gewis­ser­ma­ßen die Orga­ni­sa­ti­on mensch­li­chen Ver­hal­tens. Die Ver­hal­tens­ko­or­di­na­ti­on hat also die Frei­räu­me zur Ent­ste­hung von Spra­che geschaf­fen, und Spra­che hat wie­der­um zu einer Ver­bes­se­rung der Hand­lungs­ko­or­di­na­ti­on geführt. Die sprach­ba­sier­te Inter­ak­ti­on zwi­schen Men­schen ist also der Ursprung jeder Orga­ni­sa­ti­on. In den fol­gen­den Abschnit­ten stel­len wir dar, wie aus die­ser Inter­ak­ti­on Grup­pen und Orga­ni­sa­tio­nen entstehen.

 

Wie ent­ste­hen Gruppen?

Grup­pen las­sen sich in einem ganz all­ge­mei­nen Sin­ne als eine archai­sche Orga­ni­sa­ti­ons­form zur Daseins­vor­sor­ge ver­ste­hen. Unse­re Vor­fah­ren wur­den in Grup­pen hin­ein­ge­bo­ren und haben ihr Leben lang zu Grup­pen gehört, indem die gesam­te Daseins­or­ga­ni­sa­ti­on, also Jagen, Sam­meln usw., in Grup­pen statt­fand. Wäh­rend die­ser Zeit, also in der Umwelt unse­rer evo­lu­tio­nä­ren Anpas­sung, haben Grup­pen spe­zi­fi­sche Eigen­hei­ten ent­wi­ckelt, die sich am bes­ten dar­stel­len las­sen, wenn man sich vor­stellt, wie eine neue Grup­pe zusammenkommt.

Ange­nom­men, Sie sind Teil eines neu­en Teams. Ihre Che­fin hat Sie gefragt, ob Sie an einem Ent­wick­lungs­pro­jekt teil­neh­men wol­len. Man stel­le dafür ein neu­es Team zusam­men, und sie kön­ne sich gut vor­stel­len, dass dies für Sie die rich­ti­ge Her­aus­for­de­rung wäre. Neh­men wir wei­ter an, Sie hät­ten sich über dan Vor­schlag Ihrer Che­fin gefreut, weil es sich tat­säch­lich um eine span­nen­de Pro­jekt­idee han­delt und Sie tat­säch­lich Lust hät­ten, sich zu ver­än­dern. Gesagt, getan. An irgend­ei­nem Don­ners­tag trifft sich das neue Team zum ers­ten Mal. Es ist zehn Uhr, Sie betre­ten den Raum und zu Ihrer Über­ra­schung ken­nen Sie nie­man­den. Sie neh­men Platz und schau­en die ande­ren an. Außer höf­li­chen Begrü­ßun­gen wer­den noch kei­ne Wor­te gewech­selt. Dann ist es schon zehn nach zehn, und nie­mand schickt sich an, die Run­de zu eröff­nen. Sie schau­en sich fra­gend um, ern­ten aber nur Ach­sel­zu­cken. Plötz­lich sagt jemand, dass eigent­lich ein Abtei­lungs­lei­ter hät­te vor­bei­kom­men sol­len, dass die­ser das aber anschei­nend ver­ges­sen hät­te oder etwas dazwi­schen gekom­men sei. Kön­nen Sie sich eine sol­che Situa­ti­on vor­stel­len? Dann über­le­gen Sie bit­te ein­mal, wie die Inter­ak­ti­on zwi­schen den Anwe­sen­den in den nächs­ten Minu­ten und Stun­den weitergeht.

Was in sol­chen Situa­tio­nen ent­steht, lässt sich am Ehes­ten als „unstruk­tu­rier­ter Frei­raum“ bezeich­nen. Die gewohn­ten Mus­ter, Bah­nen und Rol­len feh­len. Wenn der gewohn­te Rah­men fehlt, wer­den Hand­lun­gen unsi­cher. Dies kann durch die nach­ge­hol­te Vor­ga­be eines Rah­mens pas­sie­ren (der Abtei­lungs­lei­ter kommt doch noch), oder es ent­steht etwas Neu­es. Neh­men wir ein­mal an, Letz­te­res wäre der Fall. Die Mit­glie­der des neu­en Teams begin­nen zu inter­agie­ren. Jemand schlägt vor, sich dar­über aus­zu­tau­schen, was wer schon über das neue Pro­jekt und sei­ne Zie­le wis­se. Er bit­tet eine ihm gegen­über sit­zen­de Per­son, damit zu begin­nen. Die Anwe­sen­den beant­wor­ten die Fra­ge, in die­sem Fall „irgend­wie auto­ma­tisch“ reih­um, und der­je­ni­ge, der die Fra­ge gestellt hat, beant­wor­tet die Fra­ge zuletzt. Ein ande­rer ist wäh­rend der zwei­ten Wort­mel­dung auf­ge­stan­den und hat die Wort­mel­dun­gen in Stich­wor­ten an einem White­board mit­ge­schrie­ben. Dann schlägt jemand vor, eine Pau­se zu machen. Eini­ge nicken, bli­cken aber den­je­ni­gen an, der die ers­te Fra­ge gestellt hat. Der schaut auf die Uhr. Die Per­son am White­board sagt: „Dann in 15 Minu­ten wie­der hier.“ Jemand, der sich in die­sem Teil des Gebäu­des nicht aus­kennt, fragt nach der Toi­let­te. Sie for­dern die Per­son auf, Ihnen zu fol­gen, Sie müß­ten auch dort­hin. Auf dem Weg stel­len Sie der Per­son eini­ge Fra­gen, und Sie stel­len fest, unge­fähr gleich lan­ge im Unter­neh­men zu arbei­ten, sich aber noch nie gese­hen zu haben. Als Sie aus der Toi­let­te kom­men, stel­len Sie fest, dass die ande­re Per­son bereits auf Sie gewar­tet hat. Sie gehen zusam­men in den Arbeits­raum zurück. Jemand hat Kaf­fee und Tas­sen besorgt, und die Bespre­chung geht weiter.

Anhand die­ses kur­zen Bei­spiels wird deut­lich, was geschieht, wenn Grup­pen neu zusam­men­tre­ten. Jemand beginnt zu inter­agie­ren, ande­re wil­li­gen auf die Vor­schlä­ge ein oder machen ande­re Vor­schlä­ge. Zunächst ist man sehr höf­lich. Inner­halb weni­ger Stun­den bil­den sich ers­te Inter­ak­ti­ons­mus­ter – man­che pflich­ten immer wie­der bestimm­ten Per­so­nen bei, ande­re wider­spre­chen, man­che inter­agie­ren nicht mit­ein­an­der. Bestimm­te The­men wer­den ange­spro­chen und von ande­ren auf­ge­grif­fen, ande­re The­men, die ange­spro­chen wer­den, ver­eb­ben wie­der. Es geht hier noch gar nicht um Sym­pa­thie, Anti­pa­thie oder Neu­tra­li­tät zwi­schen den Anwe­sen­den, zunächst geht es nur um die Inter­ak­ti­on. Spre­che ich jeman­den an, und reagiert mein Gegen­über auf­ge­schlos­sen, so stei­gert dies die Wahr­schein­lich­keit, dass ich die­se Per­son wie­der anspre­che. Sage ich etwas und bemer­ke offe­ne Bli­cke oder nicken eini­ge sogar, so stei­gert dies die Wahr­schein­lich­keit, dass ich mich wie­der zu Wort mel­de. Sieht jemand nicht zu mir, wäh­rend ich etwas sage, so wächst die Wahr­schein­lich­keit nicht, dass ich die­se Per­son etwa in einer Pau­se direkt anspre­che. Aus der Viel­zahl von Grup­pen- und Ein­zel­in­ter­ak­tio­nen bil­den sich mit der Zeit die Vor­läu­fer der spä­ter immer fes­ter wer­den­den Bezie­hun­gen inner­halb der Grup­pe. Eini­ge blei­ben neu­tral, ande­re spre­chen gern mit­ein­an­der, man­che leh­nen sich gegen­sei­tig ab. Alle zusam­men bil­den aber mit der Zeit die „Grup­pe als Gan­ze“ (Bion 2018). Bestimm­te The­men wer­den immer wie­der ange­spro­chen und blei­ben popu­lär, ande­re The­men ver­schwin­den ganz. Man­che wer­den in Fäl­len von Unklar­heit oder Unsi­cher­heit immer wie­der ange­spro­chen. Reagie­ren die so Ange­spro­che­nen dann sicher und klar, ent­ste­hen Vor­stu­fen von Füh­rung. Infor­mel­le Füh­rungs­per­so­nen wer­den auf die­se Wei­se unbe­wusst „gewählt“. Erwei­sen sie sich auf Dau­er als kom­pe­tent, blei­ben sie auch füh­rend. Zu Beginn ent­steht Füh­rer­schaft oft allein durch die Wort­mel­de­häu­fig­keit, spä­ter tritt die von der Grup­pe wahr­ge­nom­me­ne Kom­pe­tenz als Kri­te­ri­um her­vor. In den ers­ten Tagen ent­ste­hen auch gewis­se Ritua­le, wie man sich begrüßt oder wohin man zum Essen geht bei­spiels­wei­se – oder ob man über­haupt gemein­sam zum Essen geht oder nicht. Aus der Viel­zahl die­ser sich aus der Inter­ak­ti­on erge­ben­den Mus­tern bil­det sich mit der Zeit so etwas wie eine „Men­ta­li­tät“ der Gruppe.

Die Ent­ste­hung einer sol­chen Grup­pen­men­ta­li­tät lässt sich am Ehes­ten als ein Pro­zess der Homo­ge­ni­sie­rung vor­stel­len. Aus der Viel­falt der Ein­zel­per­so­nen bil­det sich durch Inter­ak­ti­on mit der Zeit eine Art „par­ti­el­len Gleich­klangs“ – die Indi­vi­dua­li­tät der Ein­zel­per­so­nen ver­schwin­det nicht, tritt aber zuneh­mend hin­ter die Belan­ge und Mus­ter der „Grup­pe als Gan­ze“ zurück; ein­zeln ist eine betei­lig­te Per­son nach wie vor er oder sie selbst, inner­halb der Grup­pe kann sie sich aber nur soweit ein­brin­gen, wie die Grup­pe dies ermög­licht. Die­ser Pro­zess geht wie folgt von­stat­ten: Ers­ten Inter­ak­tio­nen fol­gen wei­te­re, und mit der Zeit bil­den sich „Pfa­de“. The­men wer­den wie­der ange­spro­chen, und zwar nicht unbe­dingt nur, weil die ein­zel­ne Per­son das The­ma mag, son­dern weil sie weiß, dass die­ses oder jenes The­ma gut ankommt. Per­so­nen wer­den wie­der ange­spro­chen, und zwar nicht unbe­dingt nur, weil sich jemand für die ange­spro­che­ne Per­son inter­es­siert, son­dern weil man dadurch die Unsi­cher­heit ein wenig redu­ziert oder ein­fach einen bereits begon­ne­nen Faden wei­ter­spinnt. Gera­de am Anfang gibt es dies­be­züg­lich noch vie­le Frei­heits­gra­de, wei­te­re The­men ein­zu­brin­gen oder bis­her noch wenig bekann­te Per­so­nen anzu­spre­chen. Die Bereit­schaft nimmt jedoch mit der Zeit ab. Das the­ma­ti­sche Spek­trum wird klei­ner, und auch das Mei­nungs­spek­trum wird enger. Oft kommt es hier nicht nur zu einer Ver­en­gung des Mei­nungs­spek­trums, son­dern auch zu einer „homo­ge­ni­sie­ren­den Ver­schie­bung“ – und zwar in der Rich­tung, in der die Mehr­heit der vor­han­de­nen Ein­zel­mei­nun­gen liegt.

Hier zeigt sich nun das für Grup­pen cha­rak­te­ris­ti­sche Wech­sel­spiel aus Ein­zel­be­dürf­nis­sen und Grup­pen­men­ta­li­tät. Mit zuneh­men­der Homo­ge­ni­sie­rung der The­men- und Bezie­hungs­pfa­de durch fort­wäh­ren­de Wie­der­ho­lung und ent­spre­chen­de Mus­ter­bil­dung tritt die „Grup­pe als Gan­ze“ immer mehr in den Vor­der­grund und wird zu einem das Gesche­hen maß­geb­lich bestim­men­den Phä­no­men an und für sich. Die Belan­ge und Bedürf­nis­se der ein­zel­nen Per­son ver­lie­ren an Wich­tig­keit. Mehr oder min­der unbe­merkt kommt es nun dazu, dass die Grup­pen­mit­glie­der nicht mehr alles sagen, was sie den­ken oder wol­len, son­dern zuneh­mend sol­che Din­ge sagen, von denen sie anneh­men, dass sie in der Grup­pe gern gehört werden.

Eine „Grup­pe als Gan­ze“ kann nicht alle Erwar­tun­gen und Bedürf­nis­se ihrer Mit­glie­der erfül­len, son­dern sie tut das nur in bestimm­tem Maße. Damit – im Sin­ne der archai­schen Daseins­vor­sor­ge – eine Grup­pe funk­tio­niert, ste­hen die Grup­pen­be­lan­ge im Vor­der­grund und die Ein­zel­be­dürf­nis­se im Hin­ter­grund. Die betei­lig­ten Indi­vi­du­en haben aber den­noch ihre Erwar­tun­gen und Bedürf­nis­se – im Wesent­li­chen sind dies die Bedürf­nis­se nach Nähe, Sta­tus und Leis­tung. Das Bedürf­nis nach Nähe wird durch Grup­pen grund­sätz­lich befrie­digt – eini­ge sind jedoch näher am Kern der Grup­pe, ande­re weni­ger. Man­che sind sowohl in die Grup­pe als Gan­ze gut inte­griert als auch in eine der ggf. vor­han­de­nen Grüpp­chen inner­halb der Gesamt­grup­pe. Ande­re sind eher Ein­zel­gän­ger. Beim Bedürf­nis nach Sta­tus ist die Lage kom­pli­zier­ter. Grund­sätz­lich stre­ben Men­schen danach, dass ihr sozia­ler Sta­tus erhöht wird oder min­des­tens gleich bleibt. Eine Her­ab­set­zung des Sta­tus’ wird mög­lichst ver­mie­den. Nun kann eine Grup­pe als Gan­ze nicht jedem ihrer Mit­glie­der den glei­chen Sta­tus ver­lei­hen. Das gilt auch für sol­che Grup­pen, die Sta­tus­un­ter­schie­de mehr oder weni­ger expli­zit ableh­nen: auch hier gibt es Sta­tus­un­ter­schie­de, wenn auch mit­un­ter ver­deckt und infor­mell. Anhand des oben dar­ge­stell­ten Bei­spiels eines ers­ten, noch unstruk­tu­rier­ten Team­mee­tings wird deut­lich, wie bereits in den ers­ten Minu­ten der Grup­pen­bil­dung mehr oder min­der unbe­ab­sich­tigt der Sta­tus ein­zel­ner Per­so­nen „ver­han­delt“ wird. Jemand macht einen Vor­schlag, und es gibt kei­ne Wider­wor­te. Bei der nächs­ten offe­nen Fra­ge oder unsi­che­ren Situa­ti­on schau­en bereits eini­ge Team­mit­glie­der in Rich­tung der­je­ni­gen Per­son, die den ers­ten Vor­schlag gemacht hat­te. Die­ser ers­te, zunächst wie bei­läu­fig her­ge­stell­te Sta­tus­un­ter­schied muss nicht blei­ben und kann sich wie­der ver­än­dern, wich­tig ist jedoch zu erken­nen, dass sich eini­ge der anfangs ein­ge­schla­ge­nen Pfa­de fort­schrei­ben und, was den Sta­tus der ein­zel­nen Grup­pen­mit­glie­der betrifft, zu Grup­pen­rol­len „ver­dich­ten“. Eine bestimm­te Rol­le in Grup­pen ein­zu­neh­men ist sozu­sa­gen der Kom­pro­miss zwi­schen den Bedürf­nis­sen und Erwar­tun­gen der ein­zel­nen Per­so­nen und den Belan­gen der Grup­pe als Gan­zer. Indem jemand eine bestimm­te Rol­le in der Grup­pe ein­nimmt, tut die betref­fen­de Per­son etwas, das der Grup­pe als Gan­zer dien­lich ist. Dem­entspre­chend wird die Grup­pe als Gan­ze die­je­ni­gen Hand­lun­gen wert­schät­zen, die der jewei­li­gen Rol­le ent­spre­chen. Natür­lich spricht nicht die Grup­pe als Gan­ze, und frei­lich ist dies kein bewuss­ter Pro­zess. Viel­mehr ver­lau­fen die ein­zel­nen Inter­ak­tio­nen durch die Homo­ge­ni­sie­rung in ent­spre­chen­der Rich­tung. Indem Grup­pen­mit­glie­der zuneh­mend tun und sagen, wovon sie mei­nen, dass es in der Grup­pe aner­kannt oder erwünscht ist, reagie­ren sie ent­spre­chend auf ande­re, wenn sie bemer­ken, dass die­se es eben­falls tun. Man kann sich dies als einen mehr oder min­der unbe­wuss­ten Eini­gungs­pro­zess vor­stel­len. Eine ein­zel­ne Per­son stellt sich vor, was die Grup­pe erwar­tet, han­delt ent­spre­chend und wird dafür belohnt. Gleich­zei­tig sieht die so han­deln­de Per­son, dass ande­re ähn­lich han­deln oder sich ähn­lich äußern und wird ent­spre­chend sym­pa­thisch reagie­ren. Ein wesent­li­cher Wirk­fak­tor bei Sym­pa­thie ist die wahr­ge­nom­me­ne Ähn­lich­keit einer Per­son. Wäh­rend einer Grup­pen­bil­dung wer­den sich meh­re­re oder alle Grup­pen­mit­glie­der durch Inter­ak­ti­on und ent­spre­chen­de Mus­ter­bil­dung immer ähn­li­cher und dadurch auch sym­pa­thi­scher, wobei begin­nen­de Homo­ge­ni­sie­rung die Wahr­schein­lich­keit erhöht, dass sich die auf die wahr­ge­nom­me­ne Ähn­lich­keit bezo­ge­ne Inter­ak­ti­on wei­ter ver­stärkt, was wie­der­um zu einer Beschleu­ni­gung der Homo­ge­ni­sie­rung führt.

 

Wie kann man Grup­pen oder Teams dabei hel­fen, ihre Kon­flik­te zu lösen?

Der soeben beschrie­be­ne Homo­ge­ni­sie­rungs­pro­zess ver­läuft sel­ten kon­flikt­frei. Das mensch­li­che Stre­ben nach Sta­tus und ent­spre­chen­der Aner­ken­nung ist sehr stark, was zu einem Wett­be­werb um die ange­se­he­ne­ren Rol­len in einer Grup­pe führt. Nach einer anfäng­li­chen Pha­se der höf­li­chen Ori­en­tie­rung, in der ers­te Mus­ter und Pfa­de ent­ste­hen, kommt es in der Regel zu einer Pha­se der Ver­wir­rung und des – min­des­tens infor­mel­len – Kamp­fes um Rol­len. Da die Ursa­chen und Moti­ve für die­se Kämp­fe in der Regel kaum bewusst wer­den, fin­den die ent­spre­chen­den Inter­ak­tio­nen auch mehr oder weni­ger ver­deckt statt. So wer­den etwa Vor­schlä­ge oder Arbeits­er­geb­nis­se kri­ti­siert oder lan­ge Dis­kus­sio­nen geführt. Sel­te­ner kommt es zu offe­nen Angrif­fen und direk­ter Kri­tik. Sind die Kon­flik­te zu stark oder füh­ren sie zu kei­nem Ergeb­nis, kann es sein, dass die Grup­pe eine Per­son oder ein Paar (manch­mal wer­den die Betref­fen­den dadurch erst zum Paar) wählt, um die Kon­flik­te zu regeln. Das klingt dann in etwa so: „Tho­mas, wie siehst Du denn das? Wir kom­men hier offen­sicht­lich nicht wei­ter. Wir haben lan­ge dis­ku­tiert, und Kat­rin und Johan­nes kön­nen sich ein­fach nicht eini­gen. Ich sel­ber habe noch zu wenig Erfah­rung damit. Ich weiß auch nicht, was Mar­tin oder die ande­ren dazu sagen. Die haben sich ja bis jetzt eher zurück­ge­hal­ten.“ Wenn der Ange­spro­che­ne nun reagiert, etwas vor­schlägt, dies begrün­det und ihm nie­mand wider­spricht, hat das betref­fen­de Team zunächst einen „Blitz­ab­lei­ter“ für die bestehen­den Kon­flik­te gefun­den. Aber Vor­sicht! Die Kon­flik­te ver­schwin­den des­halb nicht, son­dern schwe­len wei­ter. Eine Zeit­lang wird es Tho­mas gelin­gen, die Grup­pe zu füh­ren, aber es kommt der Tag, da der Kon­flikt wie­der auf­bricht. Mit­un­ter ver­bün­den sich die Kon­tra­hen­ten dann gegen den­je­ni­gen, der bis­her den „Blitz­ab­lei­ter“ gespielt hat und hin­ter­fra­gen zuneh­mend sei­ne Kom­pe­tenz. Eine Grup­pe, die eigent­lich Kon­flik­te in sich trägt, kann nicht auf Dau­er von einem „Blitz­ab­lei­ter“ geführt wer­den. Die Kon­flik­te bre­chen immer wie­der auf, und irgend­wann gehen die Ideen für eini­gen­de Zie­le oder The­men aus. Das gilt auch für den (nicht sel­te­nen) Fall, wenn sich die „blitz­ab­lei­ten­de“ Füh­rungs­per­son ein Feind­bild aus­ge­sucht hat, gegen das die Grup­pe geführt wird. Sol­che Feind­bil­der nut­zen sich mit der Zeit ab, und die alten Kon­flik­te tre­ten wie­der in den Vor­der­grund. Es gilt des­halb, Kon­flik­te mög­lichst früh­zei­tig zu the­ma­ti­sie­ren. Dabei geht es, anders als weit­hin ange­nom­men, nicht so sehr um eine Kon­flikt­lö­sung im Sin­ne einer Eini­gung. Schon gar nicht geht es um irgend­ei­ne Form von Har­mo­nie. Die Beto­nung von Har­mo­nie in Teams ist oft eher ein Zei­chen für ver­dräng­te Kon­flik­te bzw. für den „Blitz­ab­lei­ter-Modus“. Anstatt des Begrif­fes der Kon­flikt­lö­sung ist eher die Bezeich­nung Kon­flikt­trans­for­ma­ti­on hilf­reich. Kon­flik­te wer­den in der Regel nicht offen ange­spro­chen. Viel­mehr wer­den „stell­ver­tre­ten­de Dis­kus­sio­nen“ geführt, das heißt, der eigent­li­che Kon­flikt bleibt ver­deckt, und an sei­ner Statt wird die Aus­ein­an­der­set­zung über Sach­the­men geführt. Es hilft wenig, die­se Dis­kus­sio­nen aus­zu­tra­gen. Statt­des­sen gilt es, die hin­ter den sach­li­chen Stand­punk­ten lie­gen­den Erwar­tun­gen zu erfra­gen. Hier zei­gen sich in der Regel Rol­len- oder Sta­tus­kon­flik­te. Rol­len zu klä­ren heißt in ers­ter Linie, die damit ver­bun­den Erwar­tun­gen zu klä­ren und den jeweils betei­lig­ten Sei­ten ver­ständ­lich zu machen. Oft füh­ren gedul­di­ge, offe­ne Fra­gen über Erwar­tun­gen zum Kern der Sache. Nicht sel­ten ent­steht dann eine Art gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis­ses. Die­ses Ver­ständ­nis reicht in der Regel aus, um wie­der mit­ein­an­der arbei­ten zu kön­nen. Das Bedürf­nis nach Har­mo­nie ver­deckt oft genug nur den Wunsch, eigent­lich doch Recht haben zu wol­len, was wie­der­um auf eine Sta­tus­ver­let­zung, emp­fun­de­ne Her­ab­set­zung oder ähn­li­ches schlie­ßen lässt. Sol­che emp­fun­de­nen Ver­let­zun­gen kön­nen „geheilt“ wer­den, indem die damit ver­bun­de­nen Erwar­tun­gen zunächst respek­tiert und ver­stan­den wer­den. Dies kann man expli­zit her­bei­füh­ren. Ob sich die­se Erwar­tun­gen dann erfül­len las­sen, ist eine ande­re Fra­ge. Hier spie­len nicht nur die Erwar­tun­gen der betref­fen­den Per­so­nen, son­dern auch der Orga­ni­sa­ti­on und der Team­lei­tung eine Rol­le. Ggf. müs­sen Erwar­tun­gen (und damit Rol­len, denn Rol­len sind nichts ande­res als „Erwar­tungs­bün­del“) kor­ri­giert wer­den. Hier spie­len Füh­rungs­kräf­te eine maß­geb­li­che Rol­le. Team­füh­rung bedeu­tet des­halb in ers­ter Linie Erwar­tungs­ma­nage­ment. Nicht sel­ten stam­men Kon­flik­te ursprüng­lich aus unkla­ren Erwar­tun­gen oder Rol­len. Eine ent­spre­chen­de Klä­rung ist daher der ers­te Schritt der Kon­flikt­be­ar­bei­tung. Ist ein Kon­flikt noch nicht zu weit eska­liert, kann er in der Regel so trans­for­miert wer­den, ohne dass es des­halb zu einer letzt­end­li­chen Eini­gung im Sin­ne einer kom­plet­ten Auf­ar­bei­tung des­sen, was gewe­sen ist, kom­men muss.

Ich habe auf die­sem Blog bereits oft über Team­kon­flik­te, ihre Klä­rung, ver­schie­de­ne hilf­rei­che Metho­den und auch die Fra­ge, wor­an sich erken­nen lässt, dass Team­kon­flik­te nicht mehr gelöst wer­den kön­nen, geschrie­ben. Des­halb möch­te ich die­se Dar­stel­lun­gen hier nicht wie­der­ho­len, son­dern eini­ge ein­schlä­gi­ge Tex­te nur verlinken:

 

Wie ent­ste­hen Organisationen?

Um zu ver­ste­hen, was eine Orga­ni­sa­ti­on ist und wie sie ent­steht, ist es hilf­reich, noch ein­mal in die Umwelt unse­rer evo­lu­tio­nä­ren Anpas­sung zurück­zu­keh­ren. Die längs­te Zeit waren unse­re Vor­fah­ren Noma­den. Die Sess­haf­tig­keit des Homo sapi­ens und mit ihr die ers­ten grö­ße­ren Sied­lun­gen und spä­ter Städ­te sind ein ver­gleichs­wei­se jun­ges Phä­no­men (Sess­haf­tig­keit rund 10.000 Jah­re; die ers­ten Städ­te ent­stan­den vor ca. 6.000 Jah­ren). Als Noma­den leb­ten unse­re Vor­fah­ren in eher klei­nen Grup­pen zusam­men. In einer klei­nen Grup­pe weiß jeder von jedem ande­ren, was er gera­de tut, wo er ist usw. Das Gesche­hen in die­sen Grup­pen kann man sich – ver­gli­chen mit den spä­te­ren grö­ße­ren Sied­lun­gen oder Städ­ten – als weit­ge­hend hier­ar­chie­frei vor­stel­len. Ein Umstand, den wir auch heu­te noch nach­voll­zie­hen kön­nen und der dies belegt, ist fol­gen­der: Ange­hö­ri­ge klei­ner Grup­pen emp­fin­den es in der Regel als hilf­reich, wenn wei­te­re Per­so­nen hin­zu­kom­men, denn die Arbeit lässt sich auf mehr Schul­tern ver­tei­len. In grö­ße­ren Grup­pen ist dies nicht mehr so, hier steigt der Koor­di­na­ti­ons­auf­wand, wenn neue Per­so­nen hin­zu­kom­men, und Hier­ar­chie wird not­wen­dig. In schnell wach­sen­den Unter­neh­men gibt es bspw. mit­un­ter das Pro­blem, dass das Unter­neh­men schnel­ler wächst als die Füh­rungs­struk­tu­ren, also bspw. ein Geschäfts­füh­rer allein und ohne nen­nens­wer­ten Stab 50 Mit­ar­bei­ter führt. In sol­chen Fäl­len sind oft erheb­li­che Belas­tungs­er­schei­nun­gen bei den betref­fen­den Füh­rungs­kräf­ten zu beob­ach­ten. Die Gren­ze, ab der eine mitt­le­re Füh­rungs­ebe­ne oder zumin­dest ein Stab not­wen­dig wird, liegt etwa bei 30 Per­so­nen, je nach Bran­che und Art der Organisation.

Zurück zum Ursprung von Orga­ni­sa­tio­nen: Mit der Ent­ste­hung land­wirt­schaft­li­cher Anbau­me­tho­den wur­den unse­re Vor­fah­ren sess­haft. Die Grup­pen­grö­ßen wuch­sen und meh­re­re Fami­li­en­ver­bän­de leb­ten in einer Sied­lung zusam­men. Die Koor­di­na­ti­on inner­halb einer Fami­lie oder Sip­pe war noch ver­gleichs­wei­se ein­fach, dafür gab es bereits Ver­fah­rens­wei­sen. Nun wur­de es jedoch not­wen­dig, zwi­schen ver­schie­de­nen Sip­pen oder auch gan­zen Stäm­men zu koor­di­nie­ren. Ein Ältes­ten­rat war eine mög­li­che Vari­an­te, bei der Ver­tre­ter aller Sip­pen mit­ein­an­der ver­han­deln, schlich­ten usw. Eine ande­re, mit der Zeit häu­fi­ger wer­den­de Vari­an­te war das Häupt­lings­tum. Hier oblag die Auf­ga­be der Ent­schei­dung, Schlich­tung oder Res­sour­cen­ver­tei­lung nicht bei einem Rat, son­dern bei einer ein­zel­nen Per­son. Die­se Per­son stamm­te zwar aus einer der Sip­pen, hat­te jedoch über alle zu ent­schei­den. Im Häupt­ling lässt sich die ers­te poli­ti­sche Rol­le erken­nen – er hat­te, zumin­dest ein Stück weit, unab­hän­gig von sei­ner Her­kunft zu ent­schei­den. Der Häupt­ling war qua­si der ers­te Mana­ger. Wir haben es hier also zum ers­ten Mal mit etwas zu tun, was man als Geburt der Hier­ar­chie bzw. die ers­te Form insti­tu­tio­na­li­sier­ter Macht bezeich­nen könn­te. Die Häupt­lin­ge sicher­ten ihre Macht, indem sie Anhän­ger um sich schar­ten, die­se bewaff­ne­ten und mit Ver­güns­ti­gun­gen belohn­ten, wor­in sich die ers­ten Vor­stu­fen von Ver­wal­tung und des spä­te­ren könig­li­chen Mili­tärs erken­nen las­sen. Es gab noch eine Rei­he wei­te­rer Metho­den, mit denen die Hier­ar­chie gesi­chert wur­de, bspw. die Schaf­fung von Mythen, die dem Herr­scher eine beson­de­re Her­kunft und Eig­nung nach­sag­ten bis hin zur gött­li­chen Abstam­mung. Mit der Hier­ar­chie, den Ver­güns­ti­gun­gen für die­je­ni­gen, die Herr­schaft sicher­ten, und mit der beson­de­ren Abstam­mung – bis­her hat­ten ja alle die glei­chen Ahnen ver­ehrt – kam die Ungleich­heit in die Welt. Es gab nun Herr­scher und Beherrsch­te. Aber es gab auch immer wie­der Ange­hö­ri­ge des Ver­bands und nicht sel­ten der herr­schen­den Schich­ten, die die jewei­li­ge Herr­schaft in Fra­ge stell­ten und mit­un­ter gewalt­sam ver­än­der­ten – mit dem Umstand, dass dann ggf. neue Mythen geschaf­fen wer­den oder die bestehen­de Reli­gi­on umge­schrie­ben wer­den muss­te. (Vgl. Kau­be 2017)

Auf die­ser kur­zen Rei­se in die Welt unse­rer evo­lu­tio­nä­ren Anpas­sung wur­de deut­lich, war­um Orga­ni­sa­ti­on not­wen­dig wur­de und wie die ers­ten fami­li­en- oder sip­pen­un­ab­hän­gi­gen Hier­ar­chien ent­stan­den sind. Wir kön­nen fest­hal­ten, dass Orga­ni­sa­ti­on dort ent­steht, wo die Hand­lungs­ko­or­di­na­ti­on den Rah­men einer klei­nen bis mitt­le­ren Grup­pe über­steigt. Mögen sechs bis acht, selbst zehn Per­so­nen noch weit­ge­hend hier­ar­chie­frei und in direk­ter Abstim­mung mit­ein­an­der arbei­ten kön­nen, 25 oder 30 Per­so­nen kön­nen dies nicht mehr. Die Koor­di­na­ti­ons­er­for­der­nis­se wer­den so groß, dass eine Orga­ni­sa­ti­on ent­steht – mit Hier­ar­chie, funk­tio­na­ler Auf­ga­ben­tei­lung usw. Der Pro­zess, wie dies geschieht, ähnelt dem der Ent­wick­lung von Grup­pen, ist nur komplexer.

Ähn­lich wie Grup­pen eine Grup­pen­men­ta­li­tät ent­wi­ckeln, prä­gen Orga­ni­sa­tio­nen mit der Zeit so genann­te Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en (oder eine Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur) aus. Die­se Prin­zi­pi­en erge­ben sich aus der Inter­ak­ti­on der Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der. Die­se Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en sind nicht zwin­gend bewusst – sie sind der „Besitz der Grup­pe“ (Edgar Schein). Des­halb sind sie in jedem Fall infor­mell gül­tig und ent­spre­chend macht­voll. Dass sol­che Prin­zi­pi­en expli­zit beschrie­ben wer­den und allen Betei­lig­ten bewusst sind, ist eher sel­ten. Ein Bei­spiel: Wenn von Max Webers Büro­kra­tie­prin­zi­pi­en die Rede ist, sit­zen vie­le der oft impli­zi­ten Ver­mu­tung auf, Weber hät­te die­se Prin­zi­pi­en behaup­tet. Das Gegen­teil ist der Fall: Weber hat Ver­wal­tun­gen beob­ach­tet und die­je­ni­gen Prin­zi­pi­en (bspw. Amts­hier­ar­chie oder die Tren­nung von Amt und Per­son) aus sei­nen Beob­ach­tun­gen abge­lei­tet, die eine effek­ti­ve Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on not­wen­dig waren (Mor­gan 2008).

Wenn eine Orga­ni­sa­ti­on ent­steht, ent­wi­ckeln sich die­se Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en durch die Inter­ak­ti­on, eini­ge wer­den zu Beginn regel­recht fest­ge­legt, ande­re erge­ben sich mehr oder min­der „ein­fach so“. Man kann dies als einen Pro­zess sowohl der ent­we­der expli­zi­ten oder impli­zi­ten „Schaf­fung“ der Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en als auch der „aneig­nen­den Gewöh­nung“ an die­se Prin­zi­pi­en ver­ste­hen – anfangs ist alles noch neu, spä­ter fes­ti­gen sich die bereits erwähn­ten „Pfa­de“. Einer­seits erge­ben sich die Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en aus der Inter­ak­ti­on der Mit­glie­der, ande­rer­seits wir­ken die Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en auf die Mit­glie­der zurück, nor­mie­ren deren Hand­lun­gen und wer­den an neue Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der weitergegeben.
Es gibt zwei Arten die­ser Prin­zi­pi­en, zum einen sol­che, die befolgt wer­den müs­sen, damit die Orga­ni­sa­ti­on im Kern funk­tio­niert und damit eine Mit­glied­schaft in der Orga­ni­sa­ti­on gerecht­fer­tigt ist (Kern­wer­te), und zum ande­ren sol­che, die zwar gel­ten und deren Befol­gung erwar­tet wird, die ein Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glied aber nicht unbe­dingt befol­gen muss, um Mit­glied der Orga­ni­sa­ti­on zu blei­ben (peri­phe­re Wer­te; vgl. Schein 1980). Bei­spiels­wei­se wird von einem Hoch­schul­pro­fes­sor erwar­tet, dass er gute Lehr­ver­an­stal­tun­gen durch­führt, forscht, Fach­tex­te publi­ziert und an den Ver­wal­tungs­pro­ze­du­ren der Hoch­schu­le teil­nimmt. Je nach Hoch­schu­le kann es nun sein, dass die Ver­wal­tungs­auf­ga­ben zen­tra­ler sind als das Kri­te­ri­um, gute Lehr­ver­an­stal­tun­gen durch­zu­füh­ren. Dann wür­de der betref­fen­de Pro­fes­sor ggf. ange­spro­chen, wenn er sich nicht in die Belan­ge der Ver­wal­tung ein­bringt, hin­ge­gen aber mehr oder min­der in Ruhe gelas­sen, wenn Eva­lua­tio­nen sei­ner Lehr­ver­an­stal­tun­gen unter­durch­schnitt­lich aus­fal­len. Es kann aber auch das Gegen­teil der Fall sein. Dann könn­te etwa das von dem betref­fen­den Pro­fes­sor ein­ge­wor­be­ne For­schungs­bud­get ein zen­tra­les Kri­te­ri­um sein oder eben die Eva­lua­ti­ons­er­geb­nis­se zu sei­nen Lehrveranstaltungen.

In Job­cen­tern ist es ähn­lich: Es gibt Job­cen­ter, in denen kaum etwas wich­ti­ger zu sein scheint als die Erfül­lung der anhand von Kenn­zah­len vor­ge­ge­be­nen Quo­ten bezüg­lich „Akti­vie­rung“ von Lang­zeit­ar­beits­lo­sen oder deren Ver­mitt­lung in Arbeits­ver­hält­nis­se. In ande­ren Job­cen­tern wer­den sol­che Zah­len zwar bespro­chen und gepflegt, sie spie­len dort aber eine eher peri­phe­re Rol­le, das heißt, sie sol­len der Ziel­er­rei­chung dien­lich sein, im Mit­tel­punkt ste­hen aber auch wei­te­re Kri­te­ri­en wie die Qua­li­tät der Bera­tung, die Ange­mes­sen­heit einer Maß­nah­me in Bezug auf einen kon­kre­ten Kun­den usw.

 

Wie las­sen sich Orga­ni­sa­tio­nen verstehen?

Einer der wahr­schein­lich bes­ten Metho­den, eine Orga­ni­sa­ti­on zu ver­ste­hen, besteht in der Anwen­dung von Edgar Scheins Modell der Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur. Fas­sen wir aber zunächst noch ein­mal zusam­men, wie eine Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur (oder eben die besag­te Ansamm­lung von Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en entsteht:

  1. Am Anfang kom­men Men­schen zusam­men, bil­den eine Grup­pe oder Orga­ni­sa­ti­on, begin­nen zu inter­agie­ren und haben ers­te Ideen in Bezug auf ihre Handlungsziele.
  2. Wenn die­se ers­ten Ideen erfolg­reich sind, wer­den sie wiederholt.
  3. Aus erfolg­reich blei­ben­den Wie­der­ho­lun­gen bil­den sich mit der Zeit Mus­ter, die im Zuge homo­ge­ni­sie­ren­der Inter­ak­ti­on und mit wei­ter­hin blei­ben­den Erfol­gen lang­sam zu Gewohn­hei­ten wer­den (aneig­nen­de Gewöhnung).
  4. Die­se Gewohn­hei­ten wer­den mit der Zeit immer weni­ger in Fra­ge gestellt, bis sie zu kaum mehr hin­ter­frag­ba­ren und zuneh­mend unbe­wuss­ten Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten werden.

Was eine Orga­ni­sa­ti­on dann aus­macht, lässt sich nach Edgar Schein auf drei Ebe­nen beschreiben:

Abbil­dung: Edgar Scheins Drei-Ebe­nen-Modell der Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur (Zeich­nung: Julia­ne Wed­lich; Abbil­dung aus: Hei­dig et al. 2012; Inhalt der Abbil­dung: Schein 2016)

Erläu­te­rung des Modells: Nach Schein (2016) bil­den sich, sobald Men­schen mit­ein­an­der koope­rie­ren bzw. Erfah­run­gen tei­len, mit der Zeit bestimm­te Mus­ter, indem sich aus erfolg­rei­chen ein­zel­nen Hand­lun­gen lang­sam die zugrun­de lie­gen­den Prin­zi­pi­en her­aus­kris­tal­li­sie­ren und zu Regeln ver­all­ge­mei­nern. Die­se Regeln stel­len fort­an die Grund­la­ge dar für das erfolg­rei­che Funk­tio­nie­ren einer Grup­pe oder eines Teams und neh­men die Gestalt von Wer­ten an, die von der Grup­pe ant­spre­chend ver­tei­digt wer­den. Dau­ert die Exis­tenz der Grup­pe – und ins­be­son­de­re ihr Erfolg – an, wer­den die Wer­te immer weni­ger in Fra­ge gestellt und mit der Zeit zur zuneh­mend unbe­wuss­ten (und damit nicht mehr hin­ter­frag­ba­ren) Gewohn­heit. (Sie­he dazu auch die­sen Bei­trag auf unse­rem Blog.)

Einer der bes­ten Wege, eine Orga­ni­sa­ti­on zu ver­ste­hen, besteht dar­in, Ver­tre­ter einer Orga­ni­sa­ti­on zu bit­ten, die­ses Modell ein­mal auf die eige­ne Orga­ni­sa­ti­on anzu­wen­den und die drei Ebe­nen zu füllen:

  1. Was sind unse­re Ritua­le? Wie gehen wir mit­ein­an­der um?
  2. Wel­che Wer­te ver­tre­ten wir? Was ist uns wich­tig? Wel­che Regeln gel­ten in unse­rer Organisation?
  3. Wel­che Grund­an­nah­men gel­ten in unse­rer Orga­ni­sa­ti­on? Wel­ches Men­schen­bild wird in unse­rer Orga­ni­sa­ti­on vertreten?

Ein ande­rer und noch bes­se­rer Weg, eine Orga­ni­sa­ti­on zu ver­ste­hen, besteht in akti­ver Teil­nah­me an den Akti­vi­tä­ten der Orga­ni­sa­ti­on. Der Ver­ste­hens­pro­zess ähnelt dann dem von Anthro­po­lo­gen, die ande­re Kul­tu­ren ver­ste­hen, indem sie lan­ge Zeit mit Ange­hö­ri­gen der frem­den Kul­tur verbringen.

 

Wie ver­än­dern sich Organisationen?

Die in einer Orga­ni­sa­ti­on gül­ti­gen Prin­zi­pi­en sind kei­nes­wegs ein für alle­mal fest­ge­schrie­ben. Zwar gibt es einer­seits „fes­te­re“ Orga­ni­sa­tio­nen mit lan­gen Tra­di­tio­nen und einem hohen Grad an For­ma­li­sie­rung und ande­rer­seits „beweg­li­che­re“ Orga­ni­sa­tio­nen mit weni­gen for­ma­len Prin­zi­pi­en und höhe­ren Frei­heits­gra­den. Aber ganz gleich, um wel­chen die­ser bei­den Orga­ni­sa­ti­ons­ty­pen es sich han­delt – Ver­än­de­run­gen fin­den immer statt, wenn auch mit­un­ter sehr lang­sam. Am deut­lichs­ten wird dies am Bei­spiel von Behör­den. Kurz- oder mit­tel­fris­tig mag man – vor allem von außen – den Ein­druck haben, dass sich gar nichts bewegt. Wählt man aber eine lang­fris­ti­ge­re Per­spek­ti­ve, so fällt auf, dass sich vie­les ver­än­dert. Die Ver­än­de­run­gen erge­ben sich eben­falls wie­der­um aus der Inter­ak­ti­on zwi­schen den Ange­hö­ri­gen der Orga­ni­sa­ti­on. Dabei kön­nen die ent­spre­chen­den Impul­se auf obe­ren Ebe­nen ent­ste­hen und nach unten wei­ter­ge­ge­ben wer­den. Sie kön­nen aber auch von Ange­hö­ri­gen unte­rer Ebe­nen ent­wi­ckelt und ver­brei­tet wer­den, bis sie eine gewis­se Gel­tungs­kraft ent­fal­ten und an ent­schei­den­den Stel­len auf­ge­grif­fen wer­den. Impul­se kön­nen drit­tens auch von außen an die Orga­ni­sa­ti­on her­an­ge­tra­gen wer­den, etwa durch kri­ti­sche Bericht­erstat­tung, gesetz­li­che Ände­run­gen oder Bera­ter. Mit­un­ter bedarf es einer lan­gen Zeit und vie­ler Ver­su­che, den sprich­wört­li­chen Stein ins Rol­len zu brin­gen. Wie dies geschieht, ist von drei Aspek­ten abhängig:

  1. Per­sön­lich­kei­ten der han­deln­den Per­so­nen: Hier geht es vor allem um die Fra­ge, ob eine Per­son bspw. eher dazu neigt, Initia­ti­ve zu ergrei­fen oder ob die betref­fen­de Per­son eher ein hohes Sicher­heits­be­dürf­nis hat und des­halb eher abwar­tend han­delt und nur dann Eigen­in­itia­ti­ve ent­wi­ckelt, wenn sie sich sehr sicher fühlt oder eine Ange­le­gen­heit der Per­son sehr wich­tig ist.
  2. jeweils gül­ti­ge Rah­men­be­din­gun­gen und Vor­ga­ben: Hier geht es um die Fra­ge, was auf einer gege­be­nen Posi­ti­on erwar­tet wird und mög­lich ist. Dabei gibt es – auf einem Spek­trum zwi­schen einer eher for­ma­len bzw. „engen“ und einer eher „wei­te­ren“ bzw. locke­ren Aus­le­gung der Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en – gewis­se Inter­pre­ta­ti­ons- und Handlungsspielräume.
  3. Inter­ak­ti­on zwi­schen den Betei­lig­ten: Der die bei­den erst­ge­nann­ten Fak­to­ren ver­bin­den­de bzw. inte­grie­ren­de und ins­ge­samt bedeut­sams­te Aspekt ist die Inter­ak­ti­on mit Vor­ge­setz­ten und Kol­le­gen. Füh­rungs­kräf­ten kommt hier eine bestim­men­de Rol­le zu. Han­deln sie eher for­ma­lis­tisch – also ver­lan­gen sie bspw. Dienst nach Vor­schrift oder behar­ren sie dar­auf, dass alles genau­so umge­setzt wird, wie sie es vor­ge­ben, dele­gie­ren sie kei­ne Ver­ant­wor­tung und las­sen sie kaum infor­mel­le oder „wei­che“ Aspek­te des Gesche­hens gel­ten – so kann sich even­tu­ell vor­han­de­ne Eigen­in­itia­ti­ve kaum aus­prä­gen. Zei­gen sie sich hin­ge­gen an ihren Kol­le­gen bzw. Mit­ar­bei­tern inter­es­siert, signa­li­sie­ren sie Rück­halt und über­tra­gen sie mit den Auf­ga­ben auch die Ver­ant­wor­tung, so ist dies dazu geeig­net, dass sich – im Rah­men gege­be­ner Gren­zen, also der gel­ten­den Kern­prin­zi­pi­en – Gestal­tungs­wil­len und Eigen­in­itia­ti­ve ent­fal­ten können.

Orga­ni­sa­tio­nen bestehen aus durch Inter­ak­ti­on mit­ein­an­der ver­ket­te­ten Hand­lun­gen. Im Lau­fe der Zeit „kon­den­sie­ren“, wie oben beschrie­ben, die Inter­ak­tio­nen zu Mus­tern. Es bil­den sich die besag­ten „Pfa­de“, indem frü­he­re Inter­ak­tio­nen spä­te­re Inter­ak­tio­nen beein­flus­sen und sich lang­sam die Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en her­aus­bil­den, die dann wie­der­um auf die Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der zurück­wir­ken bzw. einen Rah­men für deren Hand­lun­gen vor­ge­ben. Die­ser Rah­men kann star­rer bzw. for­ma­li­sier­ter oder dyna­mi­scher bzw. weni­ger for­ma­li­siert sein. Da aber nie­mals alle Prin­zi­pi­en gleich­ran­gi­ge Gül­tig­keit besit­zen – es gibt zen­tra­le­re und peri­phe­re­re Prin­zi­pi­en – und da es immer Men­schen gibt, die nicht allen Prin­zi­pi­en fol­gen, son­dern bspw. eini­ge der peri­phe­re­ren Prin­zi­pi­en in Fra­ge stel­len, Ideen haben, Vor­schlä­ge unter­brei­ten usw. gibt es immer auch Inter­ak­tio­nen, die dazu geeig­net sind, eini­ge Aspek­te der Orga­ni­sa­ti­on zu ver­än­dern. Die Fra­ge ist nur, ob die ent­spre­chen­den Inter­ak­tio­nen wie­der ver­sie­gen (sich also for­ma­lis­ti­sche­re Inter­pre­ta­tio­nen durch­set­zen) oder an Fahrt auf­neh­men (bspw. eine genü­gend gro­ße Zahl an Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern für eine Idee gewon­nen wer­den kann, bis ent­spre­chen­de Ent­schei­dun­gen getrof­fen werden).

Zwar heißt es in vie­len Chan­ge-Manage­ment-Büchern, dass es für das Gelin­gen von Ver­än­de­run­gen wich­tig ist, dass die Orga­ni­sa­ti­ons­spit­ze von den Ver­än­de­rungs­zie­len über­zeugt ist und die Orga­ni­sa­ti­on in die ent­spre­chen­de Rich­tung führt, aber die Pra­xis zeigt, dass dies güns­tig sein kann, aber nicht muss. Es gibt auch Bei­spie­le gelun­ge­ner Ver­än­de­run­gen, bei denen die Orga­ni­sa­ti­ons­spit­ze die ent­spre­chen­den Zie­le nicht mit­ge­tra­gen hat, und es gibt vie­le Bei­spie­le, in denen sich die Orga­ni­sa­ti­ons­spit­ze nicht durch­set­zen konn­te. Bspw. wur­de in man­chen Kon­zer­nen ver­sucht, den Umgang mit aka­de­mi­schen Titeln zu ver­än­dern. Mit­glie­der höhe­rer Füh­rungs­ebe­nen soll­ten auf Tür­schil­dern, in E‑Mail-Signa­tu­ren usw. ihre Dok­tor­ti­tel nicht mehr füh­ren. Man ver­sprach sich davon eine posi­ti­ve Wir­kung im Sin­ne einer fla­che­ren Hier­ar­chie und einer Ver­bes­se­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on von unten nach oben, indem man hoff­te, dass die Bereit­schaft von Mit­ar­bei­tern, ihre Vor­ge­setz­ten mit Ideen usw. anzu­spre­chen, wüch­se, wenn sich deren sym­bo­lisch dar­ge­stell­te Macht redu­zie­re. Man kann sich leicht vor­stel­len, dass dies zu Wider­stand führ­te. Man­che Kon­zern­spit­ze schaff­te die ent­spre­chen­den Vor­ga­ben dar­auf­hin wie­der ab und ver­leg­te sich dar­auf, selbst Vor­bild zu sein und es den Mit­glie­dern der nach­fol­gen­den Füh­rungs­ebe­nen frei­zu­stel­len, aka­de­mi­sche Titel zu tra­gen oder nicht.

Die soeben dar­ge­stell­ten Zusam­men­hän­ge wer­den in stark ver­ein­fa­chen­der Wei­se anhand der fol­gen­den Abbil­dung noch ein­mal ver­deut­licht. Aus den anfäng­li­chen Inter­ak­tio­nen bil­den sich Mus­ter, die sich zu Pfa­den ver­dich­ten und zu Prin­zi­pi­en „kon­den­sie­ren“. Die Prin­zi­pi­en fes­ti­gen sich und regeln das Gesche­hen in Orga­ni­sa­tio­nen, wobei man zen­tra­le­re Prin­zi­pi­en und peri­phe­re­re Prin­zi­pi­en unter­schei­den kann. Die­se Prin­zi­pi­en bil­den qua­si den „Kern“ einer Orga­ni­sa­ti­on. Sie regeln, wie Rol­len ver­teilt wer­den, wie Ent­schei­dun­gen gefällt wer­den, wie man sich begrüßt und ansons­ten mit­ein­an­der umgeht, wie Auf­ga­ben zu erle­di­gen sind, was pas­siert, wenn ein­mal nicht her­aus­kommt, was her­aus­kom­men soll, wer wofür wie viel Geld bekommt usw. Die­se Prin­zi­pi­en kön­nen sehr alt und starr sein, es gibt aber auch dyna­mi­sche­re Orga­ni­sa­tio­nen mit weni­ger star­ren Prin­zi­pi­en. In jedem Fall aber kom­men immer wie­der neue Mit­glie­der in die Orga­ni­sa­ti­on und älte­re schei­den aus. Des Wei­te­ren gibt es Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der, die ggf. eini­ge der Prin­zi­pi­en in Fra­ge stel­len. Die­sen Pro­zess der Infra­ge­stel­lung der Prin­zi­pi­en kann man sich wie eine Art sich um den Kern aus Prin­zi­pi­en her­um wäl­zen­den Inter­ak­ti­ons­pro­zess vor­stel­len. Dabei beein­flus­sen die gel­ten­den Prin­zi­pi­en die Inter­ak­ti­on, und die Inter­ak­ti­on beein­flusst, wenn auch lang­sam, die gel­ten­den Prinzipien.

 

Abbil­dung: Stark ver­ein­fach­ter Zusam­men­hang zwi­schen Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en (Kern) und Ver­än­de­rungs­be­mü­hun­gen (umlau­fend); Quel­le der Abbil­dung: Hei­dig 2018

Ver­än­de­run­gen in Orga­ni­sa­tio­nen kom­men also zustan­de, indem jemand eine Initia­ti­ve ergreift und ent­spre­chend inter­agiert. Es fehlt in der Regel nicht an ent­spre­chen­den Impul­sen. Man besucht Wei­ter­bil­dun­gen oder Kon­gres­se, liest Fach­li­te­ra­tur, hört Erfolgs­ge­schich­ten aus ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen. Im Arbeits­all­tag pas­sie­ren Feh­ler, aus denen man lernt, indem man aus der Ana­ly­se und Refle­xi­on der Erfah­run­gen ent­spre­chen­de Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge ent­wi­ckelt. Man stellt Alt­her­ge­brach­tes in Fra­ge und hat ent­spre­chen­de Ideen. Ob sich Impul­se, Ideen und Vor­schlä­ge zu umset­zungs­rei­fen Ent­schei­dungs­vor­la­gen ent­wi­ckeln kön­nen, ist von der Dyna­mik der Inter­ak­ti­on abhän­gig. Die For­schung zeigt, dass es dabei ins­be­son­de­re auf fol­gen­de Fak­to­ren ankommt:

  1. Wer Vor­schlä­ge unter­brei­tet und Ideen ein­bringt, soll­te dies nicht aus einer nega­tiv gefärb­ten emo­tio­na­len Hal­tung her­aus tun. Pro­ak­ti­ve Hand­lun­gen wer­den ins­be­son­de­re dann gewür­digt, wenn sie mit einer posi­ti­ven Grund­hal­tung ver­bun­den sind. Lei­der ist das Schick­sal vie­ler Vor­schlä­ge und Ideen, dass sie erst ein­mal kri­ti­siert wer­den, ihre Rea­li­sier­bar­keit in Fra­ge gestellt wird usw. Geschieht dies, sind die han­deln­den Per­so­nen mit­un­ter schnell ent­mu­tigt. Brin­gen sie ihre Vor­schlä­ge den­noch wie­der­holt ein und blei­ben die Reak­tio­nen dar­auf ähn­lich, führt dies zu (oft ver­ständ­li­chem) Ärger. Dann pas­siert es leicht, dass die Ideen und Vor­schlä­ge im Ton­fall ver­är­ger­ter Kri­tik wei­ter­hin vor­ge­tra­gen wer­den – zwar nach wie vor in guter Absicht, aber aus einer zuneh­mend nega­ti­ven Grund­hal­tung her­aus. Nun sind die Gren­zen zwi­schen pro­ak­ti­ven Hand­lun­gen und Rebel­len­tum flie­ßend – mit ent­spre­chen­den Reak­tio­nen von Kol­le­gen und Vor­ge­setz­ten, die dies mit der Zeit als „Nör­ge­lei“ emp­fin­den. Setzt sich die­se Dyna­mik fort, iden­ti­fi­zie­ren sich die Han­deln­den in nega­ti­ver Wei­se mit ihren Ideen, und es ent­steht eine pola­ri­sie­ren­de Dyna­mik gegen­sei­ti­ger Kri­tik und ent­spre­chend nega­ti­ven Emo­tio­nen. Wer pro­ak­tiv han­delt, braucht des­halb oft außer guten Ideen auch Hart­nä­ckig­keit, Geduld und gute Lau­ne – und das, ohne sich ver­un­si­chern zu las­sen. Am Ende ist nicht jede Idee auch gut und kann nicht jede Idee umge­setzt wer­den. Miss­erfol­ge und wenig zufrie­den­stel­len­de Teil­erfol­ge nicht auf die eige­ne Per­son zu pro­ji­zie­ren, son­dern wei­ter­hin gedul­dig und sicher Vor­schlä­ge zu machen, ist eine der wich­tigs­ten Lern­auf­ga­ben für Men­schen, die ihre Krea­ti­vi­tät in eine Orga­ni­sa­ti­on ein­brin­gen möchten.
  2. Bei der Ermög­li­chung ver­än­de­rungs­ori­en­tier­ter Hand­lun­gen kommt es auf die Qua­li­tät der Bezie­hun­gen zwi­schen Mit­ar­bei­tern und ihren Vor­ge­setz­ten an. Signa­li­sie­ren Vor­ge­setz­te Inter­es­se an den Belan­gen der han­deln­den Per­so­nen und geben sie ihren Mit­ar­bei­tern den ent­spre­chen­den Rück­halt (Hei­dig 2018), dann führt dies bei den Mit­ar­bei­tern zu einem Gefühl von Sicher­heit (Edmond­son & Schein 2012). Die­se Sicher­heit ist es, die dafür sorgt, dass Mit­ar­bei­ter bzw. nach­ge­ord­ne­te Füh­rungs­kräf­te gera­de dann, wenn es dar­auf ankommt, nicht nur Dienst nach Vor­schrift leis­ten, son­dern Beden­ken und Zwei­fel, Hin­wei­se auf Feh­ler, Ideen und Vor­schlä­ge nach oben wei­ter­ge­ben. In einem Kli­ma von Druck und Angst geschieht dies nicht, und die Orga­ni­sa­ti­on wird in gewis­ser Wei­se „dumm“, indem die Betei­lig­ten nur in einer Art Absi­che­rungs­mo­dus han­deln. Es wird nur das getan, von dem alle wis­sen, dass es sicher ist. In einer zuneh­mend kom­ple­xen und dyna­mi­schen Welt kommt es immer mehr auf zeit­na­he und gelin­gen­de Abstim­mung zwi­schen Han­deln­den an. Mit stei­gen­der Geschwin­dig­keit bei gleich­zei­tig wach­sen­der Unsi­cher­heit der Hand­lun­gen – es ändert sich viel und das sehr schnell, Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten neh­men ab, vie­le sind zuneh­mend mit Situa­tio­nen kon­fron­tiert, für die es noch kei­ne „Blau­pau­sen“ gibt – wird Kom­mu­ni­ka­ti­on immer wich­ti­ger. Gelin­gen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on wie­der­um ist von der Qua­li­tät der Bezie­hun­gen zwi­schen den Akteu­ren abhän­gig, und die Basis für gute Bezie­hun­gen ist das Aus­maß gegen­sei­ti­gen Ver­trau­ens. Wenn es die besag­ten „Blau­pau­sen“ (noch) nicht gibt, müs­sen sich die Betei­lig­ten gewis­ser­ma­ßen gegen­sei­tig in die Lage ver­set­zen, den­noch zu han­deln. Auf die­ses „den­noch“ kommt es an. In unsi­che­ren Situa­tio­nen zu han­deln, ist nicht ein­fach. Die meis­ten Men­schen ori­en­tie­ren sich dann an dem, was ande­re Per­so­nen in sol­chen Situa­tio­nen tun. Wenn ich nicht weiß, was ich tun soll, schaue ich, was mei­ne Kol­le­gin oder mein Chef tun. Hier kommt es auf den jewei­li­gen Chef an, so viel Ver­trau­en zu schaf­fen – Grund­la­ge für die Bil­dung von Ver­trau­en ist das den jewei­li­gen Per­so­nen ent­ge­gen­ge­brach­te Inter­es­se – und Rück­halt zu signa­li­sie­ren, dass die han­deln­den Per­so­nen ihrer Unsi­cher­heit Aus­druck ver­lei­hen kön­nen, Fra­gen stel­len kön­nen, man sich im Team mit der betref­fen­den Situa­ti­on aus­ein­an­der­set­zen kann usw. Fehlt der Rück­halt und füh­len sich die han­deln­den Per­so­nen nicht sicher, tun sie im Zwei­fels­fall nur „Dienst nach Vor­schrift“, was ent­we­der bedeu­tet, sich an alt­her­ge­brach­te, aber ggf. nicht mehr pas­sen­de „Blau­pau­sen“ zu hal­ten oder nichts zu tun. Wenn dann letz­te­re Hand­lun­gen noch nach dem Mot­to „Wer ist schuld?“ aus­ge­wer­tet wer­den, wird das betref­fen­de Team mit der Zeit immer „düm­mer“, weil die Betei­lig­ten nur noch im Absi­che­rungs­mo­dus, d.h. mit akti­vier­tem Selbst­schutz kommunizieren.

Zu der Fra­ge, wel­che Orga­ni­sa­ti­ons­mo­del­le und Füh­rungs­tech­ni­ken ange­sichts der gegen­wär­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Orga­ni­sa­tio­nen hilf­reich sind, emp­feh­len wir die fol­gen­den Model­le und Bücher:

  • Hum­ble Inquiry (Edgar Schein): Ein wun­der­schö­nes Buch über Füh­rung, Ver­trau­en und die Fra­ge, war­um die Hal­tung wich­ti­ger ist als die (Frage-)Technik. Hier fin­den Sie eine Zusam­men­fas­sung des Buches (im ver­link­ten PDF ab S. 18).
  • Team­ing (Amy Edmond­son und Edgar Schein): Eine Metho­de für effek­ti­ves Team­ma­nage­ment in Zei­ten immer kom­ple­xe­rer und schnel­le­rer Abläufe
  • Rela­tio­nal Coor­di­na­ti­on (Jody Hof­fer Git­tell): Bezie­hungs­ko­or­di­na­ti­on als Ant­wort auf die Fra­ge nach mög­lichst effi­zi­en­ter Orga­ni­sa­ti­ons­ge­stal­tung unter sehr hohen Anforderungen

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.