Bei der Strukturierung von Organisationen stellt sich unter anderem die Frage, wie groß Teams sein sollten, damit Aufgaben möglichst effizient koordiniert und umgesetzt werden können — bzw. wie klein Führungsspannen bleiben sollten, damit Führung effizient funktioniert. Natürlich gibt es hier keine Standardantworten. Dazu ist die Welt unserer Organisationen mit ihren vielfältigen Aufgaben zu komplex und zu unterschiedlich. Dennoch lassen sich einige Orientierungslinien ziehen und Kriterien benennen, die hilfreich sein können, die Frage nach der optimalen Teamgröße und der wahrscheinlich passenden Führungsspanne zu beantworten.
Die Kleingruppe: Vertrauen als tragendes Fundament
Die kleinste funktionale Einheit einer Organisation ist das Individuum. Aber es ist sehr selten, dass ein Individuum allein agiert. In der Regel sind Individuen in Teamstrukturen integriert — und werden dementsprechend auch als Team geführt.
Die erste Obergrenze für eine Teamstruktur liegt bei etwa sechs bis acht Personen. In dieser Gruppengröße ist es jedem Teammitglied möglich, zu jedem anderen Mitglied eine ähnlich intensive Beziehung aufzubauen. Bei insgesamt sechs bis acht Personen kann man jedem Teammitglied ähnlich viel Interesse, Aufmerksamkeit usw. entgegenbringen. Der Zusammenhalt ist zumeist von Vertrauen und gegenseitigem Interesse geprägt. Man kennt die Stärken und Eigenheiten jedes Einzelnen. Man weiß nicht alles, aber genug, um ein Gespür für die Einzelinteressen und die Zusammenhänge zu entwickeln. Wichtig ist: Dieses Wissen ist einigermaßen gleich verteilt. Es entstehen keine blinden Flecken, keine systematische Bevorzugung oder Vernachlässigung.
Deshalb ist diese Gruppen- oder Teamgröße im Sinne der Handlungskoordination und der gegenseitigen Unterstützung besonders effizient: Man kennt sich gut, man ist eingespielt, jeder weiß von jedem anderen so ziemlich alles, was er wissen muss, um auch unter Druck gut zu funktionieren. Aus diesem Grund ist diese Teamgröße sowohl für Hochleistungsteams als auch für Gruppen in Einsatzorganisationen sehr interessant.
Ebenso interessant ist diese Gruppengröße für Projektteams und Gruppen, die bestehende Routinen verlassen und neue Methoden oder Routinen testen/erlernen sollen. Man bildet so eine Gruppe (idealerweise auf der Grundlage freiwilliger Bereitschaft), lässt die Gruppe die Herangehensweise planen, lässt der Gruppe den Freiraum für Experimente, Testphasen und intensive Reflexion, und rotiert erst weitere Personen in die Gruppe, wenn die Gruppe wirklich sicher ist in der Aneignung der neuen Methoden. Freilich ist eine solche Gruppe dann ein Wissensträger, und womöglich möchte man schnell die Lerneffekte aus dieser Gruppe in andere Bereiche übertragen, aber Vorsicht, man sollte das nicht zu schnell tun. Routinen müssen sich erst bilden, bevor sie weitergegeben werden. Es ist nicht hilfreich, wenn „zu wenig eingearbeitete/erprobte“ Leute andere Menschen einarbeiten.
Übergangszone zur natürlichen Grüppchenbildung
Bei einer Teamgröße zwischen acht und zwölf Personen verändert sich das Bild. Grüppchenbildungen treten zwar noch nicht zwangsläufig auf, aber die Wahrscheinlichkeit für Grüppchenbildung steigt. Vor allem ab etwa zehn bis zwölf Mitgliedern wird der Zusammenhalt spürbar inhomogener, die Gruppen_dynamik_ wächst: Beziehungen werden asymmetrischer, Informationen beginnen, sich ungleich zu verteilen. Manche sind näher an der Führungskraft, andere rücken an den Rand. Manche halten mehr zusammen als andere, einige reden eher mit bestimmten Menschen als mit anderen — und irgendwann reden manche mehr übereinander als miteinander.
Spätestens dann kann das Thema Grüppchenbildung für Führungskräfte relevant werden, wobei man zunächst festhalten muss, dass eine gewisse Grüppchenbildung ganz natürlich ist. Ich kann nicht von 13 anderen Personen etwa gleich viel wissen, mich mit 13 anderen Personen etwa gleich gut austauschen usw. Eine gewisse Substrukturierung der Gruppe wird hier also ganz normal. Führungskräfte müssen sich erst damit befassen, wenn etwa Informationen nicht mehr weitergegeben werden, die eigentlich weitergegeben werden müssten, oder wenn etwa Konflikte zwischen verschiedenen Grüppchen so stark werden, dass die Interessen der jeweiligen Subgruppen das Erreichen der gemeinsam zu erbringenden Leistung einschränken. Die Ursache ist dann oft diese: Indem ich mit den immer gleichen drei Personen im Team mehr spreche als mit anderen, kenne ich die Belange dieser drei Personen besser — aber nicht nur das: wir werden uns auch ähnlicher, und später kann es dann u.a. zu solchen Sprüchen kommen: „WIR unterstützen uns ja, was man von den anderen nicht so sagen kann“ — und so weiter. Das ist die Folge der Grüppchenbildung: Man wird sich ähnlicher, kennt sich besser, bevorzugt sich, stimmt eigene Interessen oder Sichtweisen miteinander ab, kommt mit anderen langsam in Konkurrenz oder Konflikt, die anderen werden etwas fremder, dann geht man nicht mehr so oft aufeinander zu, dann hat man das Gefühl, dass man nicht mehr alle Informationen bekommt, die man braucht — wiederum und so weiter. Wie Führungskräfte mit solchen Problemen praktisch umgehen können, steht in einem anderen Beitrag auf diesem Blog.
Der kritische Bereich: 15 bis 20 Mitglieder
Spätestens bei einer Teamgröße von 15 bis 20 Personen stößt eine einzelne Führungskraft an natürliche Grenzen. Einerseits ergibt sich das aus der Gruppengröße. Ein Team von bspw. 17 Personen zerfällt wie gesagt ohnehin in Grüppchen — bedingt durch den Umstand, dass man nicht mehr von jedem Mitglied gleich viel wissen kann. Man interagiert zwangsläufig mit bestimmten Personen häufiger – etwa, weil sie räumlich näher sind, man bei der Arbeit auf bestimmte Personen mehr angewiesen ist als auf andere — und man dementsprechend mit bestimmten Personen proaktiver kommuniziert als mit anderen. Hinzu kommt, dass man sich durch die Dauer und Intensität der Interaktion besser kennt — und dass einem jene Personen, die weiter weg sind und die man nicht so gut kennt, mit der Zeit auch fremder werden.
Sympathie oder Antipathie müssen dabei noch nicht einmal eine Rolle spielen. Allein die unterschiedliche Intensität der Interaktion und die daraus resultierende unterschiedliche Verteilung von Nähe und Distanz verändern das Bild. Die Führungskraft wird – bewusst oder unbewusst – manchen Untergruppen näher sein als anderen, manche Grüppchen besser kennen als andere — und wird dadurch ggf. den neutralen Überblick verlieren und Gefahr laufen, Entscheidungen zu treffen, die als parteiisch empfunden werden.
Ab welcher Größe/Spanne sollten Substrukturen geschaffen werden?
An dieser Schwelle wird die Notwendigkeit von Substrukturen deutlich: Stellvertreter oder nachgeordnete Teamleiter können die Rolle für Leitung, Koordination oder Moderation entweder ergänzen oder partiell übernehmen. Die Frage lautet, ab welcher Führungsspanne oder Teamgröße es sinnvoll ist, Substrukturen oder nachgeordnete Leitungsstrukturen zu schaffen — nicht aus Misstrauen gegenüber der Gruppe, sondern um die Funktion der Führung überhaupt effizient aufrechterhalten zu können.
Eine Faustregel: Bei 15 bis 20 Personen wird in vielen Fällen eine erste Untergliederung (Stellvertreter oder zwei Teamleitungen) notwendig – insbesondere, wenn die Aufgaben des Teams komplex sind und einen hohen Koordinationsbedarf erzeugen. Natürlich ist das kein MUSS, der Bedarf ergibt sich vor allem aus der „Koordinationsdichte“ bzw. der gegenseitigen Abhängigkeit der Handlungen.
Im Falle von stärker routinierten Tätigkeiten – etwa in der Produktion – kann eine Führungskraft je nach Automatisierungsgrad und Standardisierung auch bis zu 30 Personen effektiv führen. Entscheidend ist hier die geringe Variabilität der Aufgaben und der dadurch reduzierte Interaktionsaufwand.
Hingegen kann es im Falle eines Montageteams mit komplexen Aufgaben oder im Falle eines Kundenservice-Teams mit hoher Koordinationsdichte notwendig sein, im Falle einer Teamgröße von 15–20 Personen nicht nur eine Stellvertretung zu benennen, sondern unter der bisherigen Leitung eine Teamleiterstruktur für jeweils etwas das hälftige Team zu etablieren. Je nach Komplexität und/oder Koordinationsdichte kann es angeraten sein, zwei eigenständige Subteams zu bilden, um die Steuerungsfähigkeit der Organisation weiterhin effizient zu gestalten.
Zusammengefasst lauten die Kriterien:
- Hohe Komplexität und Koordinationsanforderungen → frühere Notwendigkeit von Substrukturen (schon ab 15–20 Personen)
- Niedrige Interaktionsanforderungen bei Routinetätigkeit → formale Substrukturen ggf. erst ab etwa 30 Personen. Dennoch wird man auch in diesen Zusammenhängen oft eine gewisse „informelle Führungstätigkeit“ vorfinden, also bspw. eine Reihe von Personen, die zwar keine formale Vorgesetztenfunktion haben, aber bestimmte koordinierende Tätigkeiten ausüben, zum Beispiel für die Schichtübergabe verantwortlich sind.
In Hochleistungsteams – interdisziplinär, wissensintensiv, dynamisch – braucht es oft schon bei einer geringeren Teamgröße klare Führungs- oder zumindest Koordinationsstrukturen. Leitung heißt dabei nicht zwingend Hierarchie. Es kann ausreichend sein, klare Moderations- und Koordinationsrollen zu etablieren, ohne formelle Strukturen einzuführen. Teams, die in der Lage sind, eigenverantwortlich zu arbeiten, profitieren häufig mehr von Koordinations- oder Leitungsprozessen als von Leitungspositionen.
Wenn sich zum Beispiel ein Team weitgehend selbst organisieren soll, dann kann es hilfreich sein, die Moderation der Teambesprechungen von der Teamleitungsrolle zu trennen und die Moderatorenrolle bei den Teambesprechungen rotieren zu lassen. Damit lernen alle Teammitglieder, sowohl einzeln als auch gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Die Koordination beruht dann nicht (nur) auf der formalen Führungsrolle, sondern wird verteilt und beruht fortan stärker auf Prozessen, einer hohen sozialen Kompetenz und effizient geteilter Verantwortung.
Insbesondere in jenen Organisationen, die auf eine formale Teamleitungsrolle verzichten, setzt das einen intensiven Lernprozess und vor allem Teamstabilität voraus — scheitert jedoch nach meiner Erfahrung oft an den (bisweilen unausgesprochenen) Erwartungen von Teammitgliedern, dass endgültige Entscheidungen eben doch von einer dafür verantwortlichen Person und nicht gemeinsam getroffen werden. Geteilte Verantwortung muss erlernt werden, und das dauert in der Regel sehr lange. Ansonsten kann geteilte Verantwortung gewissermaßen zur Lähmung bzw. zu einem „System organisierter Verantwortungslosigkeit“ führen.
Ich habe das mehrfach insbesondere in „idealistisch getriebenen“ Organisationen, bei Jugendhilfeträgern und in der Bildungslandschaft beobachtet. Man wollte hierarchiearm und verantwortungsvoll („empowered“) miteinander arbeiten, kam aber in den Besprechungen über das Level eines Austausches von Informationen und Sichtweisen nicht hinaus und verhedderte sich, sobald es um Entscheidungen ging, in einem Dschungel aus defensiven Interaktionen — z.B.: „Ja, ich verstehe Deinen Punkt, aber ich muss erstmal sehen, was das mit mir macht, ob ich da mitgehen kann. Für jetzt und hier möchte ich mich da noch nicht positionieren. Da würde ich mich im Nachhinein überrumpelt fühlen…“ Das Gefühl wird wichtiger als die Sache an und für sich, und die Entscheidungen, die für das Erfüllen des Zwecks der Organisation notwendig wären, werden durch Gefühle verhindert. Wenn es nur das besagte „Überrumpelungsgefühl“ wäre, könnte man ja darauf noch warten, das Problem ist aber oft, dass die Gefühle zur „Monstranz“ werden, die man wie ein Demonstrationsschild vor sich herträgt, um sich auf ebenso defensive wie unangreifbare Weise vor der Entscheidung und damit vor der kollektiven Verantwortung zu drücken.
Fazit
Führung ist letztlich Beziehungsarbeit. Wo die Anzahl der Beziehungen die Verarbeitungskapazität der Führungskraft übersteigt, verliert Führung ihre Substanz: Vertrauen bröckelt, Gerechtigkeit wird verzerrt, und die Struktur des Teams zerfällt in konkurrierende Inseln. Deshalb ist es nicht nur eine Frage möglichst effizienter Koordination, sondern eine Frage von Verantwortung, die Gruppengröße im Blick zu behalten – und rechtzeitig die Strukturen zu schaffen, die Vertrauen und gute Entscheidungen (wieder) möglich machen.