Innovationskommunikation — und die Grenzen der Argumentation

Man kann Men­schen nicht von etwas über­zeu­gen, das sie inner­lich ableh­nen. Und doch ver­su­chen wir es immer wie­der – mit Argu­men­ten, mit Zah­len, mit Nut­zen­ar­gu­men­ta­ti­on. Vor allem, wenn wir für Inno­va­tio­nen ein­tre­ten. Doch viel­leicht ist genau das der Fehler.

Inno­va­ti­on ist eine Zumu­tung. Nicht, weil sie Men­schen über­for­dert, son­dern weil sie den gewohn­ten Sta­tus quo infra­ge stellt. Beson­ders dann, wenn sie nicht „von oben“ ver­ord­net wird, son­dern wenn ein­zel­ne Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter den Mut haben, bestehen­de Pro­zes­se zu hin­ter­fra­gen. Dann kol­li­die­ren zwei Sys­te­me: das trä­ge Sys­tem der Bewah­rung und das for­dern­de Sys­tem der Erneue­rung. Und zwi­schen ihnen liegt – ein Kom­mu­ni­ka­ti­onsver­such.

In die­sem Text geht es genau um die­sen Kommunikationsversuch.

Der Text ist Teil einer Serie, die sich aus einem Semi­nar mit dem Inno­va­ti­ons­team einer grö­ße­ren Orga­ni­sa­ti­on erge­ben hat. Der ers­te Teil der Serie hat sich mit der Fra­ge beschäf­tigt, wie man unter Druck hand­lungs­fä­hig bleibt. Im zwei­ten Teil der Serie ging es um die Fra­ge, wie man aus einer unter­ge­ord­ne­ten Posi­ti­on in der Orga­ni­sa­ti­on her­aus für Inno­va­ti­on sor­gen kann. Die­ser Text ist der drit­te und letz­te Teil der Serie.

Die Falle der Nutzenargumentation

Die klas­si­sche Annah­me in Inno­va­ti­ons­pro­zes­sen lau­tet: Wenn wir den Nut­zen einer Idee gut genug erklä­ren, wird sie sich durch­set­zen. Und genau hier han­delt es sich oft genug um ein Miss­ver­ständ­nis, denn Argu­men­te ent­fal­ten nur dann Wir­kung, wenn es ein Min­dest­maß an Akzep­tanz gibt — also wenn mein Gegen­über die Rich­tung grund­sätz­lich für legi­tim hält, wenn Ver­trau­en in die Kom­pe­tenz der Per­son besteht, die die­se Argu­men­te vor­trägt, und wenn ein gemein­sa­mer Zweck über­haupt wahr­ge­nom­men wird.

Fehlt die­se Grund­la­ge, führt jede Nut­zen­ar­gu­men­ta­ti­on ins Lee­re. Oder schlim­mer noch: Sie wird als Angriff emp­fun­den – als mis­sio­na­ri­scher Eifer, der die Skep­sis nur ver­stärkt. Ein Bei­spiel: Die Inno­va­ti­ons­ab­tei­lung stellt ein neu­es Tool vor, das die Zusam­men­ar­beit ver­bes­sern soll. Die Reak­ti­on der Füh­rungs­kraft eines grö­ße­ren Berei­ches: „Dafür haben wir kei­ne Zeit.“

Was nun?

„Keine Zeit“ ist selten das Problem

Wenn jemand sagt, er habe kei­ne Zeit, meint sie oder er oft etwas ande­res. Viel­leicht: „Ich glau­be nicht an den Sinn des Pro­jekts.“ Oder: „Ich will mich mit dem The­ma nicht beschäf­ti­gen.“ Oder auch: „Ich den­ke, dass du mir hier in mei­nen Bereich hin­ein­re­gierst.“ In Orga­ni­sa­tio­nen ist Zeit längst nicht nur eine Res­sour­ce, son­dern oft auch ein „Code“ — ein Code für Ableh­nung, Prio­ri­sie­rung, Selbst­schutz oder schlicht Bequemlichkeit.

Wer hier mit einer Nut­zen­ar­gu­men­ta­ti­on wei­ter­macht („Aber das Tool spart doch Zeit!“), wird nicht wei­ter­kom­men. Denn das eigent­li­che The­ma liegt tie­fer: im Ver­hält­nis zur Idee oder/und im Ver­hält­nis zum Sen­der der Idee.

Vom Argument zur Frage

Wenn Argu­men­te nicht grei­fen, hilft nur eines: Fra­gen stel­len. Nicht aus­wei­chend, son­dern gezielt. Nicht kon­fron­ta­tiv, son­dern klä­rend. Und vor allem nicht zur Ver­tei­di­gung der eige­nen Posi­ti­on, son­dern zur Explo­ra­ti­on der Hal­tung des Gegenübers.

Bei­spie­le für hilf­rei­che Fragen:

  • „Wie sehen Sie die Ent­wick­lung Ihres Bereichs in den nächs­ten drei Jahren?“
  • „Inwie­fern sehen Sie die­ses Pro­jekt als Bei­trag zur Gesamtstrategie?“
  • „Wenn wir das nicht machen – was pas­siert stattdessen?“

Sol­che Fra­gen ver­schie­ben den Fokus weg von der Recht­fer­ti­gung hin zur Refle­xi­on. Sie ermög­li­chen, das eigent­li­che Motiv hin­ter der Ableh­nung sicht­bar zu machen – ohne die Bezie­hung zu beschädigen.

Flughöhe halten – und Haltung bewahren

Ent­schei­dend ist dabei die „sozia­le Flug­hö­he“. Wer sich in die Recht­fer­ti­gung begibt, gibt impli­zit zu, dass er über­zeu­gen muss – und stellt sich damit „unter“ sein Gegen­über. Wer hin­ge­gen mit Gegen­kri­tik reagiert, begibt sich auf eine Ebe­ne „über“ dem Gegen­über — und damit in eine Eska­la­ti­on, die sel­ten pro­duk­tiv endet.

Bes­ser ist es, auf Augen­hö­he zu blei­ben – oder sich, wenn nötig, bewusst zurück­zu­neh­men, um die Situa­ti­on zu dees­ka­lie­ren. Es geht nicht dar­um, sich klein­zu­ma­chen. Es geht dar­um, Raum zu schaf­fen, in dem das Gegen­über sei­ne Ableh­nung über­haupt selbst ver­ste­hen kann.

Wenn Organisationen blockieren

Manch­mal wird im Gespräch deut­lich: Das Gegen­über lehnt die Idee nicht ab, weil sie schlecht ist – son­dern weil die Auf­ga­ben­struk­tur oder ‑fül­le (momen­tan) kei­ne Umset­zung zulässt. In die­sem Fall hilft kei­ne Argu­men­ta­ti­on der Welt. Dann geht es dar­um, die rea­le Umsetz­bar­keit zu klä­ren. Ist es eine Fra­ge der Res­sour­cen? Der Prio­ri­tä­ten? Der per­so­nel­len Ausstattung?

Bei­spie­le für (hier nur: ggf.) hilf­rei­che Fragen:

  • „Wie sehen Sie die Sache, über die wir hier gera­de sprechen?“
  • „Was pas­siert, wenn wir das nicht umsetzen?“
  • „Wie sehen Sie das, wor­über wir hier spre­chen, in Bezug auf die Zukunft der Orga­ni­sa­ti­on? Wie rele­vant ist das aus Ihrer Sicht?“
  • „Was müss­te pas­sie­ren, damit Sie das Pro­jekt unter­stüt­zen können?“
  • „Wel­che Bedin­gun­gen müss­ten erfüllt sein, damit das für Ihre Abtei­lung rea­lis­tisch wird?“

Die­se Form der Gesprächs­füh­rung zielt nicht mehr auf Über­zeu­gung, son­dern auf gemein­sa­me Erkun­dung. Und manch­mal zeigt sich dabei: Die Idee ist nicht das Pro­blem – son­dern das Sys­tem, das sich bewe­gen muss.

Zwischen Resignation und Konfrontation

Doch was, wenn alles nichts hilft? Wenn der Wider­stand so mas­siv ist, dass jede noch so klu­ge Fra­ge im Nebel ver­schwin­det? Dann ist es Zeit, sich eine ande­re Fra­ge zu stel­len: Wofür bin ich hier?

Nicht jede Idee lässt sich durch­set­zen. Und nicht jeder Wan­del ist mit Argu­men­ten zu bewirken.

Manch­mal reicht ein geziel­ter Impuls, ein klug gesetz­ter Zwei­fel, ein sach­lich for­mu­lier­ter Wider­spruch, um eine Bewe­gung aus­zu­lö­sen – nicht sofort, aber irgend­wann. Manch­mal muss man die Orga­ni­sa­ti­on — in der Regel also Füh­rungs­kräf­te — gezielt irri­tie­ren oder gar pro­vo­zie­ren, um etwas zu errei­chen. Manch­mal muss man einen Kon­flikt schaf­fen, damit er bear­bei­tet wer­den kann. Inno­va­ti­on braucht oft mehr als Argu­men­te. Wer Inno­va­tio­nen durch­set­zen will, muss mehr kön­nen, als den Nut­zen zu erklä­ren. Sie oder er muss zuhö­ren Fra­gen stel­len, Ableh­nung aus­hal­ten — und den Mut haben, den Raum zwi­schen Zustim­mung und Wider­stand nicht sofort mit Argu­men­ten zu fül­len – son­dern mit Hal­tung: Geduld, Hart­nä­ckig­keit und gute Lau­ne. Nicht das bes­te Argu­ment ent­schei­det, son­dern die Bereit­schaft, gemein­sam einen neu­en Sinn zu finden.

Jörg Hei­dig

PS: Die­ser Text ist der drit­te und letz­te Teil einer Arti­kel­se­rie zum The­ma Inno­va­ti­ons­kom­mu­ni­ka­ti­on. Im vor­an­ge­gan­ge­nen Teil die­ser Serie ging es um die Fra­ge, wie Orga­ni­sa­tio­nen (also prak­tisch gespro­chen: Vor­ge­setz­ten­ebe­nen oder ande­re Bereiche/Abteilungen/Teams) wirk­sam — also eben­so wohl­mei­nend wie bis­wei­len pro­vo­ka­tiv — in Bewe­gung ver­setzt wer­den kön­nen. Im ers­ten Teil der Serie ging es um Hand­lungs­fä­hig­keit unter Druck.

PPS: Das Bei­trags­bild wur­de mit Hil­fe künst­li­cher Intel­li­genz erstellt.

Von Jörg Heidig

Dr. Jörg Heidig, Jahrgang 1974, ist Organisationspsychologe, spezialisiert vor allem auf Einsatzorganisationen (Feuerwehr: www.feuerwehrcoach.org, Rettungsdienst, Polizei) und weitere Organisationsformen, die unter 24-Stunden-Bedingungen funktionieren müssen (bspw. Pflegeheime, viele Fabriken). Er war mehrere Jahre im Auslandseinsatz auf dem Balkan und hat Ende der 90er Jahre in Görlitz bei Herbert Bock (https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Bock) Kommunikationspsychologie studiert. Er schreibt regelmäßig über seine Arbeit (www.prozesspsychologen.de/blog/) und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht, darunter u.a. "Gesprächsführung im Jobcenter" oder "Die Kultur der Hinterfragung: Die Dekadenz unserer Kommunikation und ihre Folgen" (gemeinsam mit Dr. Benjamin Zips: www.kulturderhinterfragung.de). Dr. Heidig lebt in der Lausitz und begleitet den Strukturwandel in seiner Heimat gemeinsam mit Stefan Bischoff von MAS Partners mit dem Lausitz-Monitor, einer regelmäßig stattfindenden Bevölkerungsbefragung (www.lausitz-monitor.de). In jüngster Zeit hat Jörg Heidig gemeinsam mit Viktoria Klemm und ihrem Team im Landkreis Görlitz einen Jugendhilfe-Träger aufgebaut. Dr. Heidig spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch und Serbokroatisch sowie Russisch. Er ist häufig an der Landesfeuerwehrschule des Freistaates Sachsen in Nardt tätig und hat viele Jahre Vorlesungen und Seminare an verschiedenen Universitäten und Hochschulen gehalten, darunter an der Hochschule der Sächsischen Polizei und an der Dresden International University. Sie erreichen Dr. Heidig unter der Rufnummer 0174 68 55 023.