Es hilft nichts, über gute Kommunikation zu reden, gute Kommunikation muss man machen.

Fan­gen wir mit einer – viel­leicht dras­ti­schen – Behaup­tung an: In vie­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­se­mi­na­ren, Füh­rungs­kräf­te­trai­nings und so wei­ter geht es nicht wirk­lich um die eige­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on, son­dern wird bes­ten­falls Schat­ten­bo­xen betrie­ben. Es wer­den zwar Übun­gen gemacht und mit­un­ter recht schlaue Ana­ly­sen ange­stellt, aber oft geht es gar nicht um die tat­säch­lich statt­fin­den­de Kom­mu­ni­ka­ti­on, son­dern es wird über Kom­mu­ni­ka­ti­on gere­det. Aber wo ist da der Unter­schied? Was ist hier der Punkt?

Kom­mu­ni­ka­ti­on hat, etwas platt gesagt, einen min­des­tens dop­pel­ten Boden: Wir sagen nur sehr sel­ten, was wir tat­säch­lich den­ken. Statt­des­sen „umschif­fen“ wir im Gespräch alle mög­li­chen – ange­nom­me­nen – Klip­pen. Um „ange­nom­me­ne Klip­pen“ han­delt es sich des­halb, weil wir die Hand­lun­gen unse­res Gegen­übers inter­pre­tie­ren – wir ver­lei­hen dem Gesag­ten eine Bedeu­tung, indem wir die Bedeu­tung unter­stel­len; in der Regel prü­fen wir unse­re Unter­stel­lun­gen dann aber nicht, son­dern handeln/reagieren auf der Grund­la­ge unse­rer unter­stell­ten Annah­men. Als dann gestal­ten wir unse­re Äuße­run­gen so, dass sie eini­ger­ma­ßen selbst­wert­dien­lich blei­ben. Wir schüt­zen uns beim Spre­chen, indem wir so reden, dass unser Gegen­über das­je­ni­ge Bild bestä­tigt, wel­ches wir von uns selbst haben – oder im pro­ble­ma­ti­sche­ren Fall: gern hätten.

Was wür­de auch pas­sie­ren, wenn wir voll­ends ehr­lich wären? Wenn wir alle Gedan­ken äußer­ten? Wir wür­den uns gegen­sei­tig weit stär­ker ver­let­zen, als wir es ohne­hin schon tun; es gäbe mehr Eska­la­tio­nen und Kon­flik­te. In die­sem Sin­ne scheint die Zurück­hal­tung man­cher Gedan­ken eine zivi­li­sa­to­ri­sche Errungenschaft.

Chris Argy­ris hat die Eigen­hei­ten die­ser Errun­gen­schaft ein­ge­hend unter­sucht und fest­ge­stellt, dass Men­schen in der Regel gute und nach­voll­zieh­ba­re Hand­lungs­grün­de ange­ben („espou­sed theo­ries“), tat­säch­lich aber nur zwei grund­le­gen­de hand­lungs­lei­ten­de Annah­men zur Anwen­dung kom­men („theo­ries-in-use“). Wobei sich die ange­ge­be­nen von den tat­säch­lich ver­wen­de­ten Hand­lungs­grün­den maß­geb­lich unter­schei­den. Die ange­ge­be­nen Grün­de sind recht viel­fäl­tig, indi­vi­du­ell und oft sozi­al erwünscht. Die tat­säch­lich ver­wen­de­ten Hand­lungs­grün­de die­nen hin­ge­gen dem Selbst­schutz und sind kaum oder nicht bewusst. Das Schutz­be­dürf­nis ist dabei so stark aus­ge­prägt, dass wir im Prin­zip auf unse­ren eige­nen Posi­tio­nen ver­har­ren und ver­su­chen, die jeweils ande­re Sei­te zu manipulieren.

Es gibt nach Argy­ris wie gesagt zwei sol­cher „theo­ries-in-use“:

Vari­an­te 1: Es geht um Gewin­nen oder Ver­lie­ren. Das wird aber nicht zuge­ge­ben, son­dern man betont die Bedeu­tung der Sach­ebe­ne. Man ermahnt sich gegen­sei­tig, sach­lich zu blei­ben und ist sich qua­si „im Streit einig“. Nie­mand ver­lässt sei­nen Stand­punkt; der Streit ist sta­bil. Mot­to: „Wir grei­fen uns gegen­sei­tig an, um unse­re Posi­tio­nen nicht wirk­lich ver­las­sen zu müs­sen.“ Ergeb­nis sind die in vie­len Orga­ni­sa­tio­nen nur zu bekann­ten, immer wie­der neu ver­tag­ten, kaum zu Ergeb­nis­sen füh­ren­den Besprechungsmarathons.

Vari­an­te 2: Man ver­mei­det Kon­flik­te, spricht sich aus, betont die Rol­le von Gefüh­len, bleibt dann aber ste­hen und tritt sich nicht zu nahe. Es bleibt qua­si bei der – durch­aus offe­nen – Aus­spra­che, indem man in einem falsch ver­stan­de­nen „Har­mo­nie­ide­al“ ver­harrt. Man spricht aus, trägt aber nicht aus.

Kurz gefasst: Wenn wir sagen, war­um wir etwas tun, fin­den wir vie­le schö­ne Wor­te. Die tat­säch­li­chen Hand­lungs­grün­de lau­fen jedoch auf Selbst­schutz hin­aus. Wir kom­mu­ni­zie­ren so, dass wir mög­lichst angst­frei und sicher durch die Welt kom­men. Die wich­tigs­te Ein­fluss­grö­ße bei der Kom­mu­ni­ka­ti­on ist dem­entspre­chend die Siche­rung der eige­nen „sozia­len Flug­hö­he“ (sozio­lo­gisch: Sta­tus; psy­cho­lo­gisch: Selbst­wert). Ein­mal nicht recht zu haben oder die Ambi­va­lenz der Sicht­wei­sen in einem Team zu ertra­gen macht unsi­cher. Wir hät­ten es aber gern siche­rer, angst­frei­er, weni­ger viel­deu­tig und ambivalent.

Und so kommt es, dass wir uns bei der The­ma­ti­sie­rung von Kom­mu­ni­ka­ti­on recht gern über gute Kom­mu­ni­ka­ti­on unter­hal­ten, gute Kom­mu­ni­ka­ti­on aber nicht wirk­lich rea­li­sie­ren, denn dies wür­de ja bedeu­ten, dass wir uns – zumin­dest für die Zeit der The­ma­ti­sie­rung – mit den tat­säch­li­chen Sicht­wei­sen der jeweils ande­ren Sei­te aus­ein­an­der­set­zen müss­ten, was aber unan­ge­nehm ist und unsi­cher macht.

Die­se Wor­te sol­len nicht etwa als Votum für durch­gän­gig größt­mög­li­che Offen­heit ver­stan­den wer­den. Es ist in der Regel gut und aus­rei­chend, wie wir kom­mu­ni­zie­ren. Wol­len wir aber etwas ler­nen – als ein­zel­ne Per­son oder als Team glei­cher­ma­ßen – müs­sen Büh­ne und tat­säch­li­ches Gesche­hen für kur­ze Zeit auf eine Ebe­ne gebracht wer­den, müs­sen die tat­säch­li­chen Gedan­ken hin­ter der Fas­sa­de aus­sprech­bar wer­den, damit sich die tat­säch­lich hand­lungs­lei­ten­den Theo­rien ändern.

Des­halb ist es in der Regel sinn­los, von guter Kom­mu­ni­ka­ti­on zu reden. Man stel­le sich vor, wie viel Geld aus­ge­ge­ben wird für die Erar­bei­tung von Leit­bil­dern, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­geln und ähn­li­chem. Man stel­le sich zudem all jene Situa­tio­nen vor, in denen Mana­ger behaup­ten: „Wir müs­sen zu einer neu­en Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur fin­den!“ Durch die „Behaup­tung“ einer „irgend­wie bes­se­ren“ Kul­tur ändert sich nichts. Kul­tur ist der Besitz einer Grup­pe (Edgar Schein) im Sin­ne einer Art kol­lek­tiv geteil­ter Hand­lungs­mus­ter oder Gewohn­hei­ten. Sol­che Hand­lungs­mus­ter ändert man, indem man ihnen etwas in den Weg stellt, sie im kon­kre­ten Hand­lungs­pro­zess ver­än­dert, indem man also etwas anders macht. Selbst. Per­sön­lich. In der kon­kre­ten Inter­ak­ti­on mit ande­ren. Regeln erge­ben sich aus den Mus­tern des Pro­zes­ses. Und wenn man Regeln (von oben, von außen…) imple­men­tie­ren will, nutzt es wenig, die Regeln an die Wand zu schrei­ben. Man muss sie im Gesche­hen anwen­den, bis sie zu (neu­en) Hand­lungs­mus­tern füh­ren. Trag­fä­hi­ge Bezie­hun­gen, Refle­xi­on, Expe­ri­men­tie­ren und Nach­fra­gen hel­fen dabei (Amy Edmond­son). Die Behaup­tung allein bringt nichts und Beleh­run­gen sor­gen in der Regel nicht für gute Lau­ne. Man muss im Pro­zess etwas ändern, etwa indem man etwas pro­biert oder im Pro­zess Fra­gen stellt, reflek­tiert usw.

Im Prin­zip geht es dar­um, dass die Betei­lig­ten ler­nen, jen­seits der eige­nen Posi­tio­nen neue Infor­ma­tio­nen zuzu­las­sen und die Unsi­cher­heit zu ertra­gen, die es bedeu­tet, mit der Anwe­sen­heit ande­rer Mei­nun­gen leben zu ler­nen, ohne end­los zu dis­ku­tie­ren oder jeg­li­che Dis­kus­si­on im besag­ten „Kon­sens­ide­al“ zu erträn­ken. Mehr Infor­ma­tio­nen (Chris Argy­ris) und das Ertra­gen von Unsi­cher­heit (Wil­fred Bion) sind die Vor­aus­set­zung für die Beweg­lich­keit der Posi­tio­nen auf­ein­an­der zu. Selbst­schutz führt in der Kom­mu­ni­ka­ti­on oft nur zur Erstar­rung der Posi­tio­nen und ent­spre­chend zum Ruf nach stra­te­gi­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on bzw. zum Wunsch, die bes­se­ren mani­pu­la­ti­ven Waf­fen oder/und mehr Macht zu besitzen.

Was das prak­tisch bedeu­tet, möch­ten wir abschlie­ßend an einem Bei­spiel dar­stel­len: Eine jun­ge Absol­ven­tin des Stu­di­en­gangs Busi­ness Ethics beginnt, in einem mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men als CSR-Beauf­trag­te zu arbei­ten. Sie freut sich auf ihre Auf­ga­be, zumal sie die Gele­gen­heit hat, die CSR-Kon­zep­ti­on von Grund auf zu erar­bei­ten. Der Unter­neh­mens­lei­tung und den Gesell­schaf­tern wird das The­ma CSR zuneh­mend wich­ti­ger, aller­dings haben grö­ße­re Tei­le der mitt­le­ren Füh­rungs­kräf­te bis­her kaum etwas von „Cor­po­ra­te Social Respon­si­bi­li­ty“ gehört. Dem­entspre­chend stößt die Absol­ven­tin auf eine Gemenge­la­ge aus expli­zi­tem Rück­halt („Das The­ma ist für uns sehr wich­tig. Ich unter­stüt­ze Sie da. Kom­men Sie ruhig auf mich zu.“), wohl­wol­len­der Neu­tra­li­tät („Legen Sie mal los. Sie sind ja ein­schlä­gig qua­li­fi­ziert. Ich ver­traue Ihnen da und bin gespannt, was Sie da für uns erar­bei­ten.“), Unver­ständ­nis („Ich weiß gar nicht was das sein soll. Erklä­ren Sie mir das mal bit­te am prak­ti­schen Bei­spiel.“) und Ableh­nung („Wie­der so ein neu­mo­di­scher Begriff, der den Chefs ganz wich­tig ist. Sol­che Sachen kom­men und gehen auch wie­der. Schau­en wir mal. Schwim­men lernt man am bes­ten, wenn man ins kal­te Was­ser gewor­fen wird. Viel Spaß!“). Unse­res Erach­tens wäre es nun ein Feh­ler, sich zu sehr auf Unver­ständ­nis und Ableh­nung bzw. die ent­spre­chen­den Per­so­nen zu kon­zen­trie­ren. Das führ­te auto­ma­tisch in eine Art „Recht­fer­ti­gungs­mo­dus“. Bes­ser wäre es, kon­kre­ti­sie­ren­de Nach­fra­gen zu stel­len, die Inter­es­se signa­li­sie­ren. In der Akzep­tanz der anders­lau­ten­den Mei­nung, des Zwei­fels und sogar der Ableh­nung liegt der Schlüs­sel dafür, dass sich das Gegen­über öff­net. Ent­steht dann – lang­sam – eine respekt­vol­le Arbeits­be­zie­hung zwi­schen den Betei­lig­ten, wer­den auch „the­ma­ti­sche Erwei­te­run­gen“ über das bis­her Akzep­tier­te hin­aus und sogar Kon­fron­ta­tio­nen mög­lich. Was unter kei­nen Umstän­den hilft, ist der „Beleh­rungs­mo­dus“, sprich: den Zweif­lern zu erklä­ren, was CSR sei und war­um es gebraucht wer­de. Die größ­te Her­aus­for­de­rung für die Absol­ven­tin bleibt ver­mut­lich, die Unsi­cher­heit zu ertra­gen, die es bedeu­tet, wenn „ihr“ The­ma auf Skep­sis oder gar Ableh­nung stößt. Die Kunst besteht dar­in, sol­che Reak­tio­nen nicht per­sön­lich zu neh­men und die in sol­chen Fäl­len drin­gend benö­tig­te Mischung aus Hart­nä­ckig­keit und guter Lau­ne zu behal­ten. Eine nega­ti­ve emo­tio­na­le Reak­ti­on führt zu Selbst­schutz und damit wahr­schein­lich zu Recht­fer­ti­gung. Die eige­nen Gedan­ken lau­ten dann womög­lich: „Was habe ich falsch gemacht?“ „War­um sehen die Leu­te das nicht ein?“ „Wie kann ich bes­ser über­zeu­gen?“ Sol­che Gedan­ken erhö­hen den Druck, den man sich selbst macht und füh­ren – bei­na­he zwin­gend – zu wenig hilf­rei­chen Dis­kus­sio­nen. Was an sol­chen Stel­len hilft, sind an sich selbst gerich­te­te Fra­gen wie: „Was weiß ich ggf. noch nicht und wel­che Fra­gen könn­te ich stel­len?“ oder „Wel­che Optio­nen habe ich?“ oder „Was will mein Gegen­über wirk­lich, und wie könn­te ich ggf. anders als bis­her über mein Gegen­über denken?“

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.