Wie wird ein Training wirklich hilfreich?

Mein ers­tes Trai­ning liegt nun­mehr fünf­zehn Jah­re zurück. Eine Woche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­ning mit den Teil­neh­mern einer S7-Wei­ter­bil­dung. Ich stu­dier­te damals im sechs­ten Semes­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­psy­cho­lo­gie in Gör­litz und hat­te mich etwa eine Woche lang auf die­ses Trai­ning vor­be­rei­tet. Ich hat­te einen Plan – und der funk­tio­nier­te dank der guten Men­to­ren, die ich damals hat­te, allen vor­an Pro­fes­sor Her­bert Bock und mein spä­te­rer Kol­le­ge Mario Fried­rich. Mit der Zeit und nach vie­len Ein­satz­ta­gen als Trai­ner und spä­ter als Bera­ter, Team­ent­wick­ler und Super­vi­sor wur­den mei­ne Kon­zep­te pass­fä­hi­ger, spe­zi­fi­scher und – nach Rück­mel­dung mei­ner Auf­trag­ge­ber – auch immer hilf­rei­cher. Die­se Ent­wick­lung soll hier nach­ge­zeich­net wer­den – immer an der Fra­ge ori­en­tiert, wie sich eine wirk­lich hilf­rei­che (oder: wirk­sa­me) Inter­ven­ti­on gestal­ten lässt.

Ers­te Ebe­ne: Struk­tu­rier­te Schulungen
Wenn jemand anfängt, als Trai­ner zu arbei­ten, sind die ers­ten Auf­trä­ge in der Regel nicht gera­de die Trai­nings mit Top-Füh­rungs­kräf­ten, von denen vie­le träu­men und von denen in vie­len Lehr­bü­chern die Rede ist. Im Gegen­teil: man kommt rela­tiv leicht an Auf­trä­ge in Berei­chen, in denen zwar Trai­nings durch­ge­führt wer­den, die Ziel­grup­pen aber nicht beson­ders moti­viert sind. Die Klas­si­ker: Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­nings im Rah­men von arbeits­markt­be­zo­ge­nen Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men oder Trai­nings mit Call­cen­ter-Mit­ar­bei­tern. Spä­ter kom­men Trai­nings an Aka­de­mien hin­zu, die beruf­li­che Wei­ter­bil­dun­gen anbie­ten, wel­che zwar von den Teil­neh­mern selbst oder ihren Arbeit­ge­bern bezahlt wer­den, wel­che die Teil­neh­mer aber besu­chen müs­sen, um ihre fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on zu sichern. Manch­mal sind unter­neh­mens­in­ter­ne Schu­lun­gen dabei. So leicht es ist, in die­sen Bereich hin­ein­zu­kom­men, so schwer ist die Umset­zung, weil immer ein gewis­ser „Zwangs­kon­text“ gege­ben ist. Wenn man hier den Feh­ler macht, mit den Teil­neh­mern zu dis­ku­tie­ren bzw. sie vom Sinn der jewei­li­gen Ver­an­stal­tung zu über­zeu­gen, hat man bereits ver­lo­ren. Der bes­te Weg ist, sich bzgl. der Inhal­te des Trai­nings zu eini­gen. Man kann eine Struk­tur vor­be­rei­ten, und anfangs muss man das auch, bis man ein gewis­ses Reper­toire und eine gewis­se „Pro­zess­si­cher­heit“ an den Tag legt. Man lernt schnell, dass ein rigi­des Fest­hal­ten an Struk­tu­ren zu einem gewis­sen Maß an Ent­frem­dung und Teil­nahms­lo­sig­keit führt. Da die Leu­te in der Regel „ver­don­nert“ wur­den, klappt es zwar mit der Anwe­sen­heit schon irgend­wie, was man­chen Auf­trag­ge­bern wich­ti­ger zu sein scheint als die Qua­li­tät, aber es ist zähe Arbeit, die in der Regel ohne wirk­lich gute Ergeb­nis­se bleibt.

Wenn ich mich im Kol­le­gen­kreis umse­he, habe ich das Gefühl, dass nicht vie­le, aber immer­hin eini­ge auf die­ser Ebe­ne ste­hen­ge­blie­ben sind. Die­se Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen haben ihre Struk­tu­ren, und sie zie­hen die­se durch – unab­hän­gig davon, ob die Grup­pe mit­geht oder nicht: „Manch­mal hat man eben eine gute Grup­pe und manch­mal nicht.“, lau­tet die lapi­da­re Ant­wort. Ich beob­ach­te aber auch, dass man­che Grup­pen genau das wol­len – ent­we­der, weil sie es gewohnt sind, oder weil sie sich nicht invol­vie­ren wol­len, weil sie die Zeit „irgend­wie rum­brin­gen“ wol­len und dies zum Teil auch deut­lich zum Aus­druck bringen.

Wenn man – gera­de am Anfang – vor allem Auf­trä­ge auf die­ser Ebe­ne bekommt, die eige­nen Erwar­tun­gen aber – und auch das vor allem am Anfang – aber höher lie­gen, kann das zu Pro­ble­men füh­ren, die sich ent­we­der in einer begrenz­ten Zufrie­den­heit des Trai­ners mit sei­ner Arbeit oder in Kon­flik­ten mit Teil­neh­mern nie­der­schla­gen, weil die Trai­ne­rin oder der Trai­ner mög­li­cher­wei­se Inhal­te und Metho­den anbie­ten möch­te, die weit über dem Erwartungs‑, womög­lich aber auch weit über dem Bereit­schafts­ho­ri­zont der Teil­neh­mer lie­gen. Letz­te­res ist viel kri­ti­scher für die Moti­va­ti­on des Trai­ners als ein nicht getrof­fe­ner Erwar­tungs­ho­ri­zont. Beson­ders moti­vier­te oder erwar­tungs­vol­le Berufs­an­fän­ger tun im Fal­le sol­cher Trai­nings gut dar­an, ihre Erwar­tun­gen an die Mög­lich­kei­ten anzu­pas­sen. Der Ver­such, es umge­kehrt zu machen, mit Teil­neh­mern sol­cher Schu­lun­gen also Inhal­te und Metho­den mit mehr Inter­ven­ti­ons- oder gar Selbst­re­fle­xi­ons­po­ten­ti­al umzu­set­zen, wird in der Regel zu noch grö­ße­ren Ent­täu­schun­gen und damit zu Selbst­zwei­feln führen.

Zwei­te Ebe­ne: Trai­nings oder Schu­lun­gen mit Interventionscharakter
Spä­ter bekam ich immer mehr Auf­trä­ge, bei denen es nicht so sehr um die Rea­li­sie­rung vor­her fest­ge­leg­ter Inhal­te ging, son­dern bei denen es um Trai­nings und ande­re For­ma­te ging, mit denen etwas Bestimm­tes bewirkt wer­den soll­te. Der Klas­si­ker die­ser Vari­an­te ist ein Team­trai­ning, bei dem bspw. der Zusam­men­halt eines Teams ver­bes­sert wer­den soll oder Team­pro­ble­me geklärt wer­den sol­len. Bei die­ser Art von Trai­nings kann es auch um Wis­sens- oder Kom­pe­tenz­ver­mitt­lung gehen, im Vor­der­grund steht aber die Errei­chung bestimm­ter Pro­zess­zie­le. Sol­che Zie­le sind weni­ger inhalt­li­cher Natur, son­dern bezie­hen sich mehr auf das Gelin­gen einer bestimm­ten Ent­wick­lung, bspw. der Öff­nung im Team und der Stei­ge­rung des Ver­trau­ens der Grup­pen­mit­glie­der unter­ein­an­der. Das heißt, die­se For­ma­te besit­zen bereits Inter­ven­ti­ons­cha­rak­ter. Inter­ven­tio­nen sind defi­ni­ti­ons­ge­mäß Ver­su­che, ein bestehen­des Netz aus Bezie­hun­gen mit dem Ziel zu „betre­ten“, hilf­reich zu sein (sinn­ge­mäß nach Chris Argy­ris). Ein­fach gesagt tun Inter­ven­tio­nis­ten das, was sie tun, um damit etwas zu ver­än­dern, und im Erfolgs­fall war das, was sie oder er getan hat, für die Betref­fen­den hilf­reich. Es ist auf die­ser Ebe­ne nur bedingt nütz­lich, zu stark an einer bestimm­ten Struk­tur fest­zu­hal­ten. Man braucht hier viel­leicht eini­ge gute Ideen für den Anfang – man kann einen Input lie­fern und Übun­gen durch­füh­ren, soll­te aber genü­gend Raum las­sen für Dis­kus­si­on und Refle­xi­on und gut auf jene Din­ge ach­ten, die sich aus der „rela­ti­ven Unstruk­tu­riert­heit“ im so genann­ten „Hier und Jetzt“ erge­ben (zwei der wich­tigs­ten Grund­prin­zi­pi­en der Grup­pen­dy­na­mik). Die Kom­pe­tenz, Unstruk­tu­riert­heit zuzu­las­sen oder sogar zu erzeu­gen und dabei die eige­ne Unsi­cher­heit zu ertra­gen, den nächs­ten Schritt nicht zu ken­nen und die eige­ne Struk­tur zu ver­las­sen, um auf Ent­wick­lun­gen in der Grup­pe zu reagie­ren, ist mei­nes Erach­tens der Kern grup­pen­dy­na­mi­scher Inter­ven­tio­nen. Kurz gesagt: man braucht hier bereits eine gewis­se Pro­zess­kom­pe­tenz und die Fähig­keit, bis­wei­len auf den Pro­zess zu ver­trau­en, sich gar „in den Pro­zess kip­pen“ zu las­sen, man braucht aber auch den Mut, die Pro­zess­rich­tung und ‑geschwin­dig­keit zu kor­ri­gie­ren. Man soll­te des­halb umfang­rei­che­re Erfah­run­gen auf der ers­ten Ebe­ne gesam­melt haben und sich selbst bereits recht gut ken­nen. Pro­zess­kom­pe­tenz lässt sich nicht aus Büchern ler­nen, es ist vor allem eine Fra­ge der Hal­tung und der Erfah­rung, und Hal­tun­gen kann man nicht behaup­ten oder instruk­tiv „bei­brin­gen“, Hal­tung ist eher eine Fra­ge der Erfah­rung und der kon­ti­nu­ier­li­chen Refle­xi­on die­ser Erfahrung.

Für „übungs­feind­li­che Umge­bun­gen“: wie sich Schu­lung und Inter­ven­ti­on zu einem bei­na­he von allein funk­tio­nie­ren­den Semi­nar­kon­zept ver­bin­den lassen
Im Lau­fe der Jah­re habe ich ein Semi­nar­kon­zept ent­wi­ckelt, dass vom Ansatz her die bei­den bis­her beschrie­be­nen Ebe­nen ver­bin­det. Die­ses Set­ting kommt in der Regel gut bei den Teil­neh­mern an. Es ermög­licht den Erkennt­nis­ge­winn einer pro­duk­ti­ven Super­vi­si­ons­sit­zung, lässt die Teil­neh­mer aber „bei sich“. Der Inter­ven­ti­ons­cha­rak­ter ent­spricht eher der ers­ten Ebe­ne, bleibt also recht gering, der Lern­ef­fekt aber liegt in den meis­ten Fäl­len auf dem Level der zwei­ten Ebe­ne. Ein sol­ches Trai­ning hat in etwa fol­gen­de Struktur:

  1. Erwar­tungs­ab­fra­ge: Wich­tig ist hier, dass nicht nur all­ge­mei­ne Erwar­tun­gen abge­fragt wer­den, son­dern dass die Teil­neh­mer die Fra­ge gestellt bekom­men, was genau sie ler­nen wol­len, für wel­che kon­kre­ten Situa­tio­nen sie Hand­lungs­op­tio­nen ent­wi­ckeln wol­len, was ihnen in ihrem Orga­ni­sa­ti­ons- oder Berufs­all­tag ein Rät­sel bleibt, wel­che viel­leicht schwie­ri­gen Situa­tio­nen oder Kon­stel­la­tio­nen sie ein­mal reflek­tie­ren wol­len, um dar­aus zu lernen.
  2. Durch­ar­bei­ten: Die Erwar­tun­gen bzw. die geschil­der­ten Situa­tio­nen wer­den bei der Abfra­ge an einer Tafel recht detail­liert mit­ge­schrie­ben. Idea­ler­wei­se hat jeder Teil­neh­mer, der eine Erwar­tung genannt oder Situa­ti­on geschil­dert hat, eine Art „Leit­fra­ge“ für sein Pro­blem for­mu­liert. Die­se Fra­gen bil­den den Kern des Semi­nars. Nun wer­den die Teil­neh­mer gefragt, ob sie einen kom­pak­te­ren Theo­rie­teil wol­len, bevor die ein­zel­nen Fra­gen geklärt wer­den, oder ob die Theo­rie in die Klä­rung der ein­zel­nen Erwar­tun­gen und Fra­gen „ein­flie­ßen“ sol­len. Man muss sei­ne Theorien/Inputs eini­ger­ma­ßen „drauf haben“, um letz­te­re Vari­an­te zu rea­li­sie­ren. Jedoch lohnt es sich, denn die Teil­neh­mer haben dann das Gefühl, wirk­lich „etwas mit­zu­neh­men“. Zudem sind sie bei der Ana­ly­se des Pro­blems und der Ent­wick­lung von Hand­lungs­mög­lich­kei­ten betei­ligt und ler­nen so eher bei­läu­fig die theo­re­ti­schen Kon­zep­te ken­nen. Man kann je nach Bedarf auch Übun­gen ein­bau­en, das Semi­nar­kon­zept funk­tio­niert aber auch und gera­de in „übungs­feind­li­chen Umge­bun­gen“ beson­ders gut.
  3. Visua­li­sie­ren und zusam­men­fas­sen: Das Set­ting lebt von der Betei­li­gung der Teil­neh­mer. Trai­ner han­deln hier nicht nur als Mode­ra­to­ren, son­dern manch­mal auch als Dozen­ten, die Input geben, oder als Coa­ches, die Feed­back geben oder selbst Hand­lungs­mög­lich­kei­ten schil­dern, Bei­spie­le geben, im Zwei­fel auch hin­ter­fra­gen oder sogar kon­fron­tie­ren. Wich­tig ist aber, dass viel visua­li­siert und zusam­men­ge­fasst wird. Des Wei­te­ren hat es sich als hilf­reich erwie­sen, Semi­nar­un­ter­la­gen erst im Nach­hin­ein ent­spre­chend der jeweils behan­del­ten spe­zi­fi­schen Inhal­te zusam­men­zu­stel­len. In mei­nem Fall kommt es regel­mä­ßig vor, dass ich nach Trai­nings oder Schu­lun­gen ent­spre­chend spe­zi­fisch for­mu­lier­te Bei­trä­ge auf mei­nem Blog ver­öf­fent­li­che. Das ist sehr auf­wen­dig, lohnt sich aber.

Drit­te Ebe­ne: Ergeb­nis­of­fe­ne Intervention
Es kam der Zeit­punkt, da ich die zwei­te Ebe­ne gemeis­tert hat­te. Das merk­te ich an zwei Din­gen: Ers­tens konn­te ich nun mit jener Unsi­cher­heit umge­hen, die es bedeu­tet, die eige­ne Struk­tur zu ver­las­sen und vor allem die eige­nen Annah­men über die Grup­pe und das jewei­li­ge Gesche­hen über Bord zu wer­fen, um sich ganz auf die Ent­wick­lun­gen in der Grup­pe und die Mode­ra­ti­on die­ser Ent­wick­lun­gen zu kon­zen­trie­ren. Zwei­tens bemerk­te ich, dass ich zuneh­mend unab­hän­gi­ger von „impli­zi­ten Auf­trä­gen“ wur­de. Frü­her, als ich unsi­che­rer war, und, wie man salopp sagt, „jung war und das Geld brauch­te“, hat­te ich mich ganz im Sin­ne der von den aller­meis­ten Bera­tern und auch mir für bedeut­sam gehal­te­nen „Auf­trags­klä­rung“ an den Vor­ga­ben und Wün­schen mei­ner Auf­trag­ge­ber ori­en­tiert und die­se nicht hin­ter­fragt. Das bedeu­te­te aber oft, dass ich in ver­wor­re­ne Situa­tio­nen kam und nicht recht wuss­te, was ich machen soll­te, weil Auf­trag und Situa­ti­ons­er­for­der­nis in unter­schied­li­che Rich­tun­gen wie­sen. Das war vor allem dann schwie­rig, wenn ich „U‑Boot-Ope­ra­tio­nen“ durch­füh­ren soll­te, also impli­zi­te Auf­trä­ge bekam. Ent­we­der ich kann­te im Vor­feld nur einen Teil der Situa­ti­on, oder aber die Auf­trä­ge waren eben­so höf­lich wie vage for­mu­liert wor­den, nur um dann im Gesche­hen selbst mehr oder min­der scharf kon­kre­ti­siert zu wer­den: „Sehen Sie, der ist das Pro­blem. Das woll­te ich Ihnen vor­her nicht alles sagen. Ich woll­te, dass Sie das selbst sehen und ver­ste­hen. Machen Sie bit­te etwas. Sie sind ja der Pro­fi.“ Heu­te wür­de ich bei sol­chen Sät­zen so lan­ge nach­fra­gen, bis die Annah­men mei­nes Gegen­übers offen lie­gen und sich damit der Auf­trag kon­kre­ti­sie­ren lässt, um dann in einem zwei­ten Schritt an der Fra­ge zu arbei­ten, wel­chen Anteil die betref­fen­de Per­son (oder oft auch: die mir den Auf­trag ertei­len­de Grup­pe von Füh­rungs­kräf­ten) ihrer­seits an der jewei­li­gen Situa­ti­on hat. In eini­gen Fäl­len wür­de ich auch offen sagen, dass der Ansatz so nichts bringt. Dann erläu­te­re ich die oben beschrie­be­nen drei Ebe­nen und bit­te um ein ent­spre­chen­des Votum. „Kon­fron­ta­ti­ve Auf­trags­klä­rung“ könn­te man das nen­nen, und ich bin immer wie­der über­rascht, wie gut das (in den meis­ten Fäl­len, nicht immer) funktioniert.

Ich will das am Bei­spiel einer Kon­stel­la­ti­on erläu­tern, die ich schon öfter erlebt habe: Die Füh­rungs­spit­ze eines Unter­neh­mens lässt eine Klau­sur für die Spit­ze der Orga­ni­sa­ti­on (etwa: Geschäfts­füh­rer und Abtei­lungs­lei­ter oder bei klei­ne­ren Unter­neh­men: Geschäfts­füh­rer und Bereichs- bzw. Team­lei­ter) bestel­len. In der Regel macht das der oder die Ver­ant­wort­li­che für Per­so­nal­ent­wick­lung, manch­mal einer der Abtei­lungs­lei­ter, sel­te­ner eine Per­son aus der Geschäfts­lei­tung selbst. Frü­her habe ich nach Erwar­tun­gen gefragt und um einen Vor­be­rei­tungs­ter­min gebe­ten. Da habe ich alles Mög­li­che erfah­ren, was man mit der „Stra­te­gie­klau­sur“ alles anfan­gen möch­te. Nur habe ich sel­ten die Wahr­heit gehört. Die Wahr­heit gibt es auch nicht, eher Nähe­run­gen aus meh­re­ren Rich­tun­gen. Jeden­falls hat­te ich dann oft das Erleb­nis, dass es nicht um das ging, was in der Stra­te­gierun­de bespro­chen wur­de, son­dern um etwas ande­res. Es war hilf­reich für mich, Chris Argy­ris gele­sen zu haben („Erlern­te Inkom­pe­tenz“), sonst wäre ich an die­sen Din­gen inso­fern ver­zwei­felt, als dass ich das Gefühl bekom­men hät­te, dass es mehr mit mir selbst zu tun hat­te, als der Fall war. Aber zwi­schen dem „Ver­ste­hen“, was Abwehr­me­cha­nis­men sind und wie ihre zu Rou­ti­nen gewor­de­nen Ent­spre­chun­gen auf Orga­ni­sa­ti­ons­ebe­ne wir­ken, und dem siche­ren Umgang damit lie­gen Wel­ten – oder in mei­nem Fall: eini­ge Jahre.

Spä­ter begann ich, die Erwar­tun­gen für sol­che „Stra­te­gierun­den“ genau­er zu eru­ie­ren, und zwar direkt mit der Orga­ni­sa­ti­ons­spit­ze. Was auch immer mir die per­so­nal­ver­ant­wort­li­che Per­son sag­te – ich frag­te nach der Mög­lich­keit für Ein­zel­ge­sprä­che mit der Füh­rungs­spit­ze. Wenn das nicht ging, begann ich die Inter­ven­tio­nen mit einem vor­weg­ge­nom­me­nen Ein­zel­ge­spräch. Im Grun­de lag das Pro­blem dann häu­fig so: Man hat­te sich in Rou­ti­nen ver­strickt und kam aus den gegen­sei­ti­gen Sicht­wei­sen nicht mehr her­aus. Frei nach dem Mot­to: „Böse über nicht anwe­sen­de Drit­te zu reden, wur­de zur bes­ten ver­trau­en­schaf­fen­den Maß­nah­me.“ Man wuss­te gleich­zei­tig, dass man etwas ändern muss­te. Bis­wei­len wur­de dies auch von außen (Gesell­schaf­ter, Kun­den, Bera­ter) ange­merkt. Also wur­den Maß­nah­men ein­ge­lei­tet, eine Per­so­nal­ent­wick­lung ange­schafft, Trai­nings initi­iert, ein Leit­bild for­mu­liert, Stra­te­gierun­den gedreht. Was man eben so macht. Aber es brach­te in der Regel nicht viel.

Wenn man nun eine sol­che Situa­ti­on vor­fin­det, hat man drei Möglichkeiten:

  1. Man macht auch eine von den vie­len unter­halt­sa­men Ver­an­stal­tun­gen, nimmt das Geld und geht.
  2. Man lässt es und lehnt den Auf­trag ab.
  3. Man ver­sucht, den­noch hilf­reich zu sein.

Die Vor­aus­set­zung für die drit­te Opti­on ist, dass man die in den Erwar­tungs­run­den vor­ge­tra­ge­nen Sicht­wei­sen hin­ter­fragt und vor allem auf star­ke Bewer­tun­gen hin abklopft. Wenn man bspw. aus den Wor­ten eines Geschäfts­füh­rers tie­fen Zynis­mus her­aus­hört und nach­fragt, und wenn dann her­aus­kommt, dass es sich um über Jah­re „kon­den­sier­ten“ Ärger han­delt, dem die betref­fen­de Per­son nur noch durch Abwer­tung ande­rer Füh­rungs­kräf­te bei­kommt, dann hilft eine Stra­te­gie­klau­sur nichts – womög­lich aber das Wag­nis einer ergeb­nis­of­fe­nen Intervention.

Es han­delt sich hier­bei wie auch auf der oben geschil­der­ten zwei­ten Ebe­ne um ange­wand­te Grup­pen­dy­na­mik, aber in einer inten­si­ven Form. Vom Mode­ra­tor bzw. Refe­ren­ten oder Coach ist hier die Kunst der hilf­rei­chen Kon­fron­ta­ti­on gefragt. Es geht nicht dar­um dar­zu­stel­len, wie gute Kom­mu­ni­ka­ti­on aus­se­hen soll und ein paar Übun­gen durch­zu­füh­ren (Ebe­ne 1), und es geht auch nicht mehr nur um Mode­ra­ti­on und das Zulas­sen der aus der rela­ti­ven Unstruk­tu­riert­heit erwach­sen­den Aspek­te, die posi­tiv zur Grup­pen­ent­wick­lung bei­tra­gen kön­nen (Ebe­ne 2), son­dern es geht um Pro­zess­be­ra­tung im bes­ten Sin­ne. Die Hand­lun­gen des Inter­ven­tio­nis­ten sol­len den Betei­lig­ten direkt hel­fen, ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on zu ver­bes­sern und neue Erfah­run­gen mit­ein­an­der zu machen. Im ein­fa­chen Fall han­delt es sich dabei um Kon­kre­ti­sie­run­gen des­sen, was eigent­lich gesagt wer­den soll: „Was heißt das genau, was Sie gesagt haben? Was möch­ten Sie, das geschieht?“ Manch­mal hel­fen auch simp­le Visua­li­sie­run­gen. Durch lang­sa­mes Nach­zeich­nen und Zusam­men­fas­sen der Dis­kus­si­on wird die Dis­kus­si­on ruhi­ger, und die Anzahl der „wei­te­ren Wie­der­ho­lungs­schlei­fen“ redu­ziert sich. Manch­mal ist aber auch Kon­fron­ta­ti­on gefragt, ins­be­son­de­re dann, wenn die Dis­kus­si­on lang­sam offe­ner wird, dann aber doch wie­der in die Wie­der­ho­lungs­schlei­fen end­lo­ser Dis­kus­sio­nen (die dem Selbst­schutz die­nen) abdrif­tet. Offen­heit ist etwas, das durch Inter­es­se und Offen­heit bewirkt wird, eine Mode­ra­to­rin oder ein Inter­ven­tio­nist ist also eine Art Kata­ly­sa­tor für Offen­heit durch eige­nes Inter­es­se und die damit ver­bun­de­nen Fra­gen, aber auch und vor allem durch die eige­ne authen­ti­sche Art, Din­ge beim Namen zu nennen.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.