Drei Ebenen der Intervention in Teamentwicklungen: Das Konzept der „Interventionstiefe“

Will man ein Team ent­wi­ckeln oder in einem Team inter­ve­nie­ren, bspw. im Fal­le eines Kon­flikts, ist es hilf­reich, vor­her zu über­le­gen, in wel­cher „Tie­fe“ man dies tun kann oder soll­te. Man­che mei­nen ja nicht ohne Grund, dass eine gute Auf­trags­klä­rung bereits die hal­be Inter­ven­ti­on sei. Nach Argy­ris bedeu­tet eine Inter­ven­ti­on (Defi­ni­ti­on gleich am Anfang des ver­link­ten PDF-Doku­ments), ein lau­fen­des Bezie­hungs­netz zu betre­ten, und zwar mit der Absicht, hilf­reich zu sein. Die­ses „Betre­ten“ kann mehr oder weni­ger ener­gisch bzw. „tief“ erfol­gen, je nach dem Zweck oder Ziel der Intervention.

Oft geht es zunächst „nur“ um eine Art Wei­ter­bil­dung, etwa wenn die Mit­glie­der eines Teams dafür sen­si­bi­li­siert wer­den sol­len, wel­che Dyna­mi­ken oder Kon­flik­te sich in einem Team erge­ben. Auf die­ser eher ober­fläch­li­chen Ebe­ne geht es um Wis­sens­ver­mitt­lung oder Sen­si­bi­li­sie­rung. Der Sta­tus quo des Bezie­hungs­ge­flechts wird nicht infra­ge gestellt. Die Mit­glie­der des Teams wer­den durch die Wis­sens­ver­mitt­lung eher befä­higt, Ent­wick­lun­gen und Dyna­mi­ken zu erken­nen und sich im Bedarfs­fall selbst zu hel­fen, etwa im Rah­men von Team­be­spre­chun­gen. Team­pha­sen-Model­le oder Über­sich­ten zu mög­li­chen Team-Rol­len sowie Hin­wei­se für gute Bespre­chungs­füh­rung oder den kon­struk­ti­ven Umgang mit Kon­flik­ten etwa könn­ten mög­li­che Inhal­te sein. Spä­ter kann das Team die­se Erkennt­nis­se nut­zen, um selbst mit Pro­ble­men bes­ser umzu­ge­hen und so die Effek­ti­vi­tät der Zusam­men­ar­beit (Syn­er­gie­ef­fek­te zwi­schen unter­schied­li­chen Rol­len im Team) zu steigern.

Auf einer zwei­ten, etwas tie­fe­ren Ebe­ne geht es nicht mehr nur um Wis­sens­ver­mitt­lung im Sin­ne einer „Hil­fe zur Selbst­hil­fe“, son­dern dar­um, im „Hier und Jetzt“ der Inter­ven­ti­on Erkennt­nis­se über den Sta­tus quo des Mit­ein­an­ders und der Zusam­men­ar­beit im Team zu gene­rie­ren und dar­aus hilf­rei­che Impul­se für eine Ent­wick­lung des Teams hin zu einer effek­ti­ve­ren Zusam­men­ar­beit abzu­lei­ten. Die Erkennt­nis­se über den aktu­el­len Sta­tus des Teams wird durch eine Art „Spie­gel­wir­kung“ erreicht: Man bringt ver­schie­de­ne team­dia­gnos­ti­sche Instru­men­te zur Anwen­dung, etwa Fra­ge­bö­gen zur Team­ent­wick­lung (wie den von McGre­gor, 1967) oder Team­rol­len-Tests wie den von Bel­bin oder Team-Manage­ment-Sys­tems von Mar­ge­r­i­son & McCann. Neh­men wir das Bei­spiel des Fra­ge­bo­gens zur Team­ent­wick­lung von McGre­gor: Die Team­mit­glie­der fül­len den Fra­ge­bo­gen aus und die Ergeb­nis­se wer­den anony­mi­siert auf ein Flip­chart über­tra­gen. Dadurch wird das Team mit sei­ner Stim­mung bzw. mit sei­ner Lage oder sei­nem Sta­tus quo kon­fron­tiert. Aus der Refle­xi­on die­ses Bil­des ergibt sich dann die The­ma­ti­sie­rung der „Bau­stel­len“ oder Ent­wick­lungs­be­dar­fe des Teams, die erfasst, pro­ri­siert und dis­ku­tiert wer­den kön­nen. Am Ende wer­den kon­kre­te Maß­nah­men zur Wei­ter­ent­wick­lung abge­lei­tet und Ver­ein­ba­run­gen getrof­fen. Eine wei­te­re Mög­lich­keit der The­ma­ti­sie­rung von Team-The­men auf die­ser mitt­le­ren Ebe­ne wäre die Beschrei­bung des Sta­tus quo anhand von Fra­gen wie: „Was läuft gut, was könn­te bes­ser lau­fen und was wün­schen Sie sich?“ oder anhand der For­mu­lie­rung gegen­sei­ti­ger Erwar­tun­gen. Gera­de wenn neue Team­mit­glie­der hin­zu­kom­men, ist es hilf­reich, gegen­sei­ti­ge Erwar­tun­gen zu the­ma­ti­sie­ren (und zwar gegen­sei­tig zwi­schen Team und neu­en Team­mit­glie­dern sowie zwi­schen Team und Lei­tung sowie zwi­schen neu­en Team­mit­glie­dern und Lei­tung). Rol­len bestehen ja letzt­lich aus Erwar­tun­gen, und je kla­rer Erwar­tun­gen for­mu­liert (und spä­ter immer mal wie­der aktua­li­siert) wer­den kön­nen, des­to ein­fa­cher erfolgt die Ein­ar­bei­tung bzw. des­to leich­ter kann mit ggf. auf­tre­ten­den Kon­flik­ten umge­gan­gen werden.

Auf der drit­ten und „tiefs­ten“ Ebe­ne geht es nicht nur um eine mehr oder min­der beschrei­ben­de The­ma­ti­sie­rung des Sta­tus quo und die qua­si „kogni­ti­ve“ Auf­ar­bei­tung der Situa­ti­on ein­schließ­lich der Ent­wick­lung geeig­ne­ter Vor­schlä­ge oder Maß­nah­men. Auf der drit­ten Ebe­ne geht es um ein „Auf­tau­en“ des Bezie­hungs­ge­fü­ges mit dem Ziel, es ver­än­der­bar zu machen. Hier wird weni­ger deskrip­tiv mit Hil­fe team-dia­gnos­ti­scher Instru­men­te, son­dern eher mit Hil­fe direk­ten Feed­backs bzw. direk­ter Erfah­rung gear­bei­tet. Im „Hier und Jetzt“ der team­dy­na­mi­schen Inter­ven­ti­on wer­den Kon­flik­te ange­spro­chen, wird das gegen­sei­ti­ge Erle­ben mit­tels Feed­back the­ma­ti­siert, um dar­aus zu ler­nen und das Team­ge­fü­ge zu klä­ren und so zu ver­än­dern, dass die Zusam­men­ar­beit lern- und ent­wick­lungs­ori­en­tier­ter wer­den kann. Ein Bei­spiel: Eine Team­ent­wick­lung beginnt mit der Fra­ge, was die Anwe­sen­den von der Idee, sich mit Team­fra­gen zu beschäf­ti­gen, hal­ten. Wenn es Beden­ken oder gar Ableh­nung der Idee gibt, kön­nen die­se the­ma­ti­siert wer­den. Wich­tig ist hier, kei­nen Druck auf­zu­bau­en, son­dern sich eher mit dem „Wider­stand“ zu ver­bün­den. Wie das geht, steht an ande­ren Stel­len auf die­ser Web­sei­te. Danach wird eine Erwar­tungs­ab­fra­ge durch­ge­führt. Nach der Erwar­tungs­ab­fra­ge kann man mit drei Fra­gen beginnen:

„Wie war es in den letz­ten Mona­ten, in die­sem Team zu arbei­ten? Was lief gut, was nicht?“
„Wie geht es Ihnen momen­tan in die­sem Team?“ (Die­se Fra­ge kann, je nach Bran­che und Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur, als „zu psy­cho­lo­gi­sie­rend“ auf­ge­fasst wer­den, dann wäre eine Alter­na­ti­ve: „Wie läuft es momen­tan?“)
„Was wün­schen Sie sich in Bezug auf die Zukunft?“ (Die­se Fra­ge kann man spe­zi­fi­zie­ren, bspw. „in Bezug auf die Zusam­men­ar­beit im Team“ oder „in Bezug auf den Umgang mit Kon­flik­ten“ o.ä.)

Wich­tig ist, dass es hier erst ein­mal zu einer Art Schil­de­rung kommt, nicht zu einem umfas­sen­den Ausdiskutieren.

Nach der Schil­de­rungs­run­de schei­nen die The­men, die es anzu­spre­chen gilt, schon auf. Manch­mal wer­den sie auch in der Schil­de­rungs­run­de noch nicht expli­zit ange­spro­chen. Dann wird eine „Aus­spra­che-Run­de“ not­wen­dig. Man bit­tet die Anwe­sen­den, Din­ge kon­kret anzu­spre­chen. Hilf­rei­che Fra­gen könn­ten lauten:

„Was haben Sie in letz­ter Zeit ggf. nicht offen ange­spro­chen, son­dern nur bila­te­ral the­ma­ti­siert?“
„Wel­che Din­ge soll­ten in die­ser Run­de mal aus­ge­spro­chen wer­den?“
„Was haben Sie ggf. über­ein­an­der, aber nicht mit­ein­an­der besprochen?“

Auch hier geht es noch nicht um irgend­ei­ne Form des „Durch­ar­bei­tens“, son­dern zunächst um das Ermög­li­chen des Aus­spre­chens. Dem­entspre­chend emo­tio­nal kann es zuge­hen. Wenn etwas aus­ge­spro­chen ist, ent­steht in der Regel eine Situa­ti­on, die zwi­schen Selbst­schutz und Erleich­te­rung schwankt. Feed­back aus­zu­spre­chen erfor­dert in der Regel eben­so viel Mut wie Feed­back anneh­men bzw. mit den geäu­ßer­ten Sicht­wei­sen umzu­ge­hen. In der sich an das Aus­spre­chen anschlie­ßen­den Pha­se des Durch­ar­bei­tens geht es vor allem dar­um, die Unsi­cher­heit zu ertra­gen, die es bedeu­tet, den Selbst­schutz auf­zu­ge­ben und sich tat­säch­lich mit den ech­ten Sicht­wei­sen der ande­ren zu beschäf­ti­gen (die eben­falls von Selbst­schutz gekenn­zeich­net sein kön­nen, etwa wenn „Do-Bot­schaf­ten“ nur als „Ich-Bot­schaf­ten“ ver­klei­det wer­den: „Ich habe das Gefühl, dass Du…“). Das Durch­ar­bei­ten selbst führt natür­lich zu schmerz­haf­ten Erleb­nis­sen. Nach dem Ertra­gen des Schmer­zes kommt das Ein­ord­nen: Was davon trifft zu? Wel­che Kri­tik neh­me ich an? Was möch­te ich ändern? Was kann ich ggf. nicht ändern?

Nach einer tie­fen Pha­se des Schmer­zes tritt in der Regel eine gewis­se Erleich­te­rung ein. Wenn es ein­mal in der gro­ßen Team­run­de nicht wei­ter­geht, wenn das Durch­ar­bei­ten schwie­rig wird, hilft manch­mal die Metho­de reflec­ting team, Din­ge bes­ser besprech­bar oder über­haupt erst ein­mal sag­bar zu machen.

In die­sem Bei­trag ging es vor allem um die Beschrei­bung der drei Inter­ven­ti­ons­ebe­nen bzw. „Inter­ven­ti­ons­tie­fen“ in Team­ent­wick­lun­gen. Wer sich ggf. mehr für das Durch­ar­bei­ten bzw. für die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Selbst­schutz-Mecha­nis­men in Team­ent­wick­lungs­ter­mi­nen inter­es­siert, wird bei die­sen Tex­ten fün­dig: Metho­den der Team­ent­wick­lung: Wor­um geht es essen­ti­ell? oder: Har­mo­nie ver­sus Klar­heit: wor­auf es beim Umgang mit Grup­pen ankommt oder: Es hilft nichts, über gute Kom­mu­ni­ka­ti­on zu reden, gute Kom­mu­ni­ka­ti­on muss man machen.

Jörg Hei­dig

Von Jörg Heidig

Jörg Heidig, Jahrgang 1974, nach Abitur und Berufsausbildung in der Arbeit mit Flüchtlingen zunächst in Deutschland und anschließend für mehrere Jahre in Bosnien-Herzegowina tätig, danach Studium der Kommunikationspsychologie, anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung in Großräschen, seither als beratender Organisationspsychologe, Coach und Supervisor für pädagogische Einrichtungen, soziale Organisationen, Behörden und mittelständische Unternehmen tätig. 2010 Gründung des Beraternetzwerkes Prozesspsychologen. Lehraufträge an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der Dresden International University, der TU Dresden sowie der Hochschule Zittau/Görlitz.